Montag, August 08, 2011

Der Räuber

Am Wochenende den sehr gelungenen österreichischen Spielfilm "Der Räuber" von Benjamin Heisenberg gesehen. Der Film basiert auf der wahren Geschichte eines Mannes, der Ende der 80er eine Reihe spektakulärer Banklüberfälle beging. Auf diesem Fall beruht das Buch „Der Räuber“ von Martin Prinz, das Heisenberg, nach seinem preisgekrönten Erstling SCHLÄFER, verfilmt hat.



Im Film lebt Johann Rettenberger nach seiner Haftentlassung als erfolgreicher Marathonläufer mit seiner Freundin Erika in Wien. Immer wieder zieht er zu  Banküberfällen aus, nach denen er der Polizei buchstäblich davon läuft. Dabei geht es ihm nicht um Reichtum, den Kick der Macht oder Gewalt. Wie in Luc Bessons Film "Im Rausch der Tiefe" ist der Held der Welt entrückt. Rettenberger steht in keinem Bezug zu den Kategorien, Motivationen und Ordnungsstrukturen dessen, was man gewöhnlich als "normales Leben" verstehen würde. Eher einem Tier ähnelnd folgt Rettenberger einem unbewusst in ihm angelegten Automatismus, einem Trieb, dem er sich unterwirft und der ihn letztlich absehbar untergehen lassen wird.

Da keine Motivation, Wille oder dingliches Ziel den Helden treibt, wird auch kaum gesprochen (Zuschauer, die die Untertitel  für Hörgeschädigte dazuschalten, um die wenigen gemurmelten Sätze österreichischen Zungenschlags besser verstehen zu können, sehen häufig die Wörter "Stille" und "Schweigen"): Wo es keine Gründe gibt, gibt es nicht zu erläutern.

Rettenberger überfällt Banken nicht, um reich zu werden oder aus Lust an der Gewalt und Macht. Ebenso trainiert er nicht, um Rennen zu gewinnen, Rekordzeiten zu erzielen. Es läuft, um zu laufen. Er läuft, weil er läuft, weil er läuft. Im Grunde will er sich im Laufen auflösen, selber reine Energie werden. "Das was Du Leben nennst, hat mit dem, was ich tue, nichts zu tun", sagt er zu seiner Freundin Erika, als sie seine Identität aufdeckt und ihn fragt, ob sein Leben ihm das bischen Beutegeld wert sei.

Dazu hat Heisenberg unaufgeregte Bilder inszeniert, die die Entwicklung nüchtern protokollarisch präsentieren und in ihrem langsamen Duktus einen intensiven Sog entwickeln. Ein sehr gelungener Film.

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint
Das Gegenteil dazu stellt "Im Angesicht des Verbrechens" dar. Nachdem die Mini-Serie von Dominik Graf über einen jüdisch-russisch-stämmigen Polizisten, der im Milieu der Berliner Russenmafia ermittelt, in vielen Artikeln für seinen Realismus, die Inszenierung und vor allem die autentischen Dialoge hochgelobt wurde, ist die Enttäuschung groß: Die Inszenierung wirkt hölzern und findet keine Form, um die Figuren in Zusammenhängen zu zeigen, die ihre Motivation und ihr Handeln erklären.

Stattdessen wird gequasselt, bis der Arzt kommt. Dabei haben die Deklamationen die Qualität von Beipackzetteln ("Seit 10 Jahren ist unser Bruder tot und immer noch denke ich an ihn und kann keinen Beruf finden, weswegen jede Beziehung zu einem Mann im Schatten dieses Ereignisses steht..") oder bemühter Lyrik ("Die Nacht verschlingt die Sehnsucht einer hoffnungsfrohen Zukunft im kalten Schlund ihrer Erbarmungslosikgeit").

Zudem wird das Ganze zugekleistert mit überambitionierter Ausstattung, dem hasten von einem bemüht, erwartbarem Bildmotiv zum nächsten (Tätowierung, Vodka, Disko, jüdisches Familienfest...). Bei Dominik Graf ist die Russenmafia so subtil und authentisch, wie Sankt Pauli bei Dieter Wedel. HBO macht das subtiler.