Dienstag, August 12, 2008
Das Ende von Bionade
Seit einiger Zeit macht eine bestimmte soziale Gruppe, die sich durch ein bestimmte Konsummuster, ästhetische Präferenzen und damit im weitesten Sinne korellierenden Eigenschaften auszeichnen, von sich reden. Wahlweise werden diese als LOHAS, digitale Boheme oder "moderne Performer", "Postmaterielle" oder "Hedonisten" gekennzeichnet.
Dieses Milieu setzt auf "Qualität statt Discount". Es handelt sich laut taz um ein "gut gebildetes und verdienendes Milieu, dass sich durch einen an ökologischen Kriterien orientierten, anspruchsvollen und dennoch hedonistischen Konsum auszeichnet und bisher als widersprüchlich angesehene Bedürfnisse wie Nachhaltigkeit und Genuss, Umweltorientierung und Design, Ethik und Luxus miteinander vereint".
Das nichtalkoholische Getränk par excellence dieser Zielgruppe ist Bionade (So wie Tannenzäpfle das Bier dieser Zielgruppe ist). Es hat die bei der creative class gefragte Berlin-Mitte-Retro-Ästhetik, wird mit "Naturbelassenheit" assoziiert, besticht durch Schlichtheit und unaufgeregtes Understatement.
Bionade setzte sich v.a. durch Empfehlung von Webdesignermund zu Bloggerohr durch. Diese Legende vom retro-ästhetischen Underground-Öko-Produkt, das jenseits der gängigen Marktlogik entstand, trug entscheidend zur Exklusivität der Marke bei, die sich zudem nicht dem Innovationsdruck aussetzte, immer neue Variationen Desselben (à la "Beckss Gold" oder "Coca Cola Zero" usw.) zu entwickeln.
Seit einiger Zeit kann man aber nun beobachten, wie Bionade den Gang aller Produkte und Marken geht: Sie wird bekannter, wächst, kippt und wandelt sich in eine ganz normale Marke.
So gibt es mittlerweile ausgiebige Plakatwerbung, die das Offensichtliche der Marke, z.B. ein Accessoire einer öko-digitalen Gegenkultur ("Das Getränk für eine bessere Welt") zu sein, die im Web ihre Projekte ansetzt, unternehmerische Avantgarde in Sneakern ist und sich bewusst von Anzugträgern und Blackberrybenutzern absetzt, mit lustig gemeinten Sprüchen beschreit.
Die Plakatkampagne ist Teil des "Targetings", zielgruppengerechten Werbens, bei dem städte-, orts- und szenespezifisch konzipierte Sprüche und Motive plakatiert werden. "Während nur Kenner des Leipziger »Tatorts« etwas mit dem Spruch »Ehrlicher trinken« anfangen können, verstehen Kinder die Plakate in Schulnähe sofort: »Gut in Bio. Schlecht in Chemie.« Während an Museen »fermentierte Kunst« prangt, zaubert auf Ikea-Parkplätzen das Wort »Läkka« den Einkaufenden vielleicht ein Lächeln auf die Lippen. Die Fürtherin kennt »Kräuter-Fürth«, der Dresdner das »Weltnaturerbe«." (Jungle World)
Am Rande bemerkenswert ist, dass es zwar regionalspezifische Werbung gibt, aber der Spruch: »Holunder statt Blackberry« in ganz Deutschland zu finden ist. "Blackberry" scheint das Ressentiment gegen die ersten Handy-Benutzer als Prahlhanse abgelöst zu haben. Bionade hingegen erlaubt dem Konsumenten, sich von diesem Anti-Image abzusetzen und am Gefühl teilzuhaben, subversiv, alternativ, avantgardistisch und nicht-mainstream zu sein.
In der in den Szenelokalen nun um sich greifenden Gering(er)schätzung von Bionade ("Ach ... die machen jetzt auch so viel Werbung...die gibt es auch bei McDonald's...") spiegelt sich der normale Vorgang, in dem "Early Adopter" einen von ihnen er/gefundenen und als ihr Eigentum und von ihnen gemacht wahrgenommenen Trend entwerten und sich wie enttäuschte und gekränkte Geliebte abwenden: Bionade hat sich verkauft, bietet keinen sozialen Distinktionsgewinn mehr, geht jetzt den geschmähten (für die Unternehmer lukrativen) Weg allen Massenkonsums und ist nicht mehr "ihr" Getränk.
Zum Thema:
"Bionade Biedermeier" in der Online Ausgabe der Zeit
"Die wunderbare Welt der Lohas" in der Online-Ausgabe der taz
Plunder statt Holunder in der Jungle World
Bionade: Die Marke in bewegten Zeiten in der Wirtschaftswoche
Die Rhön ist überall in der Online-Ausgabe der Financial Times Deutschland
"Von einem Trend kann man nicht leben." in der Online-Ausgabe des Spiegel
Kowalsky braust mit Bionade davon in der Online-Ausgabe des Tagesspiegel