Montag, Februar 16, 2009

Full HD, 24p, 100Hz - Wenn Kino wie Fernsehen aussieht

Alles redet von Blu Ray und HDTV und zu Weihnachten regnet es Flachbildschirme. Das Straßenbild verändert sich. Immer mehr Riesenkartons von Riesenglotzen müllen die Bürgersteige voll und künftige Architekten, Statiker und Akustikbauer müssen bei der Wohnzimmerplanung einbeziehen, dass zunehmend Monitore mit Bilddiagonalen ab 100cm aufwärts irgendwohin gestellt und die Schwingungen von Dolby-Surround-Anlagen, die den rasenden Falken mit THX-Dröhnung durch das Wohnzimmer brettern lassen, verarbeitet und aufgefangen sein wollen.

Wer die Hürden genommen und den Unterschied von p wie progressive versus i wie interlaced verstanden, die Vorteile von Full HD gegenüber HD ready begriffen, die Zahl 24p als relevant und das Kontrastverhältnis als bedeutsame Größe eingeordnet zu haben glaubt und noch viele andere NASA-Vokabeln wie HDMI u.a. gelernt hat, wird erst zu Hause feststellen, dass ein entscheidender Hinweis in den "schärfer, klarer, brillanter" Exaltationen über den Qualitätssprung von DVD zu Blu Ray hinsichtlich der veränderten Bildqualität fehlt.

Bemerkenswert und beeindruckend ist der signifikante Qualitätssprung im Sinne einer Verbesserung. Man hätte nicht gedacht, dass nach dem Sprung von VHS zu DVD eine für das gemeine Auge sichtbare Verbesserung möglich ist. Aber es ist. Die Figuren erscheinen regelrecht 3dimensional. Man meint, Jack Nicholson stehe im Wohnzimmer direkt vor einem.

Was man allersings nirgends liest ist, dass sich mit Blu Ray/High Definition die Bildqualität und das Bilderleben massiv verändern.

Früher war man es gewohnt einen optischen Unterschied zwischen "Gute Zeiten/Schlechte Zeiten" oder der Lindenstraße auf der einen und Kinofilmen, wie sie aussahen, wenn sie im Fernsehen ausgestrahlt wurden, zu erkennen.

Dabei haftete dem Fernsehbild wenn es zum fiktinoalen Erzählen und nicht für Nachrichten, Sportsendungen oder Dokumentationen verwendet wurde, immer etwas Trashiges, Soap-Opera-artiges an. Fernsehen war billig und schnell - Kino war aufwändig, wertvoll und Kunst.

Mit High Definition und Blu Ray jedoch verändert sich das Kinobild: Große Kinofilme können in der Qualität und Authentizität gesehen werden, wie sie gedreht worden sind. Wie sehen Leonardo di Caprio, wie er wirklich vor der Kamera stand und das Set, wie es tatsächlich beim Dreh aussah. Dadurch verliert der Film aber seinen typischen Film-Look.

Bei 1920 x 1080 Pixeln ist jedes Nasenhaar deutlich zu erkennen, mit einem Kontrast von 60,000:1 sieht ein Film aus wie eine Fernsehdoku, mit der 100Hz Technik, wird das sonst etwas trägere Bild empfindlich gegen Schwenks und wackelige Kamerafahrten.
Das ist für Fußballweltmeisterschaften sehr schön, aber für Kinofilme eher schade.

Dadurch, dass Filme ihre "Filmhaftigkeit" verlieren, werden auf einmal andere Schwächen deutlicher sichtbar. Schwach Dialoge, schwächere Szenen, überzogene Gestern - alles, was von der Qualität des Filmerlebnis als Ganzem gestützt wurde, sieht nun auf einmal wie eine billige Soap-Opera aus und stellt Schwächen gnadenlos aus.

Man fragt sich, ob die Filmschaffenden und das Publikum tatsächlich dieses Bilderleben wollen.

Nachtrag 1:
In einem Artikel berichtet Spiegel, dass High Definition und Blu Ray bei Regisseuren und Darstellern der Pornoindustrie wenig Beifall findet. Denn, die gesteigerte Detailgenauigkeit, die als der entscheidende Vorteil von HD angepriesen wird, gerät im Pornobusiness zum Problem: Wenn man mit HD jeden Grashalm, jede Pore und jeden Pickel erkennen kann, klingt dies in Bezug auf Pornografie eher abschreckend.

Nachtrag2:
Wie Golem meldet sendet US-Fernsehsender Fox DIE SIMPSONS ab sofort in HD. Um das Ereignis gebührend zu feiern, haben die Macher die fast 20 Jahre alte Serie mit einer neuen Anfangssequenz ausgestattet. Passend zum Anlass schreibt Bart den Satz "HDTV is worth every cent" zig mal an die Tafel der Grundschule und im Wohnzimmer der gelben Familie hängt ein Flachbildschirm an der Wand.