Donnerstag, Januar 31, 2008

Herzenswunsch

Bild kann nicht von Katja Riemann ablassen. Nicht nur stürzt sich das Flaggschiff der "Arsch- und Tittenpresse" mit Eifer auf alles, was nur ansatzweise die Möglichkeit bietet, die voyeuristischen Pornoreflexe der Klosettleserschaft zu bedienen oder durch eigene Torheit oder widrige Umstände gefällter Prominente auszustellen und der Niedertracht und Häme eines Publikums zuzuführen, dem nicht auffällt, dass es die Scheiße, über deren Gestank es die Nase rümpft, am eigenen Stiefel klebt und der sich daran hochzieht, "etwas zu begaffen, das einen nichts angeht – ein wildfremdes Verkehrsunfallopfer, den Harnstrahl eines britischen Prinzen, die Brustoperationsnarbe eines weiblichen Popstars, die DNA-Spuren einer Geisel am Bettlaken ihres Entführers oder auch die Kotze eines berühmten Fußballspielers [...]"

V.a. "macht" Springers "Fickgeschichtenbörse" Prominente, baut sie auf, stützt sie wie Lothar Mathäus, der noch aus der Umkleide der Nationalmannschaft Interna in die Bild-Redaktion funkte, oder Boris Becker, der so sehr daran gewöhnt ist, die Tatsache, Boris Becker zu sein, für eine berichtenswerte Tatsache zu halten, dass er vermutlich auch seine Toilettengänge mit Kommentaren zu ihrer Bedeutung in seinem bisherigen Schaffen versieht, unabhängig davon, ob ihm gerade ein Mikrophon hingehalten wird, oder nicht, oder zieht Menschen und ihre Schicksale durch den Dreck, den Bild in ihrer Latrinenküche täglich anrührt.



Prominente, die nicht zur Kooperation bereit sind oder waren, werden von Bild unter Feuer genommen, wie Jürgen Klinsmann in der "Grinsi-Klinsi"-Kampagne erleben durfte, als versuchte, den Bundestrainer auch mit Hilfe seiner künftigen Arbeitgeber, zu untergraben, um ihn dann als Nationalheld zu vereinnahmen.

"Ich wünsche mir keine besser gemachte Bild-Zeitung, sondern gar keine Bild-Zeitung." G. Henschel

Als ruchbar wurde, dass der neue Lebensgefährte der Schauspielerin und Sängerin Katja Riemann in seiner Vergangenheit in Pornofilmen mitgespielt hatte, war Riemann als neuestes Bild-Opfer ausgemacht. Aber Riemann, widersetzte sich der Bild-Logik, die in jeder "Geschichte" ein bestimmtes Potential für Schlagzeilen über eine bestimmte Dauer erkennt, die einer eigenen Dramaturgie folgen:

Erst wird die Pornovergangenheit ausgeleuchtet, Bilder abgedruckt, die den (höhöhö) "harten Körpereinsatz" dokumentieren, Zeugen aus der "sündigen Vergangenheit" (yamyamschleckschleck) befragt, das ganze mit scheinheilig besorgten Fragen ("Täglich neue Erkenntnisse - Wie lang hält sie DAS noch aus?"), zu denen dann F-Prominente (hihihi) Stellung nehmen, bis dann im großen Finale die Hauptfigur die Bühne betritt: "Jetzt spreche ich!", begleitet von servilem Anerkennungsgeseiber.

Sturmreif geschossen, vom Trommelfeuer der Bild-Schlagzeilen sind schon manche Menschen eingeknickt und sprangen durch den Reifen, den Dieckmanns willige Helfer ihm oder ihr hin hielten. Jedoch nicht Katja Riemann. Sie macht das einzig Richtige - und spricht einfach nicht Bild.

Der Untergang des Hauses Springer

Die kann es jedoch nicht lassen und jede irgendwie dazu geeignete öffentliche Aktivität der Schauspielerin für die eigenen Zwecke auszubeuten und berichtet so heute auf ihrer Webseite im bewegten Bild über Riemanns Darstellung in dem Stück "Anna Karenina" im Theater am Kurfürstendamm, um in dem 1 Minute und 13 Sekunden dauernden Beitag eine engagiert gespielte, aber im 21. Jahrhundert ein Publikum nun wirklich nicht mehr überfordern dürfende Liebeszene, die im Off-Kommentar in der gewohnt, sich selbst wohl für "süffisant und verschmitzt" haltenden Weise als "Voller Körpereinsatz" beschrieben wird, bei dem die Schauspielerin "alles" gebe, um dann das Gestöhne unkommentiert auszustellen, als handle es sich um ein "Beweisstück", dass ja wohl für sich selbst spreche. Tut es auch, aber allein für eine reaktionär-verklemmte Sexualität, bei der Moralismus und Voyeurismus Hand in Hand gehen und die Feder führen.

"pi-KAN-TE Liebeszenen auf der Bühne - das sorgt für Diskussionen!", mutmaßt Bild und findet nur Atze Brauner, der sich zu den ui-ui-ui-Szenen in der gewünschten Weise äußert, was aber nicht reicht, um von einem Skandal zu sprechen, den Bild sicher gerne gehabt hätte. Das ficht Bild aber nicht an - und zeigt zum Abschluss einfach noch einmal das "Beweisstück" (mit dem Kommentar "DA gehen wir doch alle GERN wieder ins Theater!"), das nichts als der Spiegel der eigenen Klemmigkeit und Klebrigkeit von Leserschaft und Bild ist.

Zum Abschluss, Gerhard Henschel: "Ich bin nur ein Privatmann, der „Aua“ sagt, wenn es ihm wehtut, und der einen Herzenswunsch hat."
Fluter: Und der wäre?
Gerhard Henschel: Der Untergang des Hauses Springer.

Bild als Kulturproblem - Gerhard Henschel in der taz