Dienstag, September 18, 2007

Langweilig schon heute

Es gibt Artikel, die man in ihrer biederen Vorhersehbarkeit und vorgestanzten Unoriginalität nicht lesen muss. Z.B. einen Artikel über Politnachwuchs, der - ui!ui!ui! - sich die Haare färbt (Tonnerwetter!), auch schon mal fünfe gerade sein lässt, herumköhlert, dass er anecken und unbequem sein will, sich in Stadionkonzerten gehen lässt aber die Familie für den Kern der Gesellschaft und Werte nicht für überholt hält und als Beweis dafür, dass man "auf dem Boden geblieben" ist, den Umstand ausstellt, dass man in einer WG (Tonnerwetter!) in Kreuzberg (Mann, piss die Wand an!) lebe oder immer noch selber einkaufen gehe.


Der mit gröbsten Kategorien arbeitende und darum nie einen Trend aufspürende, sondern immer hinterherschreibende, immer der gerade gängigen Mehrheitssprachregelung (die zudem in der eigenen Branche ventiliert wird) inzestuös ab- und hinterherschreibende Verarbeitungs- und Einordnungsapparat deutscher Journaille sieht eine Frau um die 30, in der Politik, die sich die Haare färbt oder blond und nicht völlig entstellt ist und prompt knallt die Schublade "Jugend, Weiblichkeit und ein Quäntchen Sex-Appeal" auf, kommt die Idee auf "Da könnten wir doch mal eine Serie draus machen und macht die Zeitung dann mit Berufsjugendlichen wie Andrea Nahles oder dem Söder Markus, zu dem Kurt Kister bereits Letztes geschrieben hat, voll. (Man freut sich schon jetzt auf die Fotostrecke deutscher "Nachwuchspolitikerinnen" leicht bekleidet in Max.)

Nur Menschen, denen bei der Kommentierung von Parteitagen und Präsidentschaften Simulationsvokabeln wie "Weltläufte", "Diadochenkämpfe" oder "Pyrrhussieg" aus der Feder fließen, halten ein solches Inventarium für die Ingridenzien eines "kantigen Profils", gar für Persönlichkeit.

Dabei entsprechen die Politdarsteller und die mit ihnen im Berlin-Raumschiff eingesperrten Berufsbeschreiber einander in ihren limitierten sprachlichen wie analytischen Mitteln, deren (im Anfang als Talent mitgebrachte) Schärfe oder korrekter Zugriff in der Geschlossenheit des "politisch-publizistischen Apparates" ausgekocht wird, bis alles leicht verdaulich und sogar für Journalisten einordbar geworden ist.

Der Politneuling der mit eigenen Ideen, einer eigenen Sprache, einer eigenen Herkunft nach Berlin kommt ist schon nach einem Jahr im lauwarmen Bad, in dem Journalisten, Politiker und Verbandsvertreter vor sich hin dösen von Pressekonferenzen, Empfängen, wichtigtuerischen Hinterzimmergesprächen und Essensverabredungen auf das Einheitsniveau Berliner Politik heruntergekocht. Rasch lernt man die Klaviatur der Sprache und Themen, der Selbstkonzeptionierung, wichtiger: Selbstgestaltung, die sich vermitteln, verkaufen und "rüberbringen" lässt - oder man schaut dem bunten Berliner Treiben verschwindet von den Hinterbänken zu.

Entscheidend ist, dass man nach Bewertung des Ausgangsmaterials (Aussehen, Biographie, bestimmte Eigentschaften/Kompetenzen) aus ebendiesem einen "Typ" komponiert, der in seiner Grobheit selbst dem Dümmsten einsichtig wird.

"Da verwundert es nicht, dass sich Koch-Mehrin ein Thema ausgesucht hat, das deutlich sexier ist: Familienpolitik. Mit Ihrem Buch "Schwestern - Streitschrift für einen neuen Feminismus" mischte sie sich in die frauen- und familienpolitische Diskussion in Deutschland ein. Der Titel klingt dröge. Und nach Alice Schwarzer.
Das dünne Büchlein ist aber unterhaltsam geschrieben und enthält statt scharfer Thesen bunte und persönliche Anekdoten aus dem Leben einer berufstätigen Mutter. Alles ganz nach Koch-Mehrins Leitspruch: "Das Private ist politisch." Der Erfolg blieb nicht aus. [...]
Für Aufsehen sorgte die promovierte Volkswirtschaftlerin bereits während ihrer zweiten Schwangerschaft, als sie ihren Baby-Bauch vom Stern fotografieren ließ." (SZ)

Nur mit soziologischen und psychologischen Mitteln lässt sich vermutlich der Vorgang beschreiben, wenn aus Menschen Politiker, bzw. Journalisten werden und sie entkoppelt von der Wirklichkeit beginnen, ihr Selbstsein in Pressemitteilungs- und Verlautbarungsdeutsch zu erzählen und sich mit Kategorien verwechseln, die sie für politisch halten, die aber doch zuallererst nur den gerade umlauffähigen Kommunikations-Konsens darstellen.

Ein Meister dieser Beschreibung ist und bleibt Kurt Kister, der fünf Jahre für die SZ aus der Hauptstadt berichtet hat. Im SZ-Magazin beschrieb Kister zehn Phänotypen ("Laurenz Meyer und andere Looser") des Berliner Politbetriebes, "die er am meisten vermissen wird"- Die Pfaueninsel

Auch lesenswert die "Post-Gerd-Ära" ebenfalls von Kurt Kister