Mittwoch, Oktober 29, 2008

Mehr Obama wagen

Wenn am 4. November Barack Obama sich seinen begeisterten Anhängern als gewählter Präsident präsentieren wird, sollten die Republikaner sich die Zeit nehmen, die Obama-Kampagne hinsichtlich Strategie und Auftreten genau zu analysieren.

Abgesehen von den Personen und Inhalten war es v.a. die thematische und visuelle Geschlossenheit der Obama-Kampagne, die die McCain-Kampagne mächtig alt hat aussehen lassen. Der Einsatz des Internets, die Strategie, auf die Mobilisierung von Erstwählern zu setzen, die Registrierung von Wählern zu unterstützen (Die Informations- und Hilfemaßnahmen, um sicher zu stellen, dass Wähler, die für Obama stimmen wollen, registriert und ihre Stimmen auch gezählt werden, laufen unter dem famosen Titel "Voter Protection"), auf Kleinstspenden zu setzen - mit all diesen Mitteln ist es der Obama Kampagne gelungen den Geist einer "Bewegung" zu erzeugen, der von den Bürgern getragen wird, im Unterschied zu einem nach Schema F routiniert heruntergespulten Wahlkampf der Konservativen, der zunehmend auseinanderläuft und dem es nicht gelungen ist, einen solchen "konservativen Geist", eine Botschaft zu erzeugen.

Eine weitere Deklination der Obama-CI: Die Videos des Demokraten sind, wie das ganze Design der Kampagne, sympathisch, professionell und fügen sich in das thematische und visuelle Gesamterscheinungsbild.



Nicht die Obama-Kampagne

Die Obama-Kampagne ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie eine CI von einzelnen, einfachen Kernideen ausgehend, in Schlüsselbegriffe ("Change", "Grassroot Movement") übersetzt wird, um dann durch verschiedene Medien dekliniert zu werden - und somit Botschaften und eine Gestalt erzeugt, mit denen die Menschen etwas verbinden, die die Menschen im Wortsinne "bewegen", sich z.B. als Freiwillige zu engagieren.

Diese, durch alle Segmente konsequent und hochprofessionell durchdeklinierte CI ist es, die das Gerüst für eine Gestalt bietet, gegenüber der die McCain Kampagne ("a campaign that was described even by many Republicans as incoherent, negative and badly run." NY Times) wie ein Flickenteppich klassischer Zitate von Ehre, Vaterland, Patriotismus und niedriger Steuern erscheint.

Die Obama-CI fängt an bei den Kernbegriffen von "Change", "Grassroot Movement", "Vote" usw. Sie umfasst eine bestimmte Sprachpolitik, die sich in Reden, Pressemitteilungen, Webtexten, E-Mails, usw. umsetzt, die den unprätentiösen Ton der Bürgerschaftsbewegung anschlägt, wird in einem sympathischen und doch Geschlossenheit und Professionalität transportierenden Design fortgesetzt, das sich auch in den Videos reflektiert, die die Freiwilligen in das Zentrum rücken und diese Wahl als Gelegenheit darstellt, selbst aktiv zu werden - und nicht als Vehikel, um einer bestimmten Partei an die Macht zu verhelfen.

Inhalte und Oberfläche verbinden sich in der Obama-Kampagne auf das innigste, so das kaum erkennbar ist, was wodurch erzeugt wird. Mancher mag Design und Erscheinungsbild als Ausfluss von Inhalten und also nachrangig abwerten - und übersieht dabei, dass das Bemühen um ein Erscheinungsbild immer auf die Notwendigkeit der Selbstvergewisserung verweist: Zunächst muss die Botschaft auf eine glasklar formulierbare Idee gebracht werden, bevor man die Deklination durch die Genres angehen kann, bis hinunter zu Fragen, wie man Veranstaltungen inszeniert, welche Give-Aways tabu sind, welche Wörter in Reden, E-Mails und Mitteilungen erscheinen müssen, ob man runde oder eckige Aufkleber macht usw.

Sich diesem Prozess zu entziehen bedeutet auch, sich nicht der Notwendigkeit der programmatischen Selbstvergewisserung zu stellen. Gerade in Deutschland wird Oberfläche gern mit Oberflächlichkeit verwechselt und dabei übersehen, dass das Ringen um eine Gestalt mehr ist als das Malen von Logos, dem Aufblasen von Luftballons, dem Verteilen von Einwegkugelschreibern und Rosen in den Fußgängerzonen.

Die gesellschaftlichen Herausforderungen heute werden all zu oft ausschließlich als technokratische Aufgabestellungen für Spezialdisziplinen dargestellt und wahrgenommen: Politik erscheint als ein ausschließliches Handlungsfeld für Juristen und Ökonomen. Dabei fußen Sachentscheidungen immer in Grundsatzhaltungen, Anschauung und Überzeugungen.
Deutsche Politiker liefern sich aber gerne einen Wettbewerb der Unaufgeregtheit, treten als in unzähligen Sitzungsleitungen vom Ortsverband bis zum Bundesparteitag gestählte Verhandlungsführer auf, die jenseits von Anschauungen die juristischen Finessen in Fachausschüssen verhandeln. Man versucht dem "Ideologieverdacht" aus dem Weg zu gehen und sich als sachkundiger Fleißarbeiter zu profilieren - und erscheint dadurch als austauschbarer Bürokrat.

Warum Parteien wählen, wenn "Staat" letztlich eine objektive "Anstalt" ist, in der Prozesse abgewickelt werden, anstatt Entwürfe und Vorstellungen von einem gewünschten Zusstand des Öffentlichen umgesetzt und gestaltet werden? Da muss man sich nicht wundern, wenn Wahlbeteiligungen gering sind und ein trüber Gleichmut sich breit macht. Natürlich sind die amerikanischen Verhältnisse nicht auf Deutschland zu übertragen und das amerikanische Pathos von Freiheit und Bestimmung klänge aus deutschen Mündern wenigstens befremdlich. Aber dennoch könnte man von der Obama-Kampagne einiges lernen.