Samstag, Juli 21, 2007

Nicht alles muss überall stattfinden

Hervorragender Artikel von Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung über Günther Wallraffs abstruse Idee, in einer Kölner Moschee aus Salman Rushdies "Satanischen Versen" zu lesen.

"Sofort auffallend ist die Asymmetrie in Bezug auf andere Religionen: Bis heute hält die katholische Kirche Scheidungen im Normalfall für eine schwere Verfehlung, die Zustimmung zur Zivilehe hat man ihr mühsam entreißen müssen, mit dem Abtreibungsparagraphen und dem Lebenspartnerschaftsgesetz lehnt sie zwei zentrale Bestimmungen des deutschen Staates offen ab. Doch niemand kam je auf den Gedanken, der Kirche zum Beweis ihrer Integration in den säkularen Rechtsstaat eine Entweihung ihrer Sakralräume durch blasphemische Aufführungen zuzumuten. [...]
Selbstverständlich müssen die Unversehrtheit Rushdies und die Zugänglichkeit der "Satanischen Verse" gesichert sein; mohammedkritische Karikaturen fallen unter die Meinungsfreiheit und sind zu verteidigen. Aber nicht alles muss überall stattfinden; wer sich satanischer Literatur und Satire entziehen will, hat das Recht des liberalen Staates ebenso auf seiner Seite. Der Schutz von Andachtsbezirken und Sakralräumen gehört zum Kern der Religionsfreiheit. Wenn der Westen die längst überwundene antiklerikale Urgeschichte seiner Rechtsordnung - übrigens gilt sie im Wesentlichen nur für Europa, nicht für die Vereinigten Staaten -, jetzt in der Auseinandersetzung mit dem Islam wiederbelebt, halst er sich einen überflüssigen, am Ende nur mit allseitigen Verlusten zu führenden Konflikt auf. Nichts könnte den islamistischen Fanatikern lieber sein, als eine solche, an den sozialen Realitäten vorbeigehende Wendung im Kampf der Kulturen. Dann bekommen sie den Religionskrieg, den sie suchen."

Der ganze Artikel ist bei sueddeutsche. de nicht kostenlos zugänglich, aber bei jetzt.de. So ists recht!