Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, in diese oder jene Stadt zu ziehen. Mancher zieht der hohen Kioskdichte wegen nach Dortmund oder weil die Kioske dort die unwiderstehlich autentisch deskriptive Bezeichnung "Trinkhalle" tragen. Ein Grund nach Berlin zu ziehen ist mit Sicherheit, dass es dort Videotheken gibt, die auch Sonntags und bis tief in die Nacht geöffnet haben.
Mancher zieht nach Münster, weil er Wilsberg sehen und den Satz von der schwierigen Lage am Wohnungsmarkt leben möchte und sich nicht bis London traut.
Einer der vielen Gründe, es in Köln gut auszuhalten ist nicht nur das erfrischende Naturell der Einheimischen ("Pass op, do Aaaschloch!"), sondern auch das breite Angebot an Kneipen, Restaurants, Musik und der vielen zu entdeckenden Ecken. So findet man im belgischen Viertel, das, was man von Berlin immer geholmt und gefriebet wird, in klein und angenehm vor: Gut gekleidete, attraktive 30somethings, hinter Schaufenstern, die an großen Apple-Bildschirmen einer mehr oder weniger kreativen Selbstausbeutung nachgehen und ihre Converse-Sneaker, Armani-schwarzrahm-Brille und Cordsackos mittags und abends in durch das Viertel mäandernde gut ausgebauter Freizeit- und Entspannungsinfrastruktur für nicht-mehr-Kinder-und-noch-nicht-so-ganz-Erwachsene lenken.
Das Studio von Ehrensenf findet sich ebenso, wie sehr geschmackvolle Feinkostläden und Weinfachgeschäfte, in denen man schlichte, im Zeitlupentempo zubereitete, von überfordertem Personal nicht innerhalb von 3 Parsec servierte, überteuerte, exotische Speisen wie Nudeln mit Tomatensuppe ("Ab wieviel Bildung muss man eigentlich Pasta sagen, statt Nudeln?") zu sich nehmen kann.
Auf der Aachener Straße laden der überbewertete Salon Schmitz, die schön eingerichtete, riesige Bar Tabac, in der der FC Bayern München seine Meisterschaften gleichzeitig mit den Auf- und Abstiegsfeiern des FC Köln abhalten könnte und es lecker Flammkuchen gibt oder das Bauturmtheater, in dem für alle, die mal nicht ins Kino gehen wollen aber sich auch nicht mit Kultur überanstrengen wollen, seit gefühlten 2o3472347096645679213 Jahren "Kunst" von Yasmina Reza läuft.
Wenn man auf der Aachener Straße in das Schaufenster der Nr. 27 schaut, meint man, zunächst, in ein Museum, eine Galerie oder einen Apple-Showroom zu blicken. Dabei stimmt von allem etwas.
Hier findet sich Filmkunst 27, eine Videothek für den guten cineastischen Geschmack, die dadurch besticht, dass Form und Inhalt Hand in Hand gehen. "Warum muss etwas, das gut ist, schlecht aussehen oder sich unattraktiv präsentieren?", mag sich Hannah Sondermann gefragt haben, als sie ihren Laden einrichtete. Dieser bietet ein hervorragendes Sortiment in ästhetisch-geschmackvollem Ambiente. Das CI bildet sich auf der Internetseite ebenso wie der Visitenkarte ab und man erkennt: Hier waltet ein alle Kommunikations- und Distributionskanäle durchformender Stil als ästhetische Haltung und Programmlinie.
Herkömmliche Videotheken arbeiten sich heute oftmals noch am ästehtischen Ballast der 80er Jahre mit handgemalten Covern, "Die Supernasen", "Terence Hill & Bud Spencer", "Michael Dudikoff"-Serien und Ramschporno ab. Mit dem Charme cineastischer Verrichtungsboxen konzentrieren sie sich darauf, den Weg zum aktuellen Blockbuster oder Videospiel so kurz und irritationsfrei wie möglich zu gestalten, damit sich das mentale Prekariat mit Medien versorgen kann, die das geräusch- und schmerzlose Versickern des eigenen Dasein im Bermuda-Dreieck von Mediamarkt, Fitness-Studio und Sonnenbank erleichtern.
In Räumlichkeiten, die in ihrem Dekor mit einer Überfrachtung an Spiegeln und Pappaufstellern der großen Stars, sowie den Glamour behauptenden Namen (Video Palace, Empire, Movie Colosseum) doch v.a. das erfolglose Bemühen um und also die Abwesenheit von Grandezza dokumentieren, sucht man europäisches Kino oftmals vergebens, während Furz- und Kotzwitzfilme sich in ausreichender Menge finden.
Um so angenehmer für das Auge und Gemüt "Filmkunst 27". Dessen umfangreiches Filmangebot kommt in klar aufgeräumter Aufbereitung daher, überfordert beim Sichten nicht und präsentiert sich in musealer Klarheit, ohne dabei - bei aller Reduktion - die aseptische sinnenfeindliche Atmosphäre eines Operationsraums zu vermitteln. Die Kaffeebar bietet die Gelegenheit sich länger niederzulassen, mit dem freundlichen Personal über Filme zu plaudern und die Zeit verstreichen zu lassen.
Die Filmpalette bietet nahezu jede Sparte, vom aserbaidschanischen Frauenproblemfilm mit Untertiteln in Farsi, über die unvermeidlichen und doch oft vergebens gesuchten Klassiker bis zu Dokumentarfilmen wie Working Man's Death oder Unser täglich Brot, die man in der EMPIRE Videothek vergeblich zwischen "Tripple X" und "Saw III" sucht.
Bei aller Differenziertheit kommt Filmkunst 27 dabei ohne die verkniffene oberstudienratige Besserwisserattüde eines Connaisseur de Cinema daher, der außer Eric Romer, Bernhard Wicki, Fassbinder und Antonioni nichts gelten lässt. So finden sich in den Regalen auch "guilty pleasures" wie "Fluch der Karibik", "Starsky and Hutch", "Weding Crashers" oder "Sex and the City". Jedoch dominiert der Qualitätsfilm eindeutig das Programm.
Für einen Jahresbeitrag von 10 Euro kann man eine Kundenkarte erwerben, mit der die Ausleihe eines Films für 2 Tage nur 2,50 kostet.
Filmkunst 27, Aachener Straße 27, 50674 Köln
www.filmkunst27.de