Samstag, Februar 20, 2010

Liebe deine Stadt!

Derselbe Planet - zwei Welten: Im Kölner Stadt Anzeiger wird am Samstag ausgiebig über den Pfusch beim U-Bahn-Bau berichtet ("Geschlampt,. unterschlagen, vertuscht und systematisch gefälscht") . Maßgeblich beteiligt an der Schlamperei sind auch die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB). Diese ist ihrer Aufsichtspflicht offensichtlich nicht genügend nachgekommen und trägt dadurch eine Teilverantwortung für den Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Auch im Zuge der jetzt stattfindenen Ermittlungen und Aufklärungsbemühungen macht die KVB - wie auch andere Beteiligte Firmen und Verwaltungsstellen - keine glückliche Figur.

Daher ist es ein Fall besonderer Ironie, wenn man in derselben Ausgabe dieselbe KVB im Stellenteil eine mit der Überschrift: "Überblick behalten" scahltet. Geboten werden u.a. "eine interessante berufliche Perspektive".


Auch die am Kölner Katastrophen-U-Bahn-Bau beteiligte Baufirma Bilfinger|Berger sucht - ebenfalls in derselben Ausgabe des Stadt-Anzeigers - Mitarbeiter: "Bauleiter Technische Isolierung". "Möchten sie uns bei dieser anspruchsvollen Aufgabe in einem dynamischen Umfeld unterstützen?"

In der Tat hat man den Eindruck, dass die KVB - wie die Politik - dringend Unterstützung dabei braucht, um den Überblick zu behalten, bzw. überhaupt wieder zu gewinnen.

Und Bilfinger-Berger benötigt mit Sicherheit Mitarbeiter -einschließlich der oberen Etagen - , die ihrer Arbeit angemessen verantwortungsvoll nachgehen. Denn: auch wenn sich nun viel Aufmerksamkeit auf gestohlene und verschobene Stahlträger richtet und es um hochkriminelles, verantwortlungsloses Verhalten geht, sollte dies nicht von dem Komplex systematischer Verabredung zu verbrecherischer Ausbeutung öffentlicher Finanzen bei Inkaufnahme der Konsequenzen bis hin zu Gefahr für Leib und Leben der Bevölkerung.

Sofortstrafe bei Pfandflaschenklau

Insbesondere wenn man sieht, wie dieser Tage der Rechtsanwalt aus Bad Honnef in Hartz IV-Empfängern die Ursache für den Kollaps der öffentlichen Haushalte ausgemacht zu haben meint und eine Diffamierungskampagne vom Zaun bricht, anstatt sich die Mühe echter politischer Lösungsvorschläge zu machen oder dass eine Putzfrau ihren Job verliert, weil sie angeblich Pfandflaschen aus dem Müll gelesen und eingelöst habe, muss eine fassungslose Öffentlichkeit konsterniert sein, wenn Verantwortliche und selbsternannte Leistungsträger aus Politik und Wirtschaft trotz wesentlich umfangreicherer Delikte offensichtlich völlig ungerührt und unerreichbar für Sanktionen bleiben.

Im Gegenteil: Figuren wie Ex-Post-Chef und Millionensteuerhinterzieher Klaus Zumwinkel ein Bußgeld zahlen aus der Portokasse und pflegen einen goldenen Rentnerurlaub. Der in Affairen panierte ehemalige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma hat sich spät aber offenbar noch immer rechtzeitig davongejückelt. Von rechtlichen Konsequenzen mit persönlichen Auswirkungen bis zur Pfändung von Ruhegeldern oder ähnlichem ist keine Rede. Und Jürgen Rothers, der z.B. als Regierungspräsident in den Skandal um den Bau der Messehallen verwickelt ist, gibt den empörten Zola. Dessen Erklärung muss den Kölner Bürgerinnen und Bürgern wie ein verspäteter Karnevalsscherz vorkommen:

"Wir müssen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Arbeit, in die Leistungsfähigkeit der Stadt und ihrer Unternehmen wiederherstellen - möglichst schnell und absolut nachhaltig! Da sehe ich mich und die Stadt in der politischen Verantwortung! Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass wir sicher, solide und verlässlich für sie arbeiten. Das gilt aktuell für die Großbaustelle Nord-Süd-Stadtbahn, aber auch für alle anderen Bauvorhaben und Großprojekte. Diese Wiederherstellung des Vertrauen muss uns hier in der Stadt gelingen - das wird Köln auch in der überregionalen Wirkung helfen." (Presseerklärung)

Dat jivv et nur hää!

In Köln wird kein Bürger irgendeiner Partei oder einem Interessenvertreter mehr irgendetwas glauben können. Dabei müssen sich die Bürger auch an ihre eigene Nase fassen: Über Jahrzehnte haben sie den immer dreisteren und plump ausgeführten Schlampereien, Schiebereien und Betrugsfällen tatenlos zugesehen.

Reaktionen und Kritik blieben wahlweise im unpolitischen Carré des Kneipenverzäll oder wurde als rheinische Folklore zur Petitesse verniedlicht ("Dat jivv et nu hä!", "Da mähste jaanix!") und augenzwinkernd als Ausweis dafür genommen, die nördlichste Stadt Italiens zu sein.

So müssen die Kölnerinnen und Kölner sich eingestehen, dass die Plünderung der öffentlichen Kassen durch eine Kollaboration von Amateuren und Kriminellen nicht zuletzt deshalb über Jahrzehnte wachsen konnte, weil sie Verantwortung und Kontrolle delegiert haben und sich auf eine bräsig-duldende Haltung zwischen Passivität, Ohnmacht und Desinteresse (Man denke im Vergleich nur an das Empörungs- und Mobilisierungspotential wenn es um elementardemokratische Themen wie das Rauchverbot in Kneipen geht) zurückgezogen haben.

Ein befreundeter Architekt sagte kürzlich (im unpolitischen Carré eines Abends unter Freunden) zum Vorgang um das Kölner Schauspielhaus: "Wenn man etwas, das einem wichtig ist, jemanden anvertraut und dieser jemand damit schlecht umgeht - dann muss man es ihm wieder wegnehmen."

Köln kann auch anders?

Wann werden die Kölner Bürger endlich einen Punkt erreichen, dass sie sich so sehr für ihre Stadt und ihre Angelegenheiten interessieren, dass sie diese denjenigen abnehmen, die offensichtlich nicht das Gemeinwohl verfolgen und sie sich wieder aneignen?


Einiges deutet immerhin in den letzten Wochen darauf, dass sich etwas ändert:
So sammelt sich in Köln ein wachsender Protest gegen den geplanten und in nächtlicher Sitzung bei schütterer Mehrheit beschlossenen Abriss und Neubau des Schauspielhauses, trotz fragwürdiger inhaltlicher Begründung, überhöhter Kosten und praktizierten architektonischen Analphabetismus.

Der Zusammenschluss "Kölner Komment" thematisiert seit Monaten den Kahlschlag in der Kölner Kultur. Unter dem Motto "Ihr seid Künstler und wir nicht" fuhr ein Karnevalswagen im Rosenmontagszug, aus dessen Lautsprechern ein Protestlied dröhnte die Situation sarkastisch und deftig zusammenfasst ("Ganze Häuser weg - wer kann das schon? David Copperfield - die reinste Illusion"). Die Intiative "Köln kann auch anders" hat ein Bürgerbegehren angeschoben, um den Vorgang in letzter Minute zu stoppen. Es tut sich also etwas.

Es wäre schön, wenn der konkrete Anlass der Verhinderung des Abrisses des Schauspielhauses Auftakt zu einer nachhaltigen aktiven Einmischung Kölner Bürgerinnen und Bürger in die Angelegenheiten ihrer Stadt wäre.

Liebe Deine Stadt

Denn schließlich eint alle eine innigliche Zuneigung zu dieser Stadt, die der Künstler und Initiator der Aktion "Ihr seid Künstler und wir nicht", Merlin Bauer, mit seiner Architekturaktion "Liebe Deine Stadt" auf den Punkt gebracht hat.

Eine Liebe, die viele Schattierungen hat - wie jede Beziehung: Da gibt es auch Ärger, Zorn, Geringschätzung, Augenrollen, Gefühle von Peinlichkeit und Fremdschämen über die Provinzialität, Hässlichkeit, das chronische Unterschreiten der eigenen Möglichkeiten und vieles anderes.

Aber, wie schon ein Kalenderspruch erklärt: Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichtgültigkeit; und viel zu lange standen die Kölnerinnen und Kölner gleichgültig daneben, während ihre Stadt den bach, bzw. Rhein runterzugehen droht (Richtung Düsselorf!).

Auf zahlreichen Postkarten findet sich das "Kölsche Grundgesetz", zu dessen Geboten unter anderem das Diktum zählt: "Et hätt noch immer joot jejange". Aber es ist eben nicht immer gut gegangen. Im Gegenteil: Es ist in den letzten Jahrzehnten immer schlecht und schlechter gegangen.

Ein anderes Kölsches Grundgesetz mag hingegen als Leitmotiv für die überfällige Bürgerbeteiligung, aktive Einmischung und Abrechnung mit dem Filz von Politik, Verwaltung und Wirtschaft dienen:

"Kenn mer nit, bruch mer nit - fott domit!"