Mittwoch, Mai 14, 2008

ICH KAHN

Oliver "Olli" Kahn dokumentiert unter der unnachahmlichen Überschrift "Ich Kahn. Meine Titan-Geheimnisse" in der Wochenzeitung DIE ZEIT in unnachahmlicher , ausschließlich in unmittlbarem Präsenz (er)lebender Grundschulaufsatzprosa alle vegetativen und psychischen Aktivitäten, die sich aus der ihm zugänglichen Innenwelt entgegenstrecken.

Da sind sensuelle Eindrücke, aber auch propriozeptive Wahrnehmungen: "Ich mag schöne Autos, habe ein weißes, ein rotes und ein fast schwarzes." Wie ein zufriedenes Kind strukturiert sich die Welt von "King Kong Kahn" (Franz Josef Wagner) in "Dinge, die ich mag und Dinge, die ich nicht mag.".

"Ich habe kein eigenes Boot, keine Yacht, und sowieso kein Flugzeug. Allerdings fliege ich gerne, und hab‘ auch schon mal einen Learjet von innen gesehen. Ach ja, und ich spiele Golf." (Bild)

Dieses Ordnungsprinzip von gut/schlecht, mag ich/magichnicht, schön/hässlich, willich/willichnicht reicht nicht nur, um ein nach äußeren Maßstäben sehr erfolgreiches Leben zu führen, sondern sogar, um ein Idol zu werden.

Bezeichnend ist die kindlich sprunghafte Impulsivität, mit der die eigenen - wenn auch moderaten - Bedürfnisse abgelauscht und umgesetzt werden. Wenn die Welt derartig einfach strukturiert wird, erscheint sie auch einfach. Der Ball ist im Tor oder nicht. Gut oder nicht gut. Wer die Welt so einfach strukturiert und über allein 2 Kategorien verwaltet, muss notwendig recht ruhig werden (weil er nicht in so vielen differenzierte Kategorien operieren und einordnen muss) und eine Selbstwahrnehmung entwickeln, die zwischen Entspanntheit und selbststilisierter Überlegenheit liegt. Weswegen der von oben an den Leser gerichtete Gottvater-Erzählduktus auch der einzig angemessene ist.

Ein Erzählstil, der in der Vergangenheit typisch war, als es noch eine Welt gab, in der es allgemein verbindliche (Be)Deutungen gab und nicht die postmoderne, in widersprüchliche Lagen zerfasernde Vielgestaltigkeit.
Dieser Erzählstil, der heute noch in einigen Genres wie dem Kitschroman, der Erbauungsliteratur à la Hera Lind, Moppel-Fröhlich & Co oder dem Schlager als Hintergrundgeräusch eines Versprechens auf Eindeutigkeit und Versprechen einer Auflösung zum Guten einlullt und gezielt als solches Anästhetikum gesucht und konsumiert wird, von den Traurigen, den Dicken, den Einsamen, den Verworrenen, suggeriert immer mehr über die Welt zu wissen, als der Leser. Das beruhigt diesen, da er sich einen Weg geführt sieht, bei dem das gute Ende schon vorgezeichnet ist (oder wenigstens, wenn es vielleicht mal nicht gut ist, ein "Sinn" enthalten ist, der keine Fragen offen lässt.) .

Entsprechend der Erzählstil des "Nun mein lieber Leser, was wird unser Held nun wohl als nächstes tun? Schlagen wir die nächste Seite auf..." , der immer wieder durchscheinen lässt, dass hier nicht unwägbares und unvorhersehbares Leben passiert, sondern sich ein sinnvoller Plan entfaltet.

In diesem Sinne ist Vulkan-Kahn (FJW) ein echter Mensch des Mittelalters. Wir müssen uns Oliver Kahn als einen zufriedenen Menschen vorstellen: "Ich fahre gerne schön in Urlaub und miete mir ein Boot."

Wir geben hier die schönste Stelle, die am heutigen Tag in der deutschsprachigen Presse gedruckt steht, in der Original-Setzung, d.h. inclusive eingefügter Leerzeile wieder. Denn erst durch den Absatz, bekommt der Satz seine Schönheit:

"1994, in meinem ersten Jahr beim FC Bayern München, erlitt ich einen Kreuzbandriss. Ich war für fünf Monate außer Gefecht gesetzt.

Hier unterbreche ich, bevor Sie zu Tränen gerührt sind.
"

(Bild)

Hier unterbrechen wir, weil Sie, liebe Leserin, lieber Leser, vermutlich schon auf die Tastatur weinen...