Dienstag, Juli 25, 2006

Brücken sind was Schönes!

Die Autorin Kahtrin Passig hatte den Ingeborg Bachmann Preis gewonnen, da begann eine Debatte, die nicht enden will: Ist DAS Literatur? Kann man einer Autorin, die Kolumnen und Blogs schreibt und nur einen literarisch gemeinten Text verfasst hat, den Preis geben? Und: Ist das überhaupt Literatur oder nicht lediglich - salopp gesagt - Literatur(betriebs)verarsche?

Wenn man die Debatte (hier und hier...), um Passig beobachtet, kann man sich v.a. des Eindrucks nicht entziehen, dass sich der Literaturbetrieb aus ernst dreinblickenden Autoren, die von der "Qual am Text", dem Leiden am richtigen Wort u.ä. sinnfreien Geschwurbel sprechen, Lektorinnen mit Gabriele Krone-Schmalz-Haarschnitt und wuchtigen Brillen u.a. Figuren auf den Arm genommen fühlt.

Der Portraitfilm von, mit und über Kathrin Passig im Rahmen des Bachmann-Wettbewerbs ist in der Tat sehr komisch, nimmt die Dichterklischees und die sinnfreie Feuilleton-Sprache wunder bar auf den Arm:
"Brücken sind was Schönes..", sagt Passig auf einer Brücke stehend und wird von dem Regisseur des Films unterbrochen "STOP! Das ist schlecht...sag lieber sowas wie In der Brücke ist auch immer das Trennende Probier DAS mal..."

Unbedingt anschauen!

Sonntag, Juli 23, 2006

Gedanken am Sonntag

Peter Hahne, Moderator des ZDF-Politmagazins Berlin direkt, stellvertretender Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Buchautor, Kirchenmann und Bild-Kolumnist hat wieder zugeschlagen.
Aus Berlin direkt macht er eine Plauderstunde, in der Schlagworte als Argument, ja, sogar als kritischer Journalismus gelten (Reformstau, Flexibilisierung, Die -höhöhö- schöne neue Welt des -hihihi modern! modern!- digitalen Kapitalismus", usw-) die jeder 10.Klässler moderieren; aber lediglich im Schutze des geschriebenen Wortes lässt er seiner Schrebergärtnerphilosophie freien Lauf.

Eine Analyse des Peter H. am Beispiel seiner Kolumne vom
"Über Klinsis Entscheidung und seinen Mangel an Respekt" vom

Da Peter Hahne gelernter Prediger und Journalist ist, weiß er, dass ein Text stark anfangen muss. Frei nach Kafka "Wenn uns ein Buch nicht trifft, wie ein Hammer auf den Kopf - warum lesen wir dann das Buch? Ein Buch muss uns die Axt sein für ads gefrorene Meer in uns" legt Peter dann acuh stark vor und begibt sich in die Defensive und bekennt:

"Auch ich habe zu denen gehört, die bei den deutschen WM-Spielen im Stadion „Klinsi! Klinsi!“ gerufen haben."

Ja, wie jetzt? Das klingt nun so, als sei das unerhört. Als sei dies ein Geständnis, zu dem man sich (Rückgrat beweisen! Gesicht zeigen! Arsch huh!) durchringen, ja, Zivilcourage zeigen müsse; als würde Hahne gestehen, dass auch er "Heil Hitler" gerufen habe, damals in Österreich.

Doch lesen wir weiter:

"Auch ich habe die Mega-Petition unterschrieben und gefordert, dieser Trainer möge bitte bleiben und „unsere Jungs“ nicht im Stich lassen."

Genau, weiter und tiefer in die Masse. Ich war auch so, einer von Euch. Die Anführungsstriche symbolisieren hier das Augenzwinkern, denn - das sei hier richtiggestellt - Peter Hahne ist nicht der Vater irgendeines Fußballnationalspielers.; und mit Verve bekennt er weiter:

"Ja, mehr noch: Als es vor zwei Jahren alles andere als opportun war, den Wahl-Kalifornier zu loben, habe ich Jürgen Klinsmann in meinem Buch „Schluß mit lustig!“ einen Blankoscheck der Sympathie ausgestellt und dafür Hohn und Spott geerntet."

Das ist Opposition, das ist EKD, das ist Bonhoeffer, das ist Luther "Hier stehe ich und kann nicht anders". Man stellt sich vor, was wohl in den erten Entwürfen dieses Textes gestanden haben mag ... "und habe dafür Hohn und Spott geerntet. Ein Soldat stieß mir seinen Speer in die Seite aber ich trug den Pilsbierkasten tapfer weiter.."
So bin ich, Peter, ein Visionär und da ich ein verkniffener Rechthaber bin, reibe es Euch jetzt noch mal unter die Nase

"Mir war aber klar, daß uns Klinsmanns Mix aus schwäbischem Fleiß und amerikanischen Motivationskünsten in den Fußball-Olymp kicken wird – oder zumindest bis kurz davor . . ."

Och Gottchen, was so ein bißchen Messwein einem doch alles für Visionen beschert. Es würde einen nicht wundern, würde Hahne hier behaupten, er hätte von Anfang an gewusst, dass Deutschland beim Spiel um PLatz 3 gegen Portugal gewinnen würde.
...schwäbischer Fleiß - das ist ja fast so originell wie der Politfeuilletonismus, der Angela Merkel notorisch als "Physikerin der Macht" sehen will. Gääähhhn.

"Doch jetzt bin ich enttäuscht. Mir fehlt jedes Verständnis für solch verantwortungsloses, ja, vaterlandsloses Verhalten"

Was ist DAS denn? Jeder weiß, wie der Begriff "vaterlandslos" konnotiert ist: Der Begriff bleibt der ehrabschneidend gemeinten, diffamierenden Rede von den "vaterlandslosen Gesellen" Kaiser Wilhelms wider die Sozialdemokraten verbunden. Wer also "vaterlandslos" verwendet, verwendet einen Begriff, der von einem chauvinistischem Kriegstreiber gegen eine nicht gedankenlos Hurra!brüllenden Haltung in Stellung gebracht wurde. Abgesehen davon, dass eine solch martialische, dem militärischen, Blut-und-Boden-Gedankenkreis entliehene Ausdrucksweise in einem solchen Zusammenhang wie "Fußball" etwas - höhö- übers Tor hinausgeschossen ist - Wer ist Hahne, dass ihm as Urteil über Vaterlandszugehörigkeit zustünde? Dabei macht der Märtyrer-Besserwisserduktus seiner Schreibe schon deutlich, wer er zu sein glaubt, sich dieses Urteil erlauben zu können.

Aber warum der evangelikale Ärger über Jürgen Klinsmann? Weil dieser es abgelehnt hat, sich mit Wimpeln und Orden behängen zu lassen, bloß weil er seinen Vertrag erfüllt hat. (Berti Vogts, Erich Ribbeck, Jupp Derwall und Rudi Völler hätte wahrscheinlich in den Netzer gebissen, wenn Klinsmann bei der Heiligsprechung für den 3. Platz mitgemacht hätte.)

"Doch Herr Klinsmann zieht es vor, zu Hause am Strand von Huntington Beach zu bleiben. Als sei der erste Mann im Staat nur dritte Wahl, praktisch ein Ersatzspieler unserer Demokratie. Dabei ist es höchst selten, daß der Präsident den Orden persönlich verleiht.

Er müsse Abstand gewinnen und sich erholen, begründet Klinsmann seine protokollarische Peinlichkeit. Er wolle sich erst mal um seine Familie kümmern und seinem Nachfolger Jogi Löw nicht die Schau stehlen.

Alles gut und schön, sympathisch und menschlich. Deshalb schätze ich den Klinsi ja auch. Doch wenn das Staatsoberhaupt ruft, dann komme ich. Notfalls auch auf Krücken!

"Schütze Arsch! Stramm jestanden! Hamm se jediehnt?", brüllt es da und lässt deutlich erkennen, worum es eigentlich geht: Das Klinsmann sich weigert bei einer Inszenierung mitzumachen, die weniger ihn als die deutsche Selbstgerechtigkeit zum Thema hat; da tobt der Hahne, weil Klinsmann durch seine Mitmachverweigerung den Deutschen eine weitere Gelegenheit der gefälligen Selbstinszenierung, eine weitere Schwarz-Rot-Geil-Deklination vorenthält.

"Wenn der Bundespräsident ehrt, tut er das im Namen unseres gesamten Volkes. 82 Millionen Deutsche haben ein Recht darauf, daß Sie ihm und ihnen Respekt erweisen."

Schon ist der deutsche Kasernenhofton wieder da, der unter all der angeblichen Weltoffenheit nie verschwunden war.

Der Tragiker geht unter

"Das ist die sehr schöne Pointe des Textes das in Lebensgefahr der Ironiker überlebt.
Der, der sich alles neu deutet und sich alles neu aushandelt und zu nichts mehr ein stabiles Verhältnis, sondern ein im höchsten Grad bewegliches Verhältnis hat – das der den angemessenen Standpunkt hat.

Und das finde ich fast eine Lehre aus diesem Wettbewerb, dass der Tragiker untergeht; also der, der das Gegebene als gegeben nimmt und sich dann nicht mehr weiterbewegt, weil alles fest steht; der geht unter und der, der immer wieder alles neu aushandelt - der kommt durch.“

Iris Radisch, Literaturkritikerin beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, Klagenfurt 2006