Mittwoch, September 23, 2015

Lieber ein faules Genie als ein fleißiger Idiot

"Als besonders fleißig war der Preuße Kurt von Hammerstein-Equord während seiner Laufbahn nicht aufgefallen. Trotzdem machte er eine steile Karriere im Heer von Kaiser Wilhelm II. Am Ende des Ersten Weltkriegs war er Offizier im Generalstab des Generalkommandos. In der Weimarer Republik bestimmte er als Chef des Truppenamtes (so hieß der Generalstab laut Versailler Vertrag fortan) der Reichswehr den Wiederaufbau maßgeblich mit.

Dabei entwickelte er Strategien wie die hinhaltende Verteidigung. Die setzte darauf, dass der Völkerbund schon eingreifen würde, falls das militärisch zurechtgestutzte Deutschland zum Beispiel von Russland angegriffen würde. Auch was die Personalpolitik der Truppe anging, hatte von Hammerstein Vorstellungen, die den preußischen Tugenden Fleiß und Disziplin zuwiderliefen.

Die Rekruten beurteilte er mit einer Vier-Felder-Matrix. Auf der x-Achse verteilte er die Persönlichkeitseigenschaften dumm und klug. Die y-Achse versah er mit faul und fleißig. In einer Person, so die Logik, kommen immer zwei dieser Eigenschaften zusammen, die wiederum für bestimmte Aufgaben im Militär qualifizieren und für andere eben nicht.

Die Dummen und Faulen machten für von Hammerstein 90 Prozent des militärischen Personals aus. Das sei in jeder Armee so und auch nicht weiter schlimm, denn diese Leute eigneten sich prima für Routineaufgaben. Die Klugen und Fleißigen könne das Militär natürlich gut gebrauchen. Sie müssten in den Generalstab.

Nach ganz oben würden sie es jedoch nicht schaffen. Dorthin gehörten die Klugen und Faulen. Denn nur wenn sich Intelligenz mit Trägheit paare, hätten Führungsleute „die geistige Klarheit und die Nervenstärke für schwere Entscheidungen“, so von Hammerstein. Richtig gefährlich werde es hingegen, wenn viele Fleißarbeiter mit wenig Intellekt in einer Abteilung viel zu sagen hätten. Da witterte von Hammerstein Gefahr: Die fleißigen Dummen werden „immer nur Unheil anrichten“.

Thomas Ramge, brandeins

Herbstanfang

"Der Frühling piepst wie eine Digitaluhr, der Herbst ist die Glanzzeit bewahrter Mechanik. Leis summendes Fieber und seidenes Glück liegen Atem an Atem über den fruchtig erregten Gemeinden. Die Apotheker stellen fünfzig Jahre alte Pilzmodelle in ihre Schaufenster. Jeder normale Mensch bekommt Lust, die Sütterlinschrift zu erlernen. Über den Siedlungen wölben sich nach Zwiebeln und Heimat duftende Glocken. Erstaunlich natürlich wirkende Äpfel kullern die Rollstuhlrampen herunter. Herbst, wir sind gerne zu Gast in deinem Mantel."
Max Goldt

Herbstanfang