Samstag, Juni 23, 2007

Altenburg, Droste, Menschenfreund

Im Flugzeug weiter Matthias Altenburg "Irgendwie alles Sex" gelesen und begeistert gewesen.

Der Name Altenburg war mir wieder in Sinn gekommen, als ich im Nachgang zur Biller-Lesung recherchierte und seinen großartig formulierten Artikel gegen Billers Generalkritik an den Schreibern seiner Generation fand.

Matthias Altenburg schreibt Romane und v.a. sehr kluge, glasklar formulierte, geistreiche, messerscharf gedachte Artikel, Kritiken, Essays, die engagiert, leidenschaftlich und kräftig im Urteil sind, dass einem manchmal die Ohren schlackern ("Es spricht einiges dafür, dass dieser Schriftsteller zwar nicht böswillig, dass er aber dumm ist", schreibt er über Robert Schneider. "Mit Robert Schneiders Büchern hat die Reromantisierung des deutschsprachigen Bestsellers sowohl ihren Höhe- als auch ihren Tiefpunkt erreicht. Dieser Autor appelliert an das Herz aller Gutwilligen und an den Verstand aller Deppen. Da diese beiden Gemeinden eine große Schnittmenge bilden, darf man auch diesmal mit hohen Verkaufszahlen rechnen. Mutete Die Luftgängerin noch an, als habe ein betrunkener Peter Handke versucht, Hermann Hesse zu parodieren, so liest sich der neue Roman, als versuche der tote Hermann Löns den lebenden Patrick Süskind zu plagiieren. Ach was, dieses Buch entzieht sich jedem Vergleich, es ist ein Solitär des Versagens.")

Altenburg LIEBT Literatur (wie die Kunst, die Schönheit, gelungenes Menschsein) und bringt das Kunststück fertig, dass ihm all seine Kenntnis und Kompetenz in Sachen Literatur nicht den Zugang zur echten unanalytischen Begeisterung für die Schönheit von Literatur verstellt. Ob ich in der Lage wäre der Primärlektüre von Flauberts
Erziehung des Gefühls auch nur halb soviel Intelligentes abzugewinnen, wie Altenburg, wage ich zu bezweifeln. Aber Altenburgs Artikel über Flaubert ist mit soviel Begeisterung und Kenntnis geschrieben, dass er durchaus geeignet ist, als Türöffner zu einer Flaubert-Lektüre zu wirken.

Altenburg widmet sich aber in seinen Texten auch und viel der Oberflächlichkeit der Gegenwart und wieder wird deutlich: Der Gegenstand mit dem sich Film, Literatur oder Malerei beschäftigen kann beliebig sein - die Meisterschaft der Ausführung zeigt sich auch am geringsten Gegenstand. "Ich habe eben einen Hang zur Schönheit.", erklärt Altenburg im Interview. "Nur, dass ich sie eben nicht dort finde, wo andere Menschen sie suchen. Ich finde sie an den Rändern, im Ruderalbewuchs. Der Riss in einer Mauer interessier tmich mehr als ein Sonnenuntergang. Kennen Sie Goyas Wandbild "El perro"? Es zeigt nichts als den Kopf eines kleinen Hundes inmiten eines Meer von Farbe. Das bild ist unendlich traurig und unendlich schön. ich habe den Eindruck, sas die Kriterien zur Beurteilung von Kunst mehr und mehr verlorengehen. Es wird nur noch über Inhalte gesprochen. Ständig wir gemäkelt: Dieses sei zu traurig, dieses zu negativ. Da hört man lieber den lustigen Popliteraten zu. Dabei liegt das glück in der Form und nur in der Form. Für den Künstler zählt nur eins: Er muss nach Vollkommenheit streben. Wenn es einemMaler gelingt, ein bestimmtes Blau und ein bestimmtes Rot auf vollkommene Weise nebeneinander zu setzen, dann ist alles erreichet. Egal, ob es sich um das Rot des Blutes und das Blau eines Gewehrlaufes handelt. Er macht aus dem hässlichen Leben schöne Bilder."

Und so schreibt Altenburg in vollendeter Könnerschaft, scheut dabei zuweilen nicht den Griff zur groben Axt. Wie Wiglaf Droste (der, wie Altenburg auch die gelungene Formulierung, den guten Satz, die schön gesetzte Sprache liebt. Das Schöne überhaupt, die gute Küche, die Idylle ungestörter Lektüre, die als Mauer gegen das Gebrüll der Straße hochgezogen werden kann. Die Vehemenz von Drostes Polemik wird allzu leicht mit der Person Droste verwechselt, dabei spricht die Grobschlächtigkeit, die Entschlossenheit zur Beleidigung mehr von dem unbedingten Willen zur Schönheit, zur Vollkommenheit - in einem gelungenen Satz, einem gelungenen Essen, einem gelungenen Moment. Wie für Freud die gestörte Ruhe der vorgeburtlichen Ruhe durch Außeneindrücke der Urssprung allen psychischen Handelns ist und alles Psychische ein Versuch des Ausgleichs zur Wiederherstellung dieses Zustands, der uns im Schlaf für Stunden zuteil wird, ist bei Droste - wie Altenburg der Wille zur Schönheit, Vollkommenheit der Motor für alles Arbeiten. Die Vehemenz der polemischen Schläge gegen die Existenzen Wolf Biermanns, Heinz-Rudolph Kunzes, Wollfjangniedecken, Claudia Roths u.a. entspricht dabei allein der empfundenen Störung des ästhetischen Gleichgewichts und gibt ein Maß für die Sensibilität dieser Männer. Wer Droste allein als Rabauken und Polemiker vom Dienst versteht, hat nichts verstanden. Schleierhaft, wie man in Droste nur den, dasselbe in immer neuen, dabei sich ähnlich bleibenden Variationen der Beleidung "ramenternden" Wüterich wahrnehmen kann. Man muss nur die Gedichte vornehmen, die Berichte über das Wirken des BVB, die Ausflüge mit der Süßen zum Baden durch das verhasste Brandenburg ("Wie totgeprügelt liegt das Land herum. [...] Schießschartenäugig und feindselig belauert der Brandenburger den Durchreisenden, dem er sein Durchreisenkönnen neidet.") oder die zu Tränen rührende Lebensberichterstattung "Der Hans im Unglück der deutschen Literatur. Über Hans Fallada", um eines besseren belehrt zu werden.) ist ihm das vehemente und grobe Urteil eigen - was nicht zu verwechseln ist mit einem Mangel an analytischer Klarheit und Argumenten. Vielmehr arbeitet hier die Einsicht des Volksmund "Viel hilft viel", d.h. wenn das, wogegen man anschreibt grob und gemein ist, dabei vo neiner Natur, sich überall auszubreiten, dann darf man nicht mit der Pinzette rangehen. Auch sollte man sich nicht die Lässigkeit leisten, sich darüber erhaben zu fühlen, sich mit allzu offensichtlicher Einfalt oder schlechten Produkten zu widmen. Im Gegenteil! Man muss dem schlechten Geschmack überall mit Verve entgegentreten. Mit Kanonenfabriken auf Spatzen schießen ist hier das einzig angemessene Verfahren und wir danken Autoren wie Altenburg und Droste, dass sie sich der Lektüre und Rezeption von Reinhold Messner, Cosmopolitan, Robert Schneider, Wolf Biermann, Heinz Rudolph Kunze undwasweißichnichtnochalles aussetzen, für uns, die Leser, Hörer, Schauer - um Warnschilder aufzustellen, auf dass wir gewarnt sind.

"Der Neandertaler mit Abitur ist kein ganz seltener Typus."

Einfaltspinsel könnten nun meinen, dass wer flucht und schimpft, zetert und beleidigt, meckert und mäkelt ein Menschenfeind sei, ein Miesepeter, der außer kritteln nichts kann, der das, was er bekämpft, eigentlich braucht, weil er von der Publizierung seiner Tiraden lebt und das auch weiß und sich dafür selbst am meisten hasst, was die von ihnen beschriebenen und versenkten Kulturprodukte und ihre Hersteller dann umso mehr büßen müssen. Allein es ist genau andersherum. Weil Altenburg, Droste & Co so große Verehrer und Freunde der Kunst, des Menschen, des Lebens, guter Küche, Umgangsformen, Musik usw. sind, sind sie so wütend.

Oberflächlichkeit, grobes Menschsein, ob es nun Konzerne lenkt oder nur den getunten Wagen zur nächsten Sonnenbank sind ihnen ein Dorn im Auge. Die Info-Elite, die jungen Anzugträger, die "Beziehung" statt "Liebe" sagen, "clever" statt "klug" sind ("Banker, Werber, Netzwerkspezialisten, Elite, das alles, jung, hochqualifiziert, im Zweifel ungebildet. Gut gelaunt und modisch on top. denn am teuersten gekleidet ist man immer doprt, wo es am unseriösesten zugeht. in den Banken, den Agenturen, den Autosalson. das rackert zwölf Stunden, das huscht dann in die Puffs und hängt noch ab beim Tabledance (...) Theater hin oder her, die moralischen Anstalten dieser Stadt sind: Messe, Dancefloor, Hurenhaus.") sind Gegenstand der Attacke - aber nicht aus einem empfundenen und zum Zwecke der eigenen Verherrlichung und Höherstellung behaupteten Niveaugefälle, sondern weil sie leidenschaftlich dem Leben zugewandt sind und daher - wie jeder, der bei Verstand ist - die willentliche Unterschreitung der Möglichkeiten des Menschseins nicht ertragen, insbesondere wenn diese Haltung sich als besonders clever und erstrebenswert breitmacht und Politik oder "Volkscharakter" wird.

Gegen die selbstgewählte Dummheit, gegen schlechte Literatur, einfältige Gedanken, schlechte Sprache zieht Altenburg zu Felde und hält mit allem, was er hat drauf und wendet sich darin den Menschen, der Literatur, der Kunst, dem Leben oder auch Frankfurt zu.

Altenburgs Rezensionen ergeben eine Ahnung dessen, was gute Literatur, gutes Schreiben, klares Denken und Sprechen sein könnten indem sie sich am schlecht Geratenen, am Anti-Beispiel abarbeiten. In der präzisen Analyse und der in der Auseinandersetzung mit dem Trash klarer werden einem unter Schmerzen die eigenen Geschmackskategorien umso klarer.

"Es gibt ein Maß an Dilettantismus, vor dem jede Kritik versagen muss. Es gibt Bücher, die von allen Rezensenten mit überzeugenden Argumenten verrissen werden, die aber trotzdem auf den Bestsellerlisten rangieren und deren Autoren weiterschreiben wie zuvor. Ist die Kritik nutzlos? Nein, denn sie richtet sich weder an die Leser noch an die Autoren von Bestsellern, sondern sie hat Teil an der Geschmacksbildung ihres eigenen Publikums, der kleinen Leserschaft des Feuilletons. Hier kann sie warnen und hinweisen, hier kann sie schwärmen und schimpfen, und nur in dieser Beschränkung entfaltet sie ihre Qualität.", so Altenburg.

Der lesenswerte Band "Irgendwie alles Sex", versammelt einige der in den letzten Jahren erschienen Artikel von denen einige im Internet noch verfügbar sind:

Frankfurt, Blicke in: Die Zeit, 42/1999
Ein kalter Romantiker, in: Die Zeit, 51/2000
Toyota-Prosa, in: Die Zeit 9/2000
Alles Kohl, in Die Zeit 17/2000

Ein etwas jüngerer und unbedingt zu lesender Text legt den reaktionären und antidemokratischen Stumpfsinn der Hamsejediehnt- und Zubefehlherroberst-Pädagogik von Brennenmusssalem-Ex-Direktor Bernard Bueb offen:
Weniger Disziplin, bitte! in: Die Zeit 40/2006

Matthias Altenburg im Netz unter www.janseghers.de