Wer wissen will, was Deutschland von Amerika unterscheidet, muss sich Roman Herzogs "Konvents für Deutschland" anschauen und bedenken, dass dies ein Äquivalent zu Amerikas Think Tanks sein soll. Doch wo dort intelligente Menschen gewagte Thesen kontrovers diskutieren und geistig-konzeptionelle Avantgarde sind, findet sich hier dass uninspirierte Genöle routinierter "Personen des Öffentlichen Lebens a.D.", die in der Atmosphäre eines auf Dauer gestellten Sonntagabend die ewige Wiederkehr des Gleichen, eine nie enden wollende Christiansenrunde zur Aufführung bringen.
"Nun haben Roman Herzog und sein "Konvent für Deutschland", dem unter anderen Hans-Olaf Henkel, Jutta Limbach, Roland Berger, Wolfgang Clement und Wolfgang Reitzle angehören, ein dickes Buch vorgelegt, in dem sich die Konventmitglieder von prominenten Journalisten interviewen lassen." (FAS)
Gähn, gähn, gähn. Das immerselbe Personal der Talkshow-Staffage (Hans-Olaf Henkel, Wolfgang Clement, Oswald Metzger, Otto Graf Lambsdorff, Jutta Limbach u.a.) wird von den immerselben Journalistendarstellen beklebert und geaustet, d.h. dazu eingeladen, die immerselben Begriffe (Reformmüdigkeit, Reformtempo, Innovationsfähigkeit) zu ventilieren und zu den immerselben unoriginellen, sich als "Modelle" ausgebenden Plattitüden und Leerstellen zu montieren.
Es herrschaft allerorten der generalisierende Duktus, der im Alter um sich greifenden Müdigkeit und Unlust, sich mit Details zu beschäftigen, die aber leider nicht von einer wachsenden Bescheidenheit und Zurückhaltung sekundiert wird. Es wächst vielmehr das Jeopardy-Wissen, Ahnungslosigkeit wird zum Prinzip, das Ressentiment unvermeidbar ("Weltexperte Hans-Olaf Henkel [darf] klarmachen, dass die Türkei zwar in die EU gehört, für "den Islam" sehe er im Zeitalter der Globalisierung aber "keine Lösung". Eine echte Casino-Bemerkung alten Stils, eine Milliarde Muslime werden sie mit Interesse hören und den Flug zum Mond buchen. Ihr Pech, dass sie nicht Hans-Olaf Henkel sind." FAS)
Dann ist man knietief im Karasek, im Matussek und anderen - nun ja - Ecken. Es wird nur noch das Stichwort genannt, aber der damit behauptete Gedanke nicht mehr ausgeführt. Die Behauptung einer dahinter liegenden, jederzeit herstellbaren Beweiskette, als Chiffre und Erkennungsmerkmal einer behaupteten hochkulturell kodierten analytischen Kompetenz muss genügen.
"Ich bin's, der Hans-Olaf, ich war überall, ich war dabei, ich kenne *den Laden* höhöhö...so reden wir, unsereiner in der Welt DER WIRTSCHAFT ...wenn wir nicht gerade Ibsen im Original lesen oder Charlie Parker auf der Oboe tuten. Tu quoque fili usw. sie kennen das...Globalisierung, Alterspyramide, Reformstau, Innovationsklima...gähn"
Nie verlässt die Debatte den wohltemperierten Aggregatszustand einer im dritten Programm wiederholten Derrick-Episode am Freitag vormittag, intellektuell ist hier Dallmayr-Prodomo-Gemütlichkeit angesagt. Nichts Aufsehenerregendes, Ungewöhnliches. Überall nur das Erwartbare, immer schon Dagewesene. Wie wir leben und arbeiten wollen und können - das wird längst wo anders gedacht und verhandelt. Hier agiert eine (sorry, Jutta) Altherren-Alumni-Gruppe, die noch nicht mitbekommen hat, dass sie den Anspruch, "Öffentlichkeit", gar "Gesellschaft", geschweigedenn ideele "Führung" zu repräsentieren, schon lange verloren haben (falls sie denn diesen jemals authentisch hat für sich reklamieren dürfen.).
Auf der virtuellen Agora werden in unKONVENTionellen (haha) Foren tatsächlich innovative und neue Ideen formuliert, Modelle ebenso schnell entwickelt und wieder verworfen, die versuchen Ästhetik, Soziales und Ökonomie als verschiedene Seiten Desselben zusammenzudenken und entsprechend integrierte Lebens- und Arbeitsformen zu finden und überholen so den behäbigen Diskurs links, rechts, oben und unten.
Ideen, die in Handelskammerversammlungen und bei Rotariern beklatscht werden
Aber das ficht die Honoratioren nicht an. Sie henkeln bis der Aust kommt. Solange es irgendwo noch eine Volontärin gibt, die das beeindruckt, wird der Matussek gemacht. Die nächste Buchmesse kommt bestimmt. Hol'n wa lieber noch 'ne Karaffe.
So säuft und demenzt sich langsam der einmal durchaus beachtliche und auf der Höhe der Zeit befindliche Kulturschaffende konsequent der Unzurechnungsfähigkeit entgegen, bis er bei den SPA Awards herumsitzen darf, sich die Testwagen vor die Tür stellen oder im Bild-Blog zur Qualtität der Shrimps am Buffet befragen lässt. Der rapide schmelzende Wissensbestand wird durch die Routine des Befragtwerdens, der O-Tonerei in Interviews und Reden, dem sprachlich-intellektuellen Inzest (die einen Ahnungslosen schreiben bei den anderen Ahnungslosen ab, wodurch sich der niedrige Wasserstand des Fassungsvermögens dieser Platzhirsche als Norm durchsetzt) kompensiert. Dem steht eine Befragungsroutine gegenüber, die von der intellektuellen Nährstoffarmut infiziert ist und maximal die Worthülsen als Fragesimulation umzubauen in der Lage ist: "Leidet dieses Land an Innovationsarmut?"
Selbst der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ist das zu wenig:
"Den Empfehlungen des Konvents fehlt jede Anmut: Statt dafür zu werben, dass sich die deutsche Wirtschaft auch mal einen iPod, einen Prius oder Google, Yahoo oder eBay einfallen lässt, werden die ermüdenden Debatten der Prä-Agendajahre einfach wiederholt. [...]
Warum die Empfehlungen oder Anmerkungen dann aber wieder so engherzig, so wenig inspirierend und durch und durch uncharmant ausfallen, ist schon seltsam. Warum können Herzog, Clement und Co. nicht etwas zwischen einer "Föderalismusreform Zwei" und der "Weltregierung" fordern, also etwa weniger Bundesländer oder ein nationales Innovationsprogramm, wie es die Chinesen bereits in den achtziger Jahren unter Deng aufgelegt haben?
Im Buch finden sich aber nur solche Ideen, die in Handelskammerversammlungen und bei Rotariern beklatscht werden. Das untere Drittel der Bevölkerung ist abermals bloß Objekt von Politik und Adressat von Tipps - Pünktlichkeit empfiehlt Jutta Limbach -, wird aber nicht gefragt, es wird überhaupt kein Projekt benannt, für das sich die Bürger zu mobilisieren hätten, die Dynamik der Wirtschaft ist auch für den Konvent das alleinige Kriterium für den Erfolg der Republik. "
(FAS)