Mittwoch, März 14, 2007

Besoffen 2007

Ausgerechnet mitten in der aktuellen Debatte rund um den exzessiven Alkoholkonsum Jugendlicher (Stichwort: Komasaufen), die von dem Fall eines 16jährigen in Berlin ausgelöst wurde, der sich in ein Koma getrunken hatte und in Lebensgefahr schwebt, glänzt die Marketingabteilung, die Amy Winehouse pusht mit feinfühliger, pädagogisch wertvoller Prosa:

"Mit der ersten Single "Rehab" kommentiert sie ihren exzessiven Lifestyle mit einem selbstironischem Augenzwinkern und erteilt jedem, der sie am liebsten im Alkoholentzug sehen will, eine Absage: "They tried to make me go to rehab, I said no no no."
Pünktlich zum Wochenende liefert euch Amy den Soundtrack zum Feiern, Abstürzen und für den Morgen danach. Wunderbar!"

Ob dieses "Wunderbar" gemeint war, als die Sprecherin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, Christa Merfert-Diete, sagte, das größte Problem sei der unkritische Umgang der Gesellschaft mit Alkohol und ob dies ein Beitrag zu der von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD) geforderten gesellschaftlichen Thematisierung verantwortlichen Alkoholkonsums ist? (SZ)

Nina Simone aus der Stanzmaschine der PR-Abteilung

Wenn ein/e neue/er Künstler/in "aufgebaut", geBREAKt und platziert werden soll, entstehen Images, Konzepte und in deren Folge gruselige Texte für Pressemitteilungen, Webseiten ("Amy hatte dem Erbe der großen (Soul-)All-Stars ihren ganz persönlichen Jazz-Witz aufgedrückt und damit ganz beiläufig den Kern des Menschseins getroffen.") und aufwandlos hergestellte Zeiitungsartikel entstehen. Bei Amy Winehouse lautet das Konzept: Weiblich, schön, jung, Soul, sexy und die USP : ALK!

Winehouse kokettiert damit, (das man ihr unterstelle) ein Alkoholproblem zu haben, sie aber (Rebell Yell! Sperrig! Unbequem! Eigener Kopf! Unagepasst!) darauf beharrt , dass sie nur das mache, was ihr Spaß mache (Leben auskosten!). Zum Soul gehört eben autentische Erfahrung, Lebenskompetenz dazu und dies - das wird durch das lancierte Image suggeriert - hängt u.a. mit dem trotzig-bewussten gesundheitsschädlichen Verhalten Winehouse zusammen.

Dabei könnte man auch einfach sagen und schreiben: Die Musik ist tipptopp!

Stattdessen setzt die PR-Truppe darauf, Winehouse als Liebhaberin von Hochprozentigem zu verkaufen. "Ihren Lieblings-Cocktail, eine schlimme Geschmacksverwirrung namens «Rickstasy» mit Triple Vodka, Southern Comfort, Baileys und Bananenlikör, erwähnt die Pressemappe ebenso wie ihren Kommentar dazu: «Nach zwei Gläsern hiervon sollte man sich besser hinsetzen und unten bleiben, bis die Vögel anfangen zu zwitschern.» Das passende Jump'n'run-Spiel, in dem man eine Flaschen werfende Amy «vor der Betty-Ford-Klinik bewahren» soll, steht auch schon online unter www.voll-auf-entzug.de. Ein Alkoholproblem als Werbemaßnahme. Berichte, die von einer «Schnapsdrossel in Zwitscherlaune» (Die Welt) oder «trinkfesten Maid» (Kronen Zeitung) sprechen, sind da wohl einkalkuliert." (Netzeitung)

Bei dem Online-Spiel lautet das Spielziel "Rette Amy vor dem Alkoholentzug!" In der Anleitung wird das fröhliche Trinken zur schrulligen Attitüde einer unangepassten Individualität.
"Du bist Amy Winehouse und Du hast nicht nur Soul in der Stimme sondern auch Hochprozentiges im Blut! Du weichst nicht von Deinem Kurs ab und lässt dir von niemandem was sagen! Sei Amy würdig und schleudere jedem, der sich Dir in den Weg stellt, mehr als nur ein "No! No! No!" entgegen - Prost!"

Die PR-Abteilung zimmert die eine Retorten-Protesthaltung einer jungen Frau, die sich von niemandem etwas vorschreiben lässt. Uiuiui. Niemand käme auf die Idee einer erwachsenen Person, solange sie sich innerhalb der Grenzen des Strafrechts bewegt das Recht zuzugestehen, sich selbst Gesundheit, Erinnerungsvermögen und den guten Atem zu ruinieren.

Die PR-kreierte Rebellenpose und der Suff werden aber bewusst als Marketinginstrument für ein jugendliches Publikum eingesetzt. Da hört die Verantwortungslosigkeit auf.

Die Winehouse-Werbung apelliert gezielt an als Käuferschicht zu mobilisierende Jugendliche und bedient mit dem standardisierten Profil alle Klischees pubertär nachgefragter Gesten, Haltungen, Attitüden - kurz Images, die sich in das pubertäre Lebensgefühl indifferenten Nichtverstandenwerdens, sichwidersetzens, unangepasstseins spiegeln und auszustatten helfen.
So heißt es in der Anleitung zum Online-Spiel "Du weichst nicht von Deinem Kurs ab und lässt dir von niemandem was sagen!"

Mit der Alk-verharmlosenden PR wird Amy Winehouse gezielt und bewusst Jugendlichen angedient, die im Zuge ihrer Entwicklung zur Selbstbestimmung über Abgrenzung, bewusst regelverletzendes, provozierendes und auch selbstschädigendes Verhalten gerichtet gegen ein mal mehr mal weniger indifferentes "Ihr" (Eltern, Schule, Erwachsene, Kirche, Spießer, "das System") immer auf der Suche nach Symbolen, kulturellen Codes, Stilen und Accessoires sind, um ihre Selbstwerdung, Sie-selbst-sein ausstellen zu können.

Das ein Plattenkonzern zum Zwecke der Gewinnmaximierung ausgerechnet in der Alkoholismus-Debatte auf diese Karte setzt und dabei bewusst öffentliche Empörung einkalkuliert, da jede Öffentlichkeit erstmal bekanntheitssteigernd ist, ist geschmacklos.

Facts and Figures

"Etwa 10,4 Millionen Menschen konsumieren in Deutschland Alkohol in gesundheitlich riskanter Form - 1,7 Millionen gelten als alkoholabhängig.
Nur etwa 10 Prozent unterziehen sich einer Therapie, oft erst viel zu spät, nach 10 bis 15 Jahren einer Abhängigkeit. [...]
Die volkswirtschaftlichen Kosten alkoholbezogener Krankheiten werden auf mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Jährlich sterben ca. 42 000 Personen direkt (durch Alkoholmissbrauch) oder indirekt (u.a. durch alkoholbedingte Unfälle) an den Folgen des Alkoholkonsums.
Der Anteil alkoholbedingter Todesfälle an allen Todesfällen im Alter zwischen 35 und 64 Jahren beträgt 25 Prozent bei den Männern und 13 Prozent bei den Frauen.

20 Prozent der Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren trinken regelmäßig Alkohol.
Die in der deutschen Bevölkerung weit verbreitete unkritisch positive Einstellung zum Alkohol verhindert einen realistischen Blick auf die Folgen zu hohen Alkoholkonsums bei Erwachsenen und Jugendlichen. Pro Jahr werden 238.000 Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen.
Im Straßenverkehr spielt jährlich bei 60 Prozent der 150.000 Verurteilten Trunkenheit eine Rolle." (BMG)

Siehe zum Thema auch:
When a man loves a women mit Meg Ryan
28 days mit Sandra Bullock

Das Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
www.bist-du-staerker-als-alkohol.de