Dienstag, Januar 22, 2008

Under influence

Die Süddeutsche Zeitung weist unter der Überschrift "Studienfach: Schnaps" auf ihrer Titelseite heute auf ein Problem hin, dass bekannt und unbekannt zugleich ist: Der Suff unter deutschen Studierenden:

"Das zumindest legt eine Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim und der Universität Münster nahe, bei der 1130 Studenten der Universität Mannheim untersucht wurden. Jeder dritte Studierende bekennt sich in der aktuellen Umfrage zu regelmäßigen Saufgelagen. Männer greifen deutlich häufiger zur Flasche als Frauen. 44 Prozent der männlichen und 19 Prozent der weiblichen Studenten gaben an, regelmäßig viel Alkohol zu trinken und ihre Arbeit darüber zu vernachlässigen. [...] Jeder Fünfte von ihnen leidet nach der Studie an mindestens einer psychischen Störung, wobei Frauen fast doppelt so häufig darüber berichten wie Männer." (SZ)

Als Gründe werden wachsender Stress und Leistungsdruck durch die Umstellung auf die stärker verschulten Bachelor-Studiengänge angegeben. Schon im Juli vergangenen Jahres wies das Deutsche Studentenhilfswerk auf eine zunehmende Rate psychischer Erkrankung bei Studierenden hin.

Dabei geht es in den Beratungsangeboten zumeist um depressive Verstimmungen, Leistungsdruck oder Prüfungsangst. Nur zwei Prozent der Hilfesuchenden sprechen ein Alkoholproblem an.

Dies mag damit zusammenhängen, dass die Trinkerei zu einem, allgemein gebilligten Habitus und einer positiv konnotierten Sozialpraxis gehört. In der Twilight Zone zwischen Schule und Beruf erleben die jungen Erwachsenen eine Statuspassage, in der sie nicht mehr gegängelte Kinder und noch nicht voll verantwortliche Erwachsene sind.

Den eigenen Tages-, Wochen- und Semesterablauf zu organisieren und zu steuern, ist für viele eine neue, teils überfordernde, teils befreiende Erfahrung. Morgens die Entscheidung treffen zu können, nicht zum Seminar zu gehen, die Vorlesung ausfallen zu lassen und zum Frühstück gegen 13 Uhr sich das Video vom Vorabend im Kreis von WG-Freunden nochmal reinzuziehen, ist eine neue Erfahrung.

Sich in einem Umfeld zu bewegen, in dem alle diese Erfahrung machen und man nicht - wie Berufstätige - auf das Wochenende hinleben, sondern wo auch ein Dienstag oder Donnerstag in einer Party, Kneipentour, einer durchdiskutierte Nacht in einer Küche oder einer Knutscherei auf dem Hochbett enden kann, führt zu einer Parallelwelt bestehend aus WG, Clubs, Plattenläden, Cafés, Einkaufstrouen, Kinobesuchen, in der die Frage nach Angemessenheit aus dem Blick geraten können.

Oje Klischee

Dabei scheint es Unterschiede bei den Studierendengruppen zu geben. Unter Studierenden geisteswissenschaftlich ausgerichteter Fächer findet sich das Trinken als Teil eines Verhaltens, das auf ein einseitiges Ausleben der kulturkonsumtiven Seite des Lebens zum Zwecke der Selbstdarstellung, der Ausgestaltung des eigenen Profils (als Film-Buff, Musikexperte, Tiefenpsychologin mit Bachblütenexpertise usw.) ausgerichtet ist. Das Trinken ist hier ein Saint-Germain-des-Pres-Gestus.

Dies passt ins Bild der qua Studium hinterfragenden, zweifelnden, zu Tief- und Trübsinn neigenden verwirrten Seelen, deren Suchbewegung sich in einem, nichtlinearen Lebenslauf abbildet.

Nun kommt die Kampftrinkerei bemerkenswerterweise aber auch und besonders bei Studierenden vor, die gemeinhin als zielgerichtet, erfolgsorientiert, leistungsfixiert, in ihrem Stil und Habitus (bis hin zu politischen Einstellungen) als angepasst bis konservativ angenommen werden:

"Die Probanden waren im Schnitt knapp 23 Jahre alt, befanden sich im fünften Semester und studierten am häufigsten Betriebswirtschaftslehre (16 Prozent) oder Jura (15 Prozent)." (SZ)

Der Alkoholkonsum widerspricht dem entschlossenen Streben nach Erfolg, Einstieg in das Beförderungssystem und an selbstgesetzten Zielen nicht. So entschlossen gesoffen und gefeiert wird, so entschlossen wird auch gebüffelt.

Zum Thema auch: "Deprimierendes Studium" bei reticon

"Bierselige Wissenschaft" in der Online-Ausgabe der Welt

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