Rechtsanwälte wurden an ihrer Arbeit gehindert, Demonstranten misshandelt und wie Kriminelle behandelt - was ein bestimmtes konservatives ordnungspolitisches Verständnis offenbart, bei dem von der Rechtsordnung (verstanden als System objektivierter, einklagbarer Ansprüche ALLER Gesellschaftmitglieder) nach der totalen Subtraktion des Rechts allein die Ordnung bleibt.
Diese wird in den Köpfen einer hysterisierten Öffentlichkeit und konservativer Politiker zum Alleinwert verabsolutiert (gerne als Doppelgestirn von "Ruhe & Ordnung") und deren Gegenteil, die Störung der öffentlichen Ordnung, die Abweichung, den Widerstand, die Unbotmäßigkeit, symbolisch kommuniziert im Akt der Demonstration, der öffentlichen Versammlung u.a. als krimineller Akt denunziert. Anpassung und Einverstandensein wird zur Bürgerpflicht - Kritik und Störung zum präterroristischen Verdachtsmoment.
"Im allgegenwärtigen Krieg gegen den Terror, so der Kern der Begründung, muss die Freiheit der Sicherheit, müssen die Bürgerrechte geopfert werden. Im Nachhinein erklärte die Bundesregierung, daß niemals eine konkrete Gefahr von Terroranschlägen bestanden habe. Vorverlagerung der Kompetenzen der geballten Macht der Exekutive ins Feld möglicher abstrakter Gefahren, die von dieser beliebig und unkontrolliert definiert werden können, das sind die Devisen des präventiven Sicherheitsstaats. In dieser Logik kommen Demonstranten nur als Störer und Gefährder, als Feinde der Ordnung vor und nicht als Bürger mit Rechten und Interessen."
Der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum: "Der Demonstrant als Störer , er wird generell als Störer angesehen. Er stört die Ruhe. Er will natürlich die Ruhe stören. Er will sein Anliegen sichtbar machen, möglichst nah bei den Leuten, die er erreichen will . Das ist auch ein Grundelement des Versammlungrechts , dass nicht irgendwo demonstriert wird, sondern in der Nähe der jenigen, die man mit der Botschaft erreichen will . Natürlich stören Demonstrationen. Demonstrationen am Samstag stören den Einkaufsverkehr , aber das ist ein Verfassungsrecht . Das ist das Wesen der Demonstration, dass sie stört."
Mit dem Zurückdrängen des prozeduralen, auf Öffentlichkeit und Kontrolle gegründeten Rechtsstaates mit seinen lästigen formalen Vorschriften und Verfahren zum Zwecke der schnelleren Herstellung einer angeblich von allen gewünschten Ordnung, ist ein im grunde faschistisches Politik- und Gesellschaftsverständnis am Werke.
Das Außerkraftsetzen staatlicher Selbstorganisation als in öffentlichen, für alle Gesellschaftsmitglieder beanspruchbaren Rechtsverfahren sich formierender kommunikativer Akt zum Zwecke der unmittelbaren Durchsetzung eines unterstellten allgemein zustimmungsfähigen Zustandes von "Ordnung", führt auf seiner Gegenseite eine Geringschätzung eben dieses kommunikativen, offenen, transparenten Systems einklagbarer Rechtstitel. Ironischerweise bedeutet dies, dass ausgerechnet vornehmlich konservative Politiker, die sich als bürgerlich und staatskonform geben, sich als Verächter des Staates und des Bürgers offenbaren, dass ausgerechnet der Verfechter des Staates, sich als dessen gröbster Feind erweist.
In dem Radiofeature erinnert Gerhart Baum mit einem Brief von Jürgen Habermas an Kurt Sontheimer aus dem Jahr 1978 an den Deutschen Herbst, einen anderen nationalen 'war on terror', 30 Jahren vor dem unerklärten internationalen Krieg gegen den Terror und weist mahnend auf die Gefahren eines sich absolut setzenden Staat, der den Bürgern entgleitet und sich zu einer abstrakt-opaken Macht, die im Verborgenen operiert, weil die Öffentlichkeit der Agora den Anspruch der Exekutive auf Selbstsetzung ausschließt:
"Es besteht heute die Gefahr, daß in Rechtssprechung, Politik, Verwaltung und Publizistik Carl Schmitts Theorie der innerstaatlichen Feinderklärung zur Routine wird. Nach dieser Theorie beweist der Staat seine Autorität in Gefahrensituationen dadurch, daß er den inneren Feind bestimmt. Nun könnte man meinen, daß sich die Terroristen als Feinde des Staates definieren. Aber ihnen gegenüber beweist der Rechtsstaat seine Autorität gerade dadurch, daßer sie nicht als Feinde sondern als Kriminelle behandelt werden, die unter dem Gesetz stehen. Nur ein Staat, der sich das faschistische Selbstverständnis des Staats Carl Schmitts zu eigen machen würde, bräuchte innere Feinde, die er, wie im Kriegsfall die äußeren Feinde bekämpfen darf."
Bei den unkontrollierten, in einigen Fällen rechtswidrigen Einsätzen und der Vermengung verschiedenster Sicherheitsorgane rund um den G8-Gipfel hat man es mit einem Modellfall eines jenseits juristischer Kontrolle frei operierender Kräfte zu tun, die einen Vorgeschmack eines Staates geben, der sich an die Exekutive verkauft hat.
Diese Exekutive wagt sich immer mehr nach vorne, wagt, sich über Gerichtsbeschlüsse hinwegzusetzen, weil sie sich im Windschatten eines Klimas einer mit diffusen und abstrakten Konstrukten kultivierten Terrorangst wähnt und von einer Politik gedeckt fühlt, die eine Haltung - teils selbst aktiv steuernd teils durch Lobbyismus und Publizistik sich aneignet -
der Bereitschaft zur Abwägung und Preisgabe von Rechtswerten aufgrund haarsträubend grenzwertiger, fiktionaler, konstruierter Gefahren (wie z.B. die absurde Verrechtlichung eines Abschusses einer Passagiermaschine im Falle einer Entführung.) einnimmt und immer häufiger vom Verfassungsgericht an die eigene Aufgabe der Verteidigung des Rechtsstaates gegen die (Selbst)Demontage gemahnt werden muss.
Sowohl WDR5 als auch Deutschlandfunk bieten den Text des Radiofeatures als PDF an.
Zum Thema auch:
- Heribert Prantl in NZZ Folio: Der Terrorist als Gesetzgeber
- Heribert Prantl: Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht.