Schon an anderer Stelle widmeten wir uns den sich im unterschiedlichen Leseverhalten und Aufmerkstrom abbildenden Profilunterschieden der Leserschaften unterschiedlicher Tageszeitungen und ihrer Online-Ausgaben. Heute die erweiterte These: Es ist nicht zwingend so, dass die Leserinnen und Leser der jeweiligen Publikationen entsprechend, sich für Wirtschaft, Kultur oder Politik interessieren und allein die Bild-Online-Gucker sich für die neuesten Nachrichten aus dem Schritt irgendwelcher C-Prominenter interessieren.
Online interessieren sich alle Nutzer v.a. für Kursioses und Skurriles. Gesucht ist der schnelle Konsum, die kurzfristige Erregung. Die wenigsten Menschen lesen eine 12-Seiten-Analyse über Barack Obamas Wahlkampfstrategie online. Da klickt man sich lieber durch die 34764928479. Bildergalerie ("Soooo schön ist Jennifer Aniston", "Die Kennedys - Glanz und Elend einer Familie", "Die vielen Gesichter von Madonna").
Manche der das Kernangebot der Printausgabe ausmachenden Artikel werden auch online gestellt. Zumeist muss dafür bezahlt werden, was aber - so darf vermutet werden - kaum Abonenntenzahlen bringt, denn: Online gelten andere Regeln - und es herrscht ein anderer Ton.
Der ist zumeist flapsiger, wie auch die Themenauswahl einem anderen Gesetz zu folgen scheint.
Am nachhaltigsten hat YouTube seine Spuren in der Online-Medienwelt hinterlassen. Nur noch wenige Tageszeitungen und Magazine leisten sich den Luxus, keine Videos anzubieten. Online konsumieren die Nutzer am Liebsten Videos. Wer sich in der Mittagspause informieren will, schaut sich schnell den Nachrichten im Video-Überblick an. Mit entsprechenden Konsequenzen:
"Last year, by one estimate, the video site YouTube, owned by Google, consumed as much bandwidth as the entire Internet did in 2000." (IHT)
Die Online-Ausgabe der Süddeutschen beschäftigt sich in ganzen Artikeln, die in Form und Inhalt im Grunde schon Blog-Charakter haben, mit "dem Internetvideo der Woche". Der Duktus und Sprachstil des publizistisch-öffentlichen Raumes weicht dem marktschreierischen Erzählstil der Studentenparty "Alter, neulich hat mir ein Kumpel ein Video geschickt, dass war irgendwie voll krass...musst Du mal bei YouTube gucken ... gibst Du 2 girls 1 cup ein...HAMMER!"
So kommen die in die Mailserver von Verwaltungen und Firmen belastenden Sekretärinnenrundmails herumgereichten lustigen Videos, Bildchen und Powerpointpräsentation ("Der wahre Unterschied zwischen Mann und Frau") zu publizistischen Ehren.
Noch ein Schritt weiter wird dann um ein verfügbares YouTube, das den Schau(er)wert des Skurrilen, Ekligen oder Erschröcklichen ("Mann mit Elefantentumor im Gesicht wird operiert", "Gröter Mann der Welt heiratet kleinste Frau der Welt", "Frau verlässt 1 Jahr lang nicht das Klo") bedient, ein Artikel gestrickt um die Legitimation für das Zeigen zu generieren, obschon die Dürftigkeit des um das ausgestellte Bildmaterial deutlich signalisiert, dass das Zeigen und Ausstellen, das Abzielen auf die emotionale Erregung des Betrachters hier allein der Existenzgrund ist.
Es zeigt sich, dass bei aller Abgeklärtheit, die nicht zuletzt durch die Allverfügbarkeit von Informationen entsteht, ein kindliches Interesse für das Abwegige bleibt und sich in entsprechendem Interesse für Gesellschaftsberichten, Klatschgeschichten sowie Polizei- und Gerichtsreportagen niederschlägt.
So auch bei einem Bericht über einen Mann, der in den USA von einem Auto überfahren und von Passanten und vorbeifahrenden Autofahrern liegengelassen wurde. Den Artikeln u.a. in Spiegel, Süddeutsche, Welt sind Fotos und v.a. das bei YouTube verfügbare Video einer Überwachungskamera beigestellt.
Dabei eigenet sich die das absonderliche Material zur Schau stellenden Medien den Ton der moralischen Entrüstung oder des gestellten Entsetzens an, um sich - un den Betrachter -auf der richtigen Seite zu wissen und unterschlägt dabei den pornographischen Akt der allein auf publizistische Ausbeutung des Elends des gezeigten abzielt. : "SEHEN SIE HIER, wie ein Mann überfahren wird UND KEIN PASSANT HILFT!" (Schweine!)
Die Bild-Zeitung praktiziert dies täglich, wenn sie z.B. Opfer von sexueller Gewalt in Bild oder Sprache ausstellt und detailliert beschreibt, welche Art der Gewalt geschehen ist und damit die auf Schauer oder Erregung abzielenden Bedürfnisse der Leserschaft Aber es ist eben nicht nur die Bild.
Wenn es um Klickzahlen geht, scheint die Barriere niedriger zu liegen.