Das letzte ZEIT Magazin (das redaktionell unüberraschend, uninspiriert, beliebig und ein lascher Mix aus NEON und SZ-Magazin und allen sonstigen Allerweltsartikeln, Befindlichkeits- und Weltbetrachtungskleinessays, und vom Layout her eine flache Kopie des SZ-Magazins ist) war in vorhersehbaren Beiträgen dem Thema JUGEND gewidmet (Was beschäftigt Euch? Wer hört Euch zu? ..schnarrrrch…. da muss man nur jetzt.de lesen oder die eigenen Blagen fragen..)
In dem Heft befand sich ein Artikel, der die Verwüstungen illustriert, die das „Mehr Leisten!“-Gebelle der letzten 10 Jahre in manchen jungen Köpfen angerichtet hat. Da schreibt eine 18jährige davon, dass sie begriffen habe, dass es immer weniger von ihr abhinge, ob sie beruflich Erfolg habe oder nicht und das sie also alles daran setzt, dass kleine bisschen Einfluss, den ihr Anteil an dem riskanten biographischen Projekt „Karriere“ hat, auch maximal wirksam werden zu lassen.
„Ich habe mich fürs Anstrengen entschieden. Ich kann nicht chillen. Den Gedanken, unproduktiv zu sein, finde ich furchtbar. Jeder versteht sofort, dass man im Sport gewinnen will. Ich freue mich auch über gute Noten. Ich weiß dann, dass die Stunden, in denen ich gelernt habe, nicht umsonst waren. Ja, ich gestehe: Ich will gerne gewinnen, nicht nur im Sport. Ich will Erfolg. Ist das denn schlimm? Ist Konkurrenz immer böse? Bin ich ein schlechter Mensch, weil ich später einen Job will? Oder könnte es sein, dass ich damit sogar der Allgemeinheit helfe?“
Das Gejanke um die Krise hat derartig durchgeschlagen, das schon Teenager ihren Alltag planen, im Gefühl leben, Zeit zu verlieren, wenn sie keine Fremdsprachen pauken oder sich zur Aromatisierung ihres Lebenslaufes nicht ein ehrenamtliches Engagement zulegen. Biographie und Leben wird hier mit Beruf gleichgesetzt, biographisches Gelingen ist identisch mit beruflichem Erfolg, Leben wird zur plastinierbaren, formbaren und ökonomische, mit permanent zu optimierenden Mitteln zu bewirtschaftenden Masse; Leben ist nicht mehr das Dahinplätschern von Zeit mit sich einstellenden Themen, sondern aufeinander aufbauenden, einander determinierenden Bausteinen, Leben ist Karriere.
Im Grunde will ich in drei Dingen gut sein: in der Schule, in meinen Nebenjobs und außerdem in dem, was Arbeitgeber Soft Skills, weiche Fähigkeiten, nennen.
Auf jeder Lebensstufe sammelt man (wie im Computerspiel auf jedem Level) Punkte, Bonni, erwirbt man Fähigkeiten und Mittel, die auf der jeweiligen Stufe gestellten Aufgaben zu lösen und deren Erfolg bestimmt, auf welchem nächstfolgenden Niveau um jeweils höhere Punktzahlen, höherwertige Mittel und Fähigkeiten man spielt.
So wird jede Lebensstufe zu einem Parcours, einem Abschnitt, in dem die sich stellenden Konstellationen als zu lösende Aufgaben stellen und begriffen werden, d.h. Erfahrungen sind nicht Zweck an sich, sondern Mittel – um „Soft Skills“ zu erwerben oder Zertifikate, die im
nächstfolgenden Level, auf der nächsten Stufe die Tür zum nächsten Praktikum, zu einem höherwertigeren Erfahrungsraum öffnet.
So schreibt die 18jährige: „Im Grunde will ich in drei Dingen gut sein: in der Schule, in meinen Nebenjobs und außerdem in dem, was Arbeitgeber Soft Skills, weiche Fähigkeiten, nennen. Darum lerne ich Sprachen, leite eine Mädchengruppe in meiner evangelischen Gemeinde und habe acht Monate in Irland verbracht.“
DARUM lernt sie Sprachen. DARUM leitet sie eine Mädchengruppe. Thema ist nie das, was sie macht „an sich“, sondern leitend ist die Frage, was sie damit anfangen kann. Sie schaut durch das, was sie macht hindurch und analysiert das jeweilige Feld unter dem Aspekt der Verwertbarkeit, der Möglichkeit, etwas Verwertbares für das eigene Fortkommen zu entnehmen, und sich einzuverleiben.
Man kann nur hoffen, dass der evangelische Pfarrer, der das liest, ihr umgehend die Leitung der Jugendgruppe wegnimmt!
"Der Neandertaler mit Abitur ist kein ganz seltener Typus." schreibt Matthias Altenburg, der wortgewaltig über die Oberflächlichkeit der Info-Elite schimpft, die jungen Anzugträger, die "Beziehung" statt "Liebe" sagen, "clever" statt "klug" sind: "Banker, Werber, Netzwerkspezialisten, Elite, das alles, jung, hochqualifiziert, im Zweifel ungebildet. Gut
gelaunt und modisch on top. denn am teuersten gekleidet ist man immer dort, wo es am unseriösesten zugeht. in den Banken, den Agenturen, den Autosalson. Das rackert zwölf Stunden, das huscht dann in die Puffs und hängt noch ab beim Tabledance (...) Theater hin oder her, die moralischen Anstalten dieser Stadt sind: Messe, Dancefloor, Hurenhaus."
Dabei könnte man ja sagen, dass diese bedauerliche Strebsau, sich offensichtlich dafür entschieden hat, schon mit 18 mental zu vergreisen und das dies ihre Entscheidung sei, wenn nicht mit dieser unsagbar angepassten Attitüde nicht zugleich eine latent aggressive Geringschätzung einer Haltung einherginge, die eben nicht dem Leisten! Leisten! Leisten!-Imperativ hinterher rennt:
„Schülerinnen anderer Generationen haben Tee getrunken, Gitarre gespielt und endlos diskutiert. Ich habe die Chemiefirma Bayer genauer untersucht.“
In der SHELL Jugendstudie 1997 war die zentrale Erkenntnis, dass die gesellschaftliche Krise die Jugend erreicht habe. Schon junge Kinder haben mehr Angst vor Arbeitslosigkeit als vor Umweltkatastrophen oder das sich die Eltern trennen. Sie halten die Wahrscheinlichkeit, dass sie arbeitslos werden könnten für größer als die, dass sie einmal einen Job haben könnten, der sie und eine Familie ernährt.
In der SHELL Studie Anfang 2000 war diese Einschätzung immer noch vorhanden jedoch verzeichneten die Forscher eine pragmatisch, abgeklärte Pragmatismus mit sehr ausgeprägtem Leistungswillen. Diese Jugendlichen schätzten die Lage prekär ein, was sie allerdings dazu motivierte, die eigenen Anstrengungen zu erhöhen. Damit ist die psychische Anpassungsleistung verbunden, dass man ein allgemeines Klima der Bedrohung individuell dadurch bearbeitet, dass man unterstellt, dass „es“ immer „die anderen“ trifft, die, die sich nicht anstrengen, keine Fremdsprachen lernen, kein Abitur, kein sehr gutes Abitur haben, nicht im Ausland waren, keine Praktika haben usw.
Je weniger es vom Einzelnen abhängt, ob er oder sie Erfolg hat, desto mehr strengen die Einzelnen sich an (Eine interessante Entwicklung, weil „Versagen“ immer stärker individualisiert interpretiert wird, man meint, nicht alles getan zu haben, was man hätte zur Absicherung der Karriere tun können, obwohl die Einzelnen immer mehr Einflüssen unterliegen, die sie nicht steuern können. Der Soziologie Ulrich Beck erklärt dieses Phänomen damit, dass im Zuge der Auflösung der Bedeutung von ehemals bindenden sozialen Gruppen und Strukturen – Kirche, Gewerkschaften, Vereinszugehörigkeit, Nachbarschaftsverhältnisse, Laubenkolonien, usw. – und in der immer stärker werdenden Individualisierung, der Einzelne gewissermaßen „ungeschützt“ abstrakten Strukturen ausgesetzt ), weil sie den immer geringer werdenden Einflussraum maximalmöglich ausfüllen und bewirtschaften wollen.
Dabei geht es nicht nur darum, permanent Zeit zu nutzen, sondern auch sie effektiv und angemessen zu nutzen, Entscheidungen müssen zur richtigen Zeit getroffen werden – in der Jahrgangsstufe 11 für ein halbes Jahr ins Ausland oder nach dem Abitur? Englisch lernen oder Chinesisch? Usw. Jede Entscheidung beeinflusst und verändert die individuelle Gesamtausgangslage (was kann ich, welche Optionen sind für mich viel versprechend in Hinblick auf das Set an getroffenen Entscheidungen, erworbenen Kompetenzen, gemachten Erfahrungen?) im Verhältnis zu der permanent auszuwertenden Großwetterlage (Welche Berufsfelder sind lohnend? Was ist gefragt?), die wiederum Entscheidungen lohnender erscheinen lassen, andere weniger.
So wie Peter Sloterdijk den Schiffsbau als die Disziplin beschreibt, bei der bei jeder Fahrt die Bedingungen für eine verbesserte Fahrt evaluiert werden, Selbstevaluierung und –optimierung auf Dauer gestellt werden und es letztlich eine Fahrt in die (verbesserte) Fahrt ist (es also nicht
darum geht, wohin man fährt, oder warum man fährt, sondern nur darum, WIE man fährt, wie schnell, wie gut, besser als andere? Schneller als Andere!), werden solche Gehirne zu Formel-1-Charakteren, die sich die Frage nach dem WARUM abgewöhnt und die technische Frage des WIE ins Zentrum allen Handelns gestellt haben.
Es geht nur um die Frage, wie man sich den vorhandenen gegebenen Bedingungen so anpasst, dass man die jedem gegebenen Ressourcen optimal nutzt, maximal möglich verbessert, neue Kompetenzen und „Assets“ erwirbt, um im Wettrennen die besten, vordersten Plätze einzunehmen.
Da (Lebens)Zeit eine knappe Ressource ist, wird die Frage nach dem Warum ausgeklammert, weil Warum zu fragen, bedeutet, die jeweils gegebenen Bedingungen, die je gegebene Welt und die darin wirkenden Kräfte zu suspendieren, sich in Distanz zu setzen und die Möglichkeit des
Andersseins, eines anderen Entwurfs zu denken.
Das ist eben die Haltung, die von den Formel-1-Charakteren gering geschätzt oder als Naivität, Faulheit und Trägheit denunziert wird:
„Yoga wäre nichts für mich. Das würde mich schrecklich langweilen, genauso wie Frisbee im Park nichts für mich wäre oder Gitarrespielen am Lagerfeuer. Bei allem, was ich neben der Schule bereits für meine Karriere mache, habe ich großen Spaß […] Das Wirtschaftsplanspiel haben wir übrigens nicht gewonnen. Wir sind schon in der ersten Runde ausgeschieden. Was soll’s. Vielleicht lerne ich dadurch, wie es ist zu verlieren. Vielleicht macht mich das sogar zu einem sozialeren Wesen, als wenn ich mit der Gitarre im Park sitzen würde.“
Das ist das überaus Ärgerliche an dem Ganzen. Da geht die Saat der Jungen Union auf. Dabei – mit solchen Köpfen ist weder Staat noch Wirtschaft zu machen. Von Gehirnen, deren größte Leistung darin besteht, zum Zwecke des eigenen Fortkommens sich optimale Wege in bestehenden Strukturen unter der Nutzung vorhandener Ressourcen und eigener Anlagen und deren optimaler Kombination zu erschließen, sind keine neuen Wege zu erwarten. Diese Lebens-Logistiker können sehr gut Regeln ausführen, sind aber nicht zu gebrauchen, um deren
Sinn zu diskutieren, Alternativen zu entwickeln und selber hervorzubringen.
Außerdem entwickelt diese Weltanschauung eine kombattant anti-soziale Haltung. Denn, wer das Leben als Wettkampf und Wettlauf um knappe Ressourcen sieht, befindet sich immer schon in einem Spielfeld auf dem immer schon andere sind, die dasselbe Ziel verfolgen und also Konkurrenten sind. Eine solche auf Erfolg gedrillte Sichtweise befördert eine antisoziale Attitüde und kultiviert und pflegt ein latentes Potential, in ständiger Alarmbereitschaft schlummernder und umgehend mobilisierbarer, kombattanter Kinetik – eine Bereitschaft, andere Wegzubeißen
Die Grundhaltung solcher menschgewordenen Projektile (so bezeichnet Sloterdijk das Konzept des Schülers bei den Jesuiten – der Schüler werde zum Projektil, das in die Welt geschossen wird; das Projektil als optimale Form der Verbindung geringsten Widerstands und der höchsten
Durchschlagskraft – was schon zeigt, dass der hier zu Grunde liegende Bildungsbegriff mehr mit Überwältigung, Bezwingung oder Gewalt zu tun hat, als mit Kultur, schöpferischen Handeln und Entwicklen) das Beobachten der Umwelt unter dem Aspekt der Verwertbarkeit; die Einschätzung der Mitstreiter und deren Eigenschaften, Stärken, ob sie eine Gefahr sind oder nützlich sein können, ob man sich mit ihnen auf Kraftproben oder Bündnisse einlässt, usw.
Diese, hinter dem unbedingten Willen zur Leistung stehende Weltanschauung von Leben als Kampf, dem Mitmenschen als Gegner, Welt als Schlachtfeld ist an dieser Grundhaltung unbedingt zu kritisieren. Es ist diese Art zu Denken, die in Wirtschaftstheorien von der natürlichen Habgier des Menschen als Motor wirtschaftlichen Handelns anthopologisiert wird und nichts anderes darstellt, als die Projektion der Verkommenheit einiger weniger alter, weißer Männer.
Menschen wie Mohammad Yunus und der Erfolg seiner auf dem Prinzip der Mitmenschlichkeit fußenden Grameen-Bank zeigen, dass das Konzept des Kampfes aller gegen Alle nicht notwendig ist, sondern nur eines von vielen möglichen. Ein Konzept das ein enormes Wirtschaftswachstum und einen unglaublichen Fortschritt ermöglicht hat – aber eben nur in wenigen teilen der Welt und auch da nur für wenige, bzw. immer mehr für immer Weniger. Dieses Konzept hat eben Grenzen. Soziale Grenzen (weil Armut und Ungerechtigkeit soziale Spaltung und soziale Anomie hervorruft – Intellektuelle, emotionale, mentale, politische Verwahrlosung, wenn die Leute nur noch RTL2 glotzen, ihre Neugeborenen in Blumenkästen verscharren, NPD wählen, sich nur noch auf die Sonnenbank legen und auf die Videoneuerscheinungen der nächsten Woche hoffen), natürliche Grenzen (weil die Ausbeutung der Natur letztlich zurückschlägt) und auch ökonomische Grenzen (weil irgendwann kein Konsument mehr da ist, der einen Mercedes
kaufen kann).
Immerhin gibt es einen Spaßvogel in der Online-Redaktion der ZEIT, der dem Artikel das angemessene Kürzel verpasst hat:
http://www.zeit.de/2007/28/Streberin-28