Heute lesen wir in der Zeitung, dass Wolfgang Joop einen Parkwächter wegen Körperverletzung und Volksverhetzung angezeigt und das dieser wiederum den Modedesigner wegen Beleidung angezeigt habe.
Was uns wieder zu Jens Jessen, ZEIT-Feuilletonchef und seiner Kritik am deutschen Spießer bringt. In seinem Videoblog hatte er die Frage gestellt, ob der Rentner, der Jugendliche in einer U-Bahn aufgefordert hatte das Rauchen einzustellen, und von diesen im Folgenden zusammengeschlagen und schwer verletzt worden war, nicht den Endpunkt in einer endlosen Reihe von "Gängelungen, blöden Ermahnungen" und "Anquatschungen" sei. Infolgedessen war eine reißerische Debatte losgebrochen, über die breit berichtet wurde.
Der Vorfall im Schlosspark von Sans Souci nun gibt Anlass, Jessens Hinweis auf das Spießertum nochmal deutlicher in Blick zu nehmen. Schon 2005 hatte Jessen, worauf die SZ dankenswerter Weise hinweist, "darüber geschrieben, dass den Deutschen nicht zu trauen sei, weil Spuren des nationalsozialistischen Gedankenguts nach wie vor in den Köpfen der Spießer zu finden seien und sich von der Politik in den privaten Terror zurückgezogen habe" (SZ):
"Es steckt im gereizten Kern der Gesellschaft. Es steckt in den Aufpassern, den Liebhabern des Verbietens und Strafens, ... im Nachbarn, der die Kehrwoche kontrolliert, im Passanten, der den Falschfahrer anzeigt, ohne behindert worden zu sein, in der Mutter, die anderen Müttern am Spielplatz Vorhaltungen macht. Es steckt im guten Bürger, der seine eifernde Intoleranz auf Befragen wahrscheinlich als zivilgesellschaftliches Engagement ausgeben würde. [...]
Es ist nämlich nicht so, dass die 1945 heimatlos gewordene Sehnsucht nach der Volksgemeinschaft vor der Unmöglichkeit ihrer neuerlichen Umsetzung resigniert hätte. Sie hat sich vielmehr aus der Politik in den privaten Terror zurückgezogen. Sie inspiziert die Treppenhäuser, sie kontrolliert die Kleidung des Büronachbarn, sie missbilligt abweichendes Konsumverhalten und straft jeden Ehrgeiz, der sein Haupt aus der Menge hebt." (Die Zeit)
Siehe zum Thema auch den gut geschriebenen Artikel von Mariam Lau im SZ-Magazin zur moderneren Variante des New Spießertums.