Samstag, August 12, 2006

Der inzestuöse Charme von openBC

Die FAZ widmet sich in einem launig geschriebenem Artikel dem "Web 2.0" im Allgemeinem und -als einem Beispiel für das Mitmach-Web- dem openBC, einem virtuellen Netzwerk, in dem jedermann sich mit seinem beruflichem Profil und -viel wichtiger- mit seinen Kontakten eintragen kann, im Besonderen.

Dabei lässt sich an openBC v.a. eins ablesen: wer 2.0 webben will, braucht v.a. Zeit. Naturgemäß ist dies eine knappe Ressource, die um so dünner ausfällt je höher man die "Entscheider"-Pyramide hinaufgeht. Wer wirklich wichtig, aktiv und erfolgreich ist, hat es nicht nötig, sich in einem solchen Netzwerk der breiten Masse auszusetzen. Wer will schließlich von Akteuren, die unterhalb des eigenen Marktwertes agieren, kontaktet werden?

"Tatsächlich lebt openBC wie ähnliche Plattformen von jenem Effekt, den Boris Becker in einer legendären Werbung aus der Internet-Steinzeit auf eine Formel gebracht hat: „Ich bin drin!“ Allerdings geht es diesmal nicht mehr ums selbstvergessene Surfen durch die vermeintlich unendlichen Weiten des Netzes, sondern um Repräsentation. Es verwundert fast ein wenig, daß im openBC neben einem möglichst schicken Foto und Kategorien wie „Position“, „Branche“ und „Frühere Firmen“ nicht auch noch Rubriken für „Mein Spitzengehalt“, „Meine superteure Armbanduhr“ und „Mein Boot“ angeboten werden. Andererseits würden vielleicht gerade diese Felder oft leer bleiben - denn trotz aller Euphorie deckt sich die Zielgruppe des Web 2.0 immer noch ungefähr mit jener Generation, die nach dem Scheitern von Web 1.0 um 2001 herum auf der rauhen Seite des Lebens landete.

So ist jedes openBC-Profil auch ein Beispiel für die Kunst der Selbstvermarktung, zu welcher die Kinder des Internetzeitalters gezwungen sind. Unter den 1,3 Millionen Mitgliedern tummeln sich kaum Topmanager, Vorstandschefs oder Medienmoguln, die mit lukrativen Verträgen winken - dafür aber um so mehr Freiberufler, Selbständige und Kreative, die ebensolche Verträge suchen. Daß sich diese Klientel dann mit ihren naturgemäß ein wenig angeberischen Kontaktseiten fast nur untereinander beeindrucken kann, macht die Ironie eines solchen Netzwerks aus - und andererseits auch seinen inzestuösen Charme. Denn letztlich ist auch openBC in erster Linie ein Spielzeug, gleichsam das Myspace für die Um-die-Dreißigjährigen.

Neben der sozialen Überwachung - Was für Freunde haben eigentlich meine Freunde? - ermöglicht die Plattform nämlich auch, mit einem Klick festzustellen, über welche Mittelsleute man mit einem beliebigen Mitglied in Verbindung steht. Damit wird der Gedanke der Vernetzung, in der frühen Phase des Internets nur eine Metapher, plötzlich sehr anschaulich. Auch wenn man sowieso weiß, daß man jeden Menschen auf dem Globus über sechs Ecken kennt."

Lesen Sie den ganzen Artikel Das Internet ist bewohnbar geworden in der Online-Ausgabe der FAZ