"Wann hört die Menschheit endlich auf, so doof zu sein?"Helge Schneider gestern bei seiner Lesung im Kölner Schauspielhaus im Rahmen der Litcologne.
Das Buch, aus dem er las "Die Memoiren des Rodriguez Faszanatas. Bekenntnisse eines Heiratsschwindlers" ist, wie immer, famos. Helge kann einfach schreiben. Dabei wird Helge erkennbar älter, in dem angenehmen Sinne, dass er nicht mehr par tout den direkten Weg zumTour, sprich zur Pointe, zum naheliegenden Witz sucht und in den letzten Jahren die Kunst perfektioniert hat, sich den groß und breitbeinig im Raum stehenden Erwartungshaltungen zu verweigern. So ist Helge dem amerikanischen Dada-Comedian Andy Kaufman immer näher gekommen. Er arbeitet an seiner Unkonsumierbarkeit, Unetikettierbarkeit.
Dennoch ist das Schauspielhaus gefüllt mit Menschen in Lachbereitschaft. Helge enttäuscht sie nicht. Wie Van Gogh aus Mülheim betritt, nein schreitet er in Zeitlupe auf die Bühne, blaues Arbeitsjäckchen, Altherrensommerstrohut, bolerige Jeans in hohe braune Cowboystiefel gestopft. Aber kaum sitzt er am Klavier beginnt das Spiel. Alles wartet auf die erste Grimasse, das erste als Gag erkennbare musikalische Klischee, dass auch dem musikalischen Laien als bewusstes, witzig gemeintes Zitat erkennbar ist. Dabei spielt Helge einfach über weite Strecken einfach Klavier, und zwar famos. Aber, er enttäuscht sein Publikum nicht und macht natürlich auch zwischendrin den Clown. Jedenfalls lässt seine gestisch-mimische Performance an den heilig-komischen Ernst eines Lars Vogt denken, die mit schwarzem Rollkragenpulloverkünstlergestus bedeutsame Miene zu überzogenem Spiel machen.
Das Buch und Helges Lesung enttäuscht viele Zuschauer, wie beim Verlassen des Theaters aus vielen Gesprächen zu hören ist. Zu wenig Witze, wie man sie vom "alten" Helge gewohnt war, die kindischen Übertreibungen, absurden Aneinanderreihungen von nicht zusammenpassenden Dingen. Dabei fällt einem im Laufe des Abends immer mehr auf, wie gut Helge Schneider schreiben kann. Er muss nie in Spanien gewesen sein, um mit wenigen Klischees ("Die Luft zerrte an den Nerven") und aus dem DTV-Lexikon Zusammengelesenen sein Barcelona zu kreieren. Wenn Helge Figuren und Situationen mit wenigen Sätzen beschreibt und in der Vorstellung des Zuhörers lebendig werden lässt, ist das einfach gelungen - und für das Publikum problematisch, das auf Gags wartet (Doch diese Gags sind spärlich gestreut und werden von Helge dann auch offensiv von der Bühne gerufen: "..ich arbeitete für eine Begleitagentur, die Agentur Senora FUCK!"), auf einen "Beweis", dass da einer nur so tut, als sei er Autor, als schriebe er einen Roman. Dass eigentlich alles Spaß ist, ein Spaß, der als Spaß erkennbar und rezipierbar und also harmlos, weil die Rezeptionserwartung bedienend, ist. Helge entwickelt sich zunehmend in Richtung eines Humors, der seine eindeutige Kennzeichnung verweigert und sich damit die subversive Kraft bewahrt, die Humor, Ironie als anarchische Sonderform von Kritik, die den letzten Standpunkt verweigert schon immer hatte. Dabei ist es im Fall von Helge wohl eher so, dass es Altersgelassenheit und Langeweile angesichts der Routine von Werbeauftritten bei "Wetten Dass" ist, die ihn dazu bringen, einfach nicht die Erwartungen zu bedienen.
Schön, wenn Helge im Laufe des Abends immer weniger Lust auf das anstrengende Lesen hat, eine Weile still liest ("...ach so! Laut!"), Seiten überspringt und nur sporadisch einzelne Sätze liest, um dann wieder 50 Seiten voranzugehen.
Bis er schließlich den Schluss vorträgt und der Zuhörer nach Hause gehen kann im gefühl einer umfassenden Produktvorführung beigewohnt zu haben, was bei der Kaufentscheidung sehr behilflich sein kann. Doch wird das Buch nicht gekauft. Denn am Schönsten ist es, wenn Helge mit seiner vielseitigen Stimme seine Texte vorliest. Aber das Buch gibt es ja gottseidank auch schon als Hör-CD.
Helge-TV:
The early Helge 1992 bei Schmidteinander
Helge 1995 again bei Gottschalk Late Night
"Oh schon viertel nach zehn ... sollen wir nicht mal langsam nach Hause gehen..?" Helge 2007 bei Wetten Dass...