"Kaiser Caligula hat einen Esel zum Konsul ernannt. Insofern stimmt Westerwelles Vergleich: Vor 100 Tagen ist ein Esel Bundesaußenminister geworden." Heiner Geißler
"[...] wir müssen endlich auch an diejenigen denken, die hart arbeiten, die haben auch Familien zu versorgen. Und mehr und mehr werden diejenigen, die arbeiten in Deutschland, zu den Deppen der Nation." Guido Westerwelle im Interview mit dem Deutschlandfunk.
Die Frankfurter Rundschau kommentiert: "Westerwelle kommt offenbar nicht auf den Gedanken, dass sich seine Forderung auch erfüllen ließe, wenn die Einkommen von Geringerverdienern höher wären. Er zielt nicht auf Lohnuntergrenzen oder das Verhindern von Tarifflucht, sondern will den Lohnabstand durch geringere Hartz-IV-Sätze gewährleisten." (FR)
"Die Niveaulosigkeit, mit der bedürftige Menschen als Abzocker gebrandmarkt und Verfehlungen zur höchsten Gefahr für den Sozialstaat erklärt werden, ist kein Zufall, sondern folgt einem Kalkül." (taz)
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Ein dieser Tage im rheinischen Karneval oft gegröhlter Kölner Kneipenhit erklärt, dass, wenn das Trömmelchen ginge, alle parat stünden und durch die Stadt zögen.
Dieses Bild scheint Guido Westerwelle zu motivieren, ganz groß auf die Pauke zu hauen und eine Debatte über Hartz IV vom Zaun zu brechen, die offensichtlich gezielt Widerspruch und Aufruhr provozieren soll. Ein normales Verhalten für eine kleine Partei in der Opposition. Aber halt: die FDP ist ja gar nicht mehr in der Opposition und ihr Chef auch nicht mehr 18prozentiger Leichtmatrose, sondern Vizekanzler und Außenminister.
Indes, der stets fidele Liberalenchef scheint frustriert zu sein. Vielleicht weil er mit dem Außenamt fremdelt, anders als z.B. Joschka Fischer, der in der Beschäftigung mit geopolitischen Fragen von mindestens historischer Tragweite auch körperlich immer mehr aufging.
Gröhlfaz aus der Mehrzweckhalle
Dem "stets übersteuerte[n] Lautsprecher des deutschen Liberalismus" (Wolfgang Stenke) liegen die Nuancen der Diplomatie nicht. Die Zwischentöne interkultureller Differenzen zu verstehen und visionäre geopolitische Strategien zu stricken, ist keine Leidenschaft des Gröhlfaz aus der Mehrzweckhalle.
Dem Fischer Josef waren schon bald Debatten, die sich auch mal um den Antrag auf Verlesung der Ergebnisse der Frauenfußballbundesliga auf Grünen-Parteitagen drehen konnten, zu klein. Er widmete sich lieber dem jroßen Janzen. Und dies konnte er auch nach Lust und Laune tun: Zu Hause managten Claudia Roth, Fritz Kuhn, Renate Künast und Jürgen Trittin den Partei- und Polit-Alltag.
Dagegen hängt die FDP viel stärker von Westerwelle ab; und je mehr zu Tage tritt,
dass sich die frohe Botschaft der Steuersenkung, auf die die FDP sich reduziert hat, nicht wird in Taten umsetzen lassen, desto händeringender sucht die FDP nach Möglichkeiten, sich markant zu positionieren – und blickt auf ihren Chef.
If you can't win by reason - go for volume!
Der jedoch reibt sich in der Doppelbelastung auf. Das tradionell liberale Erbamt des Außenministers spannt den Anwalt aus Bad Honnef in eine straffe Agenda, organisiert und auf ihn appliziert von einer noch strafferen Ministeriums-Administration. Zudem ist er mit einem gewaltigen Lern- und Arbeitspensum konfrontiert. Das verlangt ihm nicht nur viel Kraft ab, sondern spricht eine seiner typischsten Eigenschaften an: einen beflissenen Fleiß gepaart mit dem Wunsch, es all jenen zu zeigen, von denen er sich unterschätzt fühlt.
In der Opposition und auf dem Gebiet der Innenpolitik war Westerwelle stets am Puls, setzte Themen, trieb die große Koalition lustvoll mit süffisanter Rhetorik vor sich her. Am Ziel der Macht angekommen, erscheint die FDP wie paralysiert. Negative Schlagzeilen von den Hotelierspenden als Dank für Klientelpolitik oder der Besetzung einer Schlüsselposition im Gesundheitsministerium mit einem Lobbyisten der privaten Krankenversicherungen bestätigten alte Vorurteile.
Gemäß dem Motto "If you can't win by reason - go for volume." versucht Westerwelle nun mit nervösen Anfällen im Kabinett oder dem Griff ins grobe Register das Bild vom Konfirmanden abzustreifen und seine Partei wieder aus der Devensive zu bringen - ruft aber damit mehr Stirnrunzeln als Respekt hervor.
Der Rüpel vom Fahrradständer und die Klassensprecherin
Die schrille Tonlage nervt vor allem den konservativen Koalitionspartner. Manch einer wird sich die ruhige Professionalität des verlässlichen Münte oder des coolen Steinbrück zurückwünschen.
Dass Westerwelle den Flurschaden nicht erkennt, den er mit seiner diffamierenden Debatte im Vorfeld der nahenden NRW-Landtwagswahl verursacht, zeigt, wie weit er dem innenpolitischen Alltag bereits entrückt ist. Den selbsternannten Arbeiterführer Jürgen Rüttgers wird es freuen.
In der CDU hat Roland Koch sich in der Rolle des Bad Boy und "Tabubrechers" eingerichtet und bedient das konservative Bedürfnis nach markigen Sprüchen und Ressentiment. Weil der hessische Ministerpräsident den Rüpel vom Fahrradständer gibt, kann Angela Merkel sich als Klassensprecherin für alle und Konservative mit Herz darstellen. Eine solche Rollenteilung gibt es in der FDP - spätestens seit dem Tod Möllemanns - nicht (mehr). Hier konzentriert sich alles auf Guido Westerwelle.
Das Scheitern der Anderen
Zudem fehlt dem Oberliberalen, was sein modischer Zwilling und politischer Konkurrent Freiherr zu Guttenberg im Übermaß pflegt: Die Fähigkeit zur 180-Grad-Wende.
Als verkniffener Oberstreber kann der Guido von einem einmal eingeschlagenen
Weg nicht mehr abkehren. Stattdessen trommelt er weiter und lauter auf seiner Trommel.
DIE ZEIT hatte es in einer Zwischenbilanz beschrieben: "Die Kanzlerin hat das Regieren an der Seite der Sozialdemokraten erlernt, während die FDP elf Jahre lang – die längste Spanne in ihrer Geschichte – in die Opposition verbannt war. Die Union hat sich in dieser Zeit pragmatisiert und sozialdemokratisiert, die Liberalen hingegen haben sich in der Opposition radikalisiert." Das macht den beiden "natürlichen Partnern" nun das gemeinsame Regieren schwer bis unmöglich.
Und die SPD kann sich zurücklehnen und die ungewohnte Situation genießen, wie zur Abwechslung andere mit ihrer Zerfleischung Schlagzeilen machen. Sie sollte die Zeit zur programmatischen Erneuerung nutzen, um in Inhalt und Personal eine echte Altenative zu formulieren - die Gelegenheit ist günstig, sich gegen eine Politik zu profilieren, die an Verlustängste der Mittelschicht apelliert, als Erfüllungsgehilfe von Lobbyinteressen agiert und zynische Diffamierung großer Bevölkerungsteile betreibt.
Denn zum Erfolg bei Wahlen gehört etwas mehr, als bloß das Scheitern der Anderen.
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Nachsatz: Aus Anlass der Hartz-IV-Breitseite von Roland Koch erläuterte die taz die hinter solchen Angriffen stehende Systematik und strategische Funktion"Wer Erwerbslose als Nichtstuer abwertet, setzt auf zwei Effekte: Er verschafft denjenigen, die noch Arbeit haben, einen Distinktionsgewinn. Und fördert ihre Bereitschaft, Zumutungen hinzunehmen, um den eigenen Status zu erhalten. Zudem bereitet er den Boden für Kürzungen, die bei vorab diskreditierten Gruppen leichter fallen. Beides ist wichtig für eine Regierung, die realisiert, dass sich Rekordschulden nicht dauerhaft mit Geschenken an die gehobene Mittelschicht verbinden lassen." (taz)
(Bild: vierdrie)