"Nachdem sie alle die (...) Abschlusszeugnisse in Empfang genommen hatten, waren sie einfach auseinandergegangen, auf kalte Weise froh, die anderen nie wiedersehen zu müssen." Der Satz stammt aus Robert Menasses Roman "Die Vertreibung aus der Hölle", und wenn man es genau betrachtet, ist es der einzig richtige Weg für uns alle gewesen. Aber seien wir doch ehrlich: Haben wir uns nicht alle im Laufe der Jahre gegenseitig schon x-mal gegoogelt und anschließend den Suchbegriff rasch wieder aus dem Explorer gelöscht, weil man die Namen von damals eigentlich längst vergessen wollte wie die ganze Schulzeit? Und dann haben wir sie doch immer erneut eingegeben, und so haben wir einander über zwei Jahzehnte immer wieder gesucht, und die Tiefenpsychologen unter uns möchten es mit hochgezogenen Brauen hinzufügen: Im anderen suchten wir uns selbst.Von manchen von uns stehen Bilder im Internet - harte Managergesichter, Entscheidervisagen, Existenzgründerprofile, und nur wir wissen, wie diese Jungen damals dreingeschaut haben, als ihre Abinote vom Durchschnitt so sehr abwich, dass sie sich nochmal vors Prüfungsgremium setzen mussten. Nur wir kennen die unwürdigen Monate, während derer sie um ein Mädchen aus der Nebenstufe scharwenzelt sind, das dann doch ein anderer abgekriegt hatte. Verlierer waren wir damals alle, und erst in der Zeit nach dem Abitur wurden die meisten von uns für diese würdelosen Jahre mit einigen hübschen Erfolgsbonbons entschädigt. Und jetzt sollen sie nach zwanzig Jahren wieder Zeugen aus der unrühmlichen Zeit treffen, womöglich das Mädchen, das den anderen gewählt hatte? Und diesen anderen gleich dazu? Ja, vielleicht wäre das ja sogar auf schmerzhafte Weise ziemlich komisch."
Der ganze Artikel Fremde fürs Leben in der Online Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.