Sonntag, Juni 10, 2007

Genua 2001 unvergessen

Während Chefparanoiker Schäuble mit immer neuen bizarren Vorschlägen die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und den Abbau von Bürgerrechten betreibt, um gerade diese vorgeblich zu schützen und dabei vor abstrusesten konstruierten Szenarien nicht zurückschreckt, muss man nicht so weit weg und zeitlich so weit zurückgehen, um sich ein Bild davon zu machen, wie ein Staat aussieht, der sich aufrüstet, um eine Gefahr zu bekämpfen, die entweder in der Form nicht besteht, bzw. von diesem selbst inszeniert wird, um die eigenen Maßnahmen zu rechtfertigen und also v.a. eine Projektion der eigenen Ängste und Wahnvorstellungen ist.


Bei den Protesten rund um den G8-Gipfel in Genua 2001, tötete ein 20jähriger Polizist den 23jährigen Demonstranten Carlo Giuliani mit einem Kopfschuss, als dieser ihn mit einem Feuerlöscher angriff. Dies war der Tiefpunkt gewalttätiger Exzesse, bei denen v.a. die Polizei durch brutalstes Vorgehen gegen friedliche Demanstranten auffiel, während sie sich beim gewalttätigen "schwarzen Block", der in der Stadt Autos und Geschäfte anzündete, auffallend zurückhielt.

Chilenische Zustände

Kein Wunder. Fernsehbilder zeigen, wie Mitglieder des schwarzen Blocks immer wieder mit Polizisten beraten, ganze Brigaden kommandieren. Auch sind zivile Personen zu sehen, die in gesperrten Polizeizonen ein und ausgehen, sich aus LKWs mit Eisenstangen und Anti-G8-T-Shirts "verkleiden".


Fernsehbilder und Augenzeugenberichte belegen, dass Gewalttaten des schwarzen Blocks von Polizisten mit betrieben, gesteuert und geschürt wurden, vermutlich um die Proteste gegen den G8-Gipfel insgesamt zu diskreditieren (In dem Zusammenhang auch interessant: Zivilpolizisten unterwandern den "schwarzen Block" und versuchen, andere Demonstranten zu Straftaten an zu stiften im ZEIT-Weblog), die Panikmache vor dem Gipfel, bei den Demonstranten handle es sich um gewaltbereite Chaoten, zu untermauern, und den 20.000 hochgerüsteten Polizisten einen Anlass zum brutalen Durchgreifen zu geben - allerdings nicht gegen die Gewalttäter, sondern gegen friedliche Demonstranten, darunter Frauen und Jugendliche. Auch Ärzte, Sanitäter und Journalisten werden zusammgeschlagen, getreten. Am Boden liegende, die Hände erhebende Demonstranten werden ebenso von Gruppen gegen Kopf, Arme und Körper getreten, wie Verletzte. Ob sie dabei von Fernsehkameras gefilmt werden, ist den Schlägertrupps gleich.

Journalisten, die verhaftet wurden berichten von Polizeistationen, in denen neben Pornokalendern Portraits von Mussolini hingen. Sie wurden geschlagen, mishandelt, sexuell erniedrigt. Im Lager der Polizisten wurde bei der Nachricht des Todes von Carlo Giuliani gejubelt, mit Sekt auf "das erste Opfer des Krieges" angestoßen und faschistische Lieder gesungen.

Nach Ende des Gipfels, lange als die Demonstrationen aufgehört haben und viele schon auf dem Heimweg sind, überfällt die Polizei eine Schule, in der viele Demonstranten während des Gipfels einen Schlafplatz gefunden hatten. Mehrere hundert Polizisten einer Spezialtruppe stürmen die Schule und prügeln auf die zum Teil bereits in ihren Schlafsäcken liegenden Mensche ein, darunter auch viele Deutsche, wie z.B. eine 62jährige Frau aus Bremen.


Verhaftete wurden im Gefängnis Bolzaneto systematisch verprügelt, gefoltert und erniedrigt. Auf dem Weg vom Polizeiwagen zum Gefängniseingang, mussten die Verhafteten gebückt durch ein Spalier von Polizisten, die sie mit Stockschläge, Fußtritten und Fausthieben traktierten. Zigaretten wurden an den Verhafteten ausgedrückt. Sie wurden gezwungen, faschistische Lieder zu singen.

Die Dokumentation „Die Story - Gipfelstürmer” des WDR vom 24. Juli 2002 belegt mit zuvor unveröffentlichten Bilddokumenten die Menschenrechtsverletzungen von Seiten der in Genua vorgegangenen Sicherheitspolizei. Sie wurde mit dem Deutschen Fernsehpreis als beste Dokumentation 2002 ausgezeichnet.

Bei Google-Video ist der WDR-Dokumentarfilm Gipfelstürmer vollständig abrufbar.

Die Doku ist nichts für schwache Nerven. Nicht nur wegen der dokumentierten Brutalität. Es treibt einem Tränen der Wut und Empörung in die Augen, zu sehen, wie mitten in Europa eine entfesselte, faschistische Soldateska unter den Augen der Weltöffentlichkeit wüten kann.

Das auch nur ein Politiker/in, der/die sich Demokrat/in nennt, es fertig bringt, Berlusconi die Hand zu schütteln, ohne sich vor Übelkeit übergeben zu müssen, macht fassungslos.

Andererseits - wir leben auch in einem Land, dessen Bundeskanzler Vladimir Putin einen "lupenreinen Demokraten" nannte.