Freitag, Mai 08, 2009

Der Junge im gestreiften Pyjama

"Nach Auschwitz keine Gedichte mehr, aber immer mehr Auschwitz-Filme. Das kann doch nicht wahr sein."


Im Deutschlandfunk kritisiert Josef Schnelle die Verfilmung des erfolgreichen Kinder- und Jugendbuchs "Der Junge im gestreiften Pyjama", der seiner Ansicht nach "ein Skandal" ist, "der zumindest alle, die einmal Eugen Kogons KZ-Bericht "Der SS-Staat" gelesen haben, fassungslos zurücklässt."

In der Romanvorlage erzählt der irische Schriftsteller John Boyne von einer unwahrscheinlichen Freundschaft: der neunjährige Bruno, Sohn des Lagerkommandanten in Auschwitz, freundet sich am Lagerzaun mit dem gleichaltrigen Schmuel an und verschwindet eines Tages durch den Zaun und auf der anderen Seite.

Ähnlich wie in Roberto Benignis "Das Leben ist schön" wird die Unvorstellbarkeit des Holocaust aus der verfremdenden Perspektive eines Kindes erzählt. Wo jedoch bei Benigni die Unmöglichkeit des Erzählens durch die Verfremdung in Poesie übersetzt wird, gerät - so Schnelle - es hier zur Kulisse und Material, um die übliche Hollywooddramaturgie abzuspulen.

Schnelle ordnet den Film als jüngstes Exemplar eines neuen Genres ein, dass "nicht ohne Grund Harry-Potter-Produzent David Heyman entdeckt hat" und das - ähnlich wie Bernahrd Schlinks "Vorleser" - einem Trend folgt, in dem sich alles Erinnern mehr und mehr in Emotionalität verliert und das Mahnen (und die Mahnenden) zunehmend als störender und unangenehmer erlebt werden, als das, woran gemahnt wird und es möglich wird, diese Lästigkeit unter Beifall in der Paulskirche als Drohroutine und Moralkeule zu diskreditieren.

Schnelle empfiehlt:

"Wer wirklich etwas über das Innenleben eines Lagerkommandanten und seiner Familie wissen will, der sollte sich weiterhin an Theodor Kotullas Film von 1977 "Aus einem deutschen Leben" halten. In dem spielt Götz George mit kalter Präzision den Ausschwitzschlächter Rudolf Höß frei nach dessen Tagebüchern."