Donnerstag, Juni 01, 2017

Erich Kästner: Der Juni

Die Zeit geht mit der Zeit: Sie fliegt. 
Kaum schrieb man sechs Gedichte, 
ist schon ein halbes Jahr herum 
und fühlt sich als Geschichte. 

Die Kirschen werden reif und rot, 
die süßen wie die sauern. 
Auf zartes Laub fällt Staub, fällt Staub, 
so sehr wir es bedauern. 

Aus Gras wird Heu. Aus Obst Kompott. 
Aus Herrlichkeit wird Nahrung. 
Aus manchem, was das Herz erfuhr, 
wird, bestenfalls, Erfahrung. 

Es wird und war. Es war und wird. 
Aus Kälbern werden Rinder 
und, weil's zur Jahreszeit gehört, 
aus Küssen kleine Kinder. 

Die Vögel füttern ihre Brut 
und singen nur noch selten. 
So ist's bestellt in unsrer Welt, 
der besten aller Welten. 

Spät tritt der Abend in den Park, 
mit Sternen auf der Weste. 
Glühwürmchen ziehn mit Lampions 
zu einem Gartenfeste. 

Dort wird getrunken und gelacht. 
In vorgerückter Stunde 
tanzt dann der Abend mit der Nacht 
die kurze Ehrenrunde. 

Am letzten Tische streiten sich 
ein Heide und ein Frommer, 
ob's Wunder oder keine gibt. 
Und nächstens wird es Sommer.