Wenn man die Ahoi!-aufgebrausten Texte im Umfeld von ZIA, Friebe & Co liest, erwartet man bei einem Festival dieser sich als Szene behauptenden und "Wir" sagenden Protagonisten ein Feuerwerk spritzig geführter Debatten oder wenigstens gut angezogene Leute.
Umso ernüchternder, wenn man das Programm von 9to5 überfliegt, das neben der Realeinlösung von im Medientreibhaus rund um Hypethemen (Blogosphäre! Berlin!) ventilierten Namen und Marken BunzNiggemeierSpreadshirtPassigBildblog und dem damit verbundenen Abnicken der Redundanz des Bekannten, v.a. biedere Angebote bereithält, als säße man in einer Informationsveranstaltung des Studentenwerks der Uni Münster, von deren Einfallslosigkeit nur der Pop behauptende Titel ablenkt. Zeitmanagement, Steuertipps, rechtliche Bedingungen für Start Ups. Gähn.
Die "der Stimmung auf den Sommerakademien einer Schwerstbegabtenstiftung" (SZ) vergleichbare Atmosphäre ist allerdings keine Enttäuschung, da die Bob-Andrews-Gang mit ihrer W-Lan-Ideologie nie behauptet hat, Rock 'n Roll zu verkaufen, sondern immer klar die Fortsetzung von Arbeitgeberpräsident Hundt (Mittelstand! Investitionen!) mit anderen Begriffen betrieben hat, das ganze nur unpolitischer, affirmativer, mit unbedingtem Willen zur maximalen Ausdehnung juveniler Verantwortlungslosigkeit und der Konzentration des universitär aufgespexten Denk- und Sprachapparates auf Produkte der "Knalloballokultur" (Max Glodt).
Für ein vorhersehbares, ununterhaltsames Programm, in unattraktiver Umgebung, mit humor-, wortwitz- und geistfreier Moderation Eintritt zu bezahlen - kann man das nicht an der Universtität haben? Wenn man dann noch die spröde Einführungsseminaratmosphäre hört, die über das Podcast durch das Kabel kriecht, ist der Hörsaal-Eindruck perfekt.
Mit antinomisch gesampleten Titeln und interpretativen Zuordnungen unterlaufenden, allesabdeckenden Definitionen wie kapitalistisch-sozialistisches Joint Venture oder Fragen wie z.B., was ein linker Neoliberlasmus sei, erschöpft sich auch schon die Spritzigkeit. Kaum ist das Mikrophon freigegeben, bricht die Ödnis in Gedanken und Sprache los, an deren Spitze sich encore une fois Dr. Mercedes Bunz als Protagonsitin eines inhaltlich und sprachlich kalorienarm en im Vortragsstil absolut Bundestagsfähigen Beitrag behauptet.
Zugegeben - wir haben es nicht ertragen, den monoton und mit zittriger Stimme vom Blatt gelesenen Beitrag von Dr. Bunz länger als 3 Minuten zuzuhören, denn, Hey!, wir haben schon zuviel Erstsemesterreferatspremieren mit unoriginell aneinandergereihten, mehr zu bedeuten behauptenden Plattitüden nachdenklicher Mädchen gehört, die den Grundsatz, dass das Gegenteil von gut gut gemeint ist, bestätigen und v.a. so schnell als möglich mit den Alten zusammen nach Bayreuth düsen wollen. Dabeisein, Dazugehören, ist diesen sich bei Jugendlichen als coolere Erwachsene, bei den Erwachsenen als Connaisseurs eines erstrebenswerten Jugendpopdiskurs empfehlenden Figuren, alles. Als Kinder verkleiden sie sich als und spielen Erwachsene. Als 30somethings irgendwie im Erwachsensein angekommen, wollen sie das nicht sein und verkleiden sich als Jugendliche und mixen sich mit Sneakern, H&M-Cord-Jackets, Notebook, mehr oder weniger differenziertem Musik- und Modegeschmack einen Transferstil zusammen, der hilft die Statuspassage ästhetisch zu dämpfen, während sie mit zunehmenden Alter seltener in Bars herumhängen, im Supermarkt als Erstes das Tchibo/TCM-Regal ansteuern, nach Partnerschaft und Familie und darum auch ins Establishment drängen. Der Gestus und Stil behauptet Hippness. Die Mentalität ist die der Eltern, bzw. Großeltern.
Im unbedingten Willen zum biographisch-kommerziellen Durchbruch verkommt die Individualität zur Masche, nah an der Grenze zur Selbstparodie. Die im selben thematischen Umfeld und Tätigkeitstümpel (Journalist/Blog/irgendwasmitmedien/Agentur) mehr oder weniger verbundene Berlin-Combo geht den im Spiegel ihrer universitären Halbbildung zur Zeichenhaftigkeit aufgeblasenen Alltagstrivialitäten auf den Leim.
Entweder, weil sie wirklich meinen, Allgemeingültiges entdeckt zu haben und also naiv sind, oder weil sie den schnellsten Weg zum Tor suchen und als erfolgreiche Marketingstrategen Konzepte und Hypes wie "digitale Bohème" setzen, um in deren Umfeld, Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen.
Dennoch ist jede Zeile, die behauptet Ironie zu sein, eine Werbebotschaft in eigener Sache, deren allgemeine Bedeutung doch nur lautstark behauptet wird. Zur Wir-Maschine wird man nicht allein dadurch, daß man sich zum Nabel der Welt erklärt. (Quelle: FAZ)
Artikel zum Thema:
Die Trends von morgen. Holm Friebe im Interview mit der Netzeitung
Jetzt ist wer dran? Die Neokons, wer sonst? (SZ-Magazin)
Das Prenzlauer-Berg-Paradoxon (Süddeutsche Zeitung)
Die Kindheit für Erwachsene (NZZ)
Ich mache was mit Medien (SZ)
Arbeit tötet (SZ)
Länger leben ohne Chef - die digitale Bohème (BZ)
Rezension von "Wir nennen es Arbeit" (DeutschlandradioKultur)
Faria, faria, ho (Spiegel)
Die digitale Bohème (Frankfurter Rundschau)
Schreibtisch mit Milchkaffee ( Die Zeit)