Die schwierige Kommunikationssituation rund um Nokia ist für die Kommunikations- und Presseabteilung eigentlich ein "Traumfall" der Bewährung. Jetzt ist Krisenkommunikation angesagt, um zu vermeiden, dass die Marke Nokia einen nachhaltigen Image-Schaden nimmt und sich zentrifugale Kräfte aufbauen, wie sie sich auf Shell ausgewirkt hatten, als der Ölkonzern die Bohrplattform Brent Spar versenken wollte und sich in der Öffentlichkeit ein starker Protest mit Boykott aufbaute.
Nokia-Chef Olli-Pekka Kallasvuo hatte sich am Rande der Vorstellung der Jahresergebnisse bei den Angestellten des Bochumer Werkes entschuldigt. „Wir verstehen voll und ganz, dass dies Schmerz, Sorge und sogar Wut bedeutet“, sagte Kallasvuo. Auch für Nokia habe die Werksschließung in Bochum negative Folgen. Nokia müsse „viel Negativwerbung und böses Blut gegen die Firma“ in Kauf nehmen. (Die Welt) Das ist Krisen-PR: Entschuldigen und sich selbst zum Opfer machen.
In den Nachrichtensendungen rührten die Bilder von verzweifelten, weinenden Nokianern die Öffentlichkeit. Eine Frau sagte unter Tränen "Die haben seit Monaten gewusst, dass sie das Werk dicht machen und uns lassen sie über Weihnachten Überstunden und Sonderschichten machen ... die sollten sich schämen!"
Man kann die Wirkung, die solche Bilder auf die Öffentlichkeit und deren Urteil haben, gar nicht hoch genug bewerten.
In dem Film A Civil action (Zivilprozess) spielt John Travolta einen Strafprozessanwalt, der seine Prozesse nicht zuletzt deshalb gewinnt, weil er es schafft, bei den Geschworenen persönliche Betroffenheit (durch Identifikation mit den Opfern, die gegen Unternehmen klagen) herzustellen. Als er eine Gruppe von Familien vertritt, die gegen einen Konzern klagen, der das Grundwasser verseucht und damit eine Serie von Krebsfällen und infolgedessen Tode einiger Menschen in einer Region verursacht, verhindert ein Anwalt der Konzerne (Robert Duvall), dass die betroffenen Familien eine Aussage vor Gericht machen, weil er erkennt, dass sie mit ihrem Schicksal und ihrer persönlichen Geschichte die Jury zutiefst rühren würden.
Disconnetcting People
Erste Manöver zur Eindämmung der öffentlichen Empörung bei sind bei der Nokia-Kommunikation schon erkennbar. Nokia "entschuldigt" sich bei den Menschen in Bochum und kündigte baldige Gespräche mit der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen an, um "innovative Lösungen für die Region Bochum zu finden".
Hier denkt man sofort an den brillanten Film THANK YOU FOR NOT SMOKING über den Kommunikations-Strategen Nick Naylor, der für die Tabakindustrie arbeitet und "an die Front" geht: Als in einer Talkshow, in der ein lungenkrebskranker Jugendlicher - "Cancer Boy - gegen ihn in Stellung gebracht wird, schafft er es die feindselige Meinung des Publikums gegen ihn dadurch zu drehen, dass er erklärt, dass die Tabakindustrie kein Interesse daran habe, das der Junge stürbe. Wenn überhaupt wäre die Tabakindustie daran interessiert, den Jungen am Leben und am Rauchen zu halten. Nick Naylor erklärt, dass sich doch wohl alle einig wäre, dass das wertvollste und wichtigste Amerikas Jugend sei und das deshalb Bic Tobacco eine 50 Millionen Dollar Kampagne lanciere, die Jugendliche vom Rauchen abhalten solle.
Im Vergleich zu den vermutlichen wirtschaftlichen Schäden durch ein negatives Image nehmen sich diese Ausgaben a) gering aus und sind b) eine Investition.
In diesem Sinne wäre Nokia gut beraten initiativ tätig zu werden und z.B. ein "Nokia-Qualifizierungsprogramm" zur Umschulung für die Beschäftigten in Bochum aufzulegen oder ein Projekt, eine Initiative zu starten oder unterstützen.
Ein Problem ist ja, dass die Jobs für gering qualifizierte Arbeitskräfte wegfallen, die die Handys per Hand zusammensetzen und in Kartons packen - was in Rumänien billiger gemacht werden kann, da dort geringere Löhne möglich sind. Hingegen Jobs in Forschung und Entwicklung in Deutschland erhalten bleiben. Qualifizierung und Weiterbildung sind daher die Maßnahmen, die für die Beschäftigten eine Perspektive bilden. Nokia könnte sich hier in einer Initiative mit Bildungsanbietern wie den Volkshochschulen,
Nun hat Nokia sich selbst in eine besonders unangenehme Kommunikationssituation manövriert - gestern teilte der Konzern auf seiner Bilanzpressekonferenz mit, dass das Unternehmen im Jahr 2007 die Netto-Gewinne um satte 67% auf 7,2 Millarden Euro steigern konnte.
"7,2 Milliarden Reinerlös - damit könnten die über 100 Jahre unsere Lohnkosten zahlen", rief die Nokia-Betriebsratsvorsitzende Gisela Achenbach bei einer alternativen Bilanzpressekonferenz.
Traumfall für Kommunikation und PR
Diese Situation ein "Traumfall" für die "gegnerische Kommunikation von Gewerkschaften, linken Parteien, Attac u.a. Wenn die Kommunikation und PR auf der Seite clever und schnell geführt wird und adäquate Formen entwickelt, kann das ohnehin im Ruhrgebiet vorhandene hohe Mobilisierungspotential und die ohnehin schon vorhandene Empörung und Erregung in kinetische Energie umgesetzt werden.
Was für Formen könnten dies sein:
Unterschriftenaktion
Internetseite www.sonichtnokia.de
Massmailing
Solidaritätsbändchen à la "Deine Stimme gegen Armut", eine Schleife, wie der Red Ribbon oder ein Button, ein BILD-Aufkleber "SO NICHT!"
Solidaritätskonzert mit Grönemeyer
Fernsehspots wie die Telekom-Kette zu Fußball-WM-Zeiten, oder mit Prominenten und normalen Bochumern ("Du bist Deutschland" - Du bist Bochum, Du bist Nokia)
Boykottaufrufe "NO-kia"
und vieles mehr ...
Wie erfolgreich professionell geplante und umgesetzte öffentliche, politisch-strategische Kommunikation ist, kann man nicht nur an dem Team um den britischen Premierminister Tony Blair der ersten Regierungszeit ablesen, sondern auch , satirisch überspitzt an dem Film Wag the Dog.
Der Film von Barry Levinson (Drehbuch u.a. David Mahmet) zeigt, wie politische Kommunikation unter den professionellen Händen eines Spin Doctors (Robert de Niro) und eines Hollywood-Producers (Dustin Hoffman) als dramatische Inszenierung funktioniert:
Um die öffentliche Aufmerksamkeit des Landes und der Medien von einem Vorfall abzulenken, bei dem der US-Präsident in irgendeinem sexuellen Kontext mit einer Pfadfinderin steht, legt der von der Stabschefin (Anne Heche) hinzugezogene Spin Doctor ein Gegenfeuer und erzeugt einen neuen Themen-Hotspot: Eine fiktive Krise und dann einen fiktiven Krieg mit Albanien. Das Land wird ausgesucht, weil niemand weiß, wo es liegt, aber alle irgendwie wissen, dass es dieses Land gibt.
In einer Pressekonferenz streiten die Sprecher unmotiviert ab, dass die angeblichen Truppenbewegungen irgendetwas mi den "B-2 Bombern" zu tun hätten. Die Presse fragt, was für B-2 Bomber, die Sprecher betonen noch einmal, dass sie zu den angeblichen B-2 Bombern nichts zu sagen haben - und schon reden alle nur noch über B-2 Bomber und die angebliche Krise.
Der Hollywood Produzent erzeugt fiktives News-Fernsehmaterial von dem Krieg in Albanien und in Folge dessen, alles, was zu einem Krieg gehört: Einen verlorengegangenen Soldaten namens Shoe, der zum positiven Identifikationsbild und Kriegshelden wird (Woody Harrelson), einen Song (Willie Nelson) "Old shoe" und in Bäume und über Leitungen geworfene Schuhpaare als Solidaritätszeichen.
Die Entstehung eines solchen Kommunikations- und Symbolsystems muss Nokia verhindern. Und umgekehrt, muss die Entwicklung und Umsetzung eines solchen kommunikativ erzeugten und angeheizten Erregungszentrums, um mal einen Sloterdijkismus zu verwenden, das Ziel der Gegenkommunikation von Gewerkschaften, Linken Bündnissen und Kirchen sein:
Bilder von tausenden von Menschen, die sich in Bochum solidarisieren, Politiker mit roten Schals und Mützen "Ich bin Bochum", Vertreter der Kirchen, Schauspieler, Fußballer - Hand in Hand mit Demonstranten, Schweigeminuten vor Fußballspielen, Anti-Nokia und Bochum-Solidaritäts-Transparente in den Stadien, usw.
Wie die Rheinische Post berichtet empfiehlt das Management von Nokia den Bochumer Mitarbeitern, nach Rumänien zu ziehen, um dort ihre Arbeit weiter zu führen.
Zum Thema auch "Billiges Geschwätz eines Handy-Riesen"