Samstag, Oktober 31, 2009

Personalpolitik

Die SZ im Gespräch mit Yvon Chouinard, Gründer von der Sportartikelfirma Patagonia.

SZ: Welche Leute arbeiten bei Ihnen?

Chouinard: Nur eine Handvoll hat einen Wirtschaftsabschluss. Ich will keine Business-School-Streber. Bei mir arbeiten Soziologen, Biologen, Chemiker.

SZ: Was muss jemand haben, damit Sie ihn einstellen?

Chouinard: Sie müssen kreativ sein. So wie er hier (zeigt auf seinen PR-Berater Holger Bismann, der neben ihm sitzt). Wissen Sie, wie er aus Ost-Deutschland fliehen wollte? Er versuchte mit einem Trampolin über die Mauer zu springen!

Bismann: Es hätte geklappt. Zusammen mit einem Freund übte ich das tausend Mal. Aber er musste unbedingt seine Freundin mitbringen und die hat es nicht gepackt. Wir wollten dann über die ungarische Grenze. Dort wurden wir geschnappt und mussten ins Gefängnis.

Chouinard: (amüsiert sich köstlich) Solche Leute stelle ich ein!

Freitag, Oktober 30, 2009

Dienstfertiges Desinteresse

Ist ein Film auch noch so schlecht - so kann er doch noch als Anlass eines wohl begründeten, gut formulierten Verriss dienen und so, wie eine Obduktion dazu da ist, von den Toten für das Leben zu lernen, als Gegenbeispiel zur cineastischen Instruktion dienen. So seziert Katja Nicodemus "Die Päpstin" von Söhnke Wortmann:

"Sönke Wortmann hat diese Geschichte nun mit der Dienstfertigkeit eines Messdieners verfilmt. Die Päpstin ist eine romangetreue und daher recht gedankenarme Illustration des Buches, der nicht anzumerken ist, was den Regisseur überhaupt daran interessiert hat. [...]
Stattdessen wird das Mittelalter auf der Leinwand so angerichtet, wie Klein Fritzchen es sich vorstellt: mit sorgfältig verdreckten Kindergesichtern, liebevoll modellierten Pestbeulen, meditativ lächelnden Mönchen und dem einen oder anderen abgeschlagenen Kopf. Dabei steht die bombastische Tonspur mit ihren schnalzenden Peitschenhieben, dem dröhnenden Pferdegetrappel und einem in jedem bedeutungsvollen Moment – also ständig – aufbrausenden Orchester in keinem Verhältnis zur bescheidenen Bildsprache. Aber offenbar hat die Verfilmung gar nicht den Anspruch, auch nur eine einzige Einstellung im Gedächtnis des Zuschauers zu hinterlassen. Was bleibt, ist eine Art filmischer Dinkelbrei, über zweieinhalb Stunden zerkocht."

(Die Zeit)

Donnerstag, Oktober 29, 2009

Übung macht den Meister

In der SZ vom 26. Oktober antwortete Werner Vontobel auf einen Artikel Peter Sloterdijks, der sich zunehmend als Librettist einer vermeintlichen Leistungsträgerideologie andient. Dabei zieht der Neologist wie immer einige wenige Informationen heran, um sie zu generalisierenden Thesen neu zu arrangieren. Leider ist Vontobels hervorragend und nüchtern geschriebener Artikel nicht Online verfügbar. Zum Glück aber betreibt er auf der Webseite von "Der Freitag" auch einen Blog, in dem er eine Variation seines Artikels abgelegt hat:

"In seinem zum "Manifest Aufbruch der Leistungsträger" hochstilisierten Essay im Cicero genügen ihm zwei Zahlen und ein Buch, um die Ökonomie völlig neu zu erfinden. Die zwei Zahlen: "Allein das oberste Fünftel der der Leistungsträger bestreitet rund 70 Prozent des Gesamtaufkommens der Einkommenssteuer." Daraus wird bei Sloterdijk: "Vom Einkommen sowie von den davon abzuführenden Abgaben der 25 Millionen steueraktiven Leistungsträger, die vorläufig noch damit einverstanden sind, in Deutschland zu leben, stammt praktisch alles, was die 82 Millionenpopulation des Landes am Leben erhält."


Vontobels Resumee: "Der abgehobene Philosoph hantiert hier mit Zahlen, die er mangels Training nicht versteht. [...] Wer zwischen Lohn und Leistung nicht sauber unterscheiden kann und beide unbesehen gleichsetzt, kann nicht kompetent über Verteilungsprobleme mitreden."

(Bild: forwardcom)

Dienstag, Oktober 27, 2009

Pars pro Toto

Gestern den Film "Synecdoche New York" gesehen, Buch und Regie Charlie Kaufman (Being John Malkovich, The Eternal Sunshine of the spotless mind).

Der Dramaturg Caden Cotard (Phillip Seymour Hoffman) glaubt schwerkrank zu sein und nicht mehr lang zu leben. Bevor er stirbt, will er "etwas Bedeutsames" hinterlassen. Zunächst aber verlässt ihn seine Frau (Catherine Keener) mit der vierjährigen Tochter.

Allein zurückgeblieben macht er sich daran, mit dem Preisgeld einer Auszeichnung ein universales Theaterstück zu entwickeln und inszenieren, das "die reine Wahrheit" darstellen soll - und als reinste Art der Darstellung mietet er eine riesige Halle, in der er eine Welt nachbaut und auch die soziale Welt mit ihrer Vielschichtigkeit und Gleichzeitigkeit nachzustellen versucht - einschließlich seiner selbst und seines Versuchs des Theaterstücks: so entsteht ein Theaterstück über die Welt in der er selbst auch als Figur enthalten ist, die ein Theaterstück über die Welt entwickelt, in dem er selbst ... usw.



Hunderte von Schauspielern und Statisten leben, spielen und improvisieren in dieser Truman-Show über Jahrzehnte. Da das Theater das Leben abbilden soll und das Leben permanent stattfindet, kommt auch das Theaterstück nie zu einer endgültigen Fassung und Form, sondern schreibt sich permanent fort, bis die Grenzen verschwimmen - Regisseur und Autor Caden nimmt das Angebot einer Darstellerin an, die seine Aufgabe übernimmt, damit er sich als Figur in dem Stück "ausruhen" kann, was wiederum aber dramaturgischer Teil des Theaterstücks wird. Es dauert Jahrzehnte, die Schauspieler altern, die Welt außerhalb der Theaterhalle ändert sich, es scheinen Bürgerkriegsartige Zustände zu herrschen, die zeitliche Konsistenz scheint sich aufzulösen, bis Caden erkennt: "There are nearly 13 million people in the world. And none of those people is an extra. They're all leads in their own stories. "

Dass diese komplexe Struktur noch verstehbar bleibt, ohne sich jedoch in Erklärungen aufzulösen sondern in der Schwebe zu bleiben, ist dem dramaturgischen Genie von Charlie Kaufman zu verdanken, der mit diesem Regiedebut wie in Eternal Sunshine of the spotless Mind oder in Adaptation wieder einmal eine erzählerische mise en abime erzeugt, bei der nicht klar ist, wo Fiktion und wo Wahrheit anfangen oder aufhören. Oder in David Fincher's "The Game" wo das Theaterstück so total und umfassend wird, dass nicht mehr klar ist, ob man noch in einer Inszenierung ist oder jenseits dessen, oder ob das "jenseits der Inszenierung sein" Teil einer übergeordneten Inszenierung ist.