Aus dem Newslettter der oft famosen Sibylle Berg:
"Sieben am Morgen. Bellevue in Zürich. Umschlagplatz der Trams, Umsteiger aus den Vororten, auf dem Weg in Büros. Wie Kinder, in Uniformen gezwängt von hektischen Eltern, viel zu früh. Die Gesichter blass, die Uniformen kratzen, sie müssen aus einem Kinderschlafgesicht ein Erwachsenen Gesicht machen. Schnell. Jetzt. Und ab in Büros, in Verkaufsräume. Nicht zu spät kommen, nur nicht. Solche Angst vor dem Zu spät kommen, dem nicht genügen, dem Ausgetauscht werden. Von wem nur. Manche haben vielleicht noch einen Chef- Lebendig. Jung, dynamisch. Ein Arschloch in jedem Fall.
[...]
Den ganzen Tag verkaufen, eine Stunde Mittagspause, aber nur nicht überziehen, nicht aus der Masse ragen, nicht auffallen, sich ducken. Nach Dienstschluss in eine Bar. Den Stress wegsaufen. Dazu eine rauchen, Geht bald nicht mehr. Dann wenigstens einen Joint- der ist verboten. Klar, daran verdient der Staat auch nichts, es macht keinen Kater nicht aggressiv, nicht blöd genug. Trinken sollt ihr. Trinken Freunde, um zu vergessen, was da passiert, mit euch und eurem Leben, nicht hier in der Stadt, dass ist zu teuer, da sind die Spekulanten vor.
Wartelisten für die neuen 20 Tausend Fränkigen Mietwohnungen am Bellevue in Zürich. Nicht für dich, ab in die Tram, den Zug und in der Dunkelheit heim, schnell einkaufen, sich von Schlechtbezahltem Kassenpersonal schlecht behandeln lassen, von schlechtgelaunten Kondukteuren kontrollieren lassen, essen, fernsehen , schlafen, morgen von vorne, da geht alles wieder los. Aber gerne. Freiwillig, und wenn wir uns alle gut versklaven lassen, gibt es eine Belohnung: Wir dürfen konsumieren. Hurra. Zeug kaufen, gegen den Frust an, gegen das Gefühl von Sinnlosigkeit an."
Das erinnert sprachlich und thematisch zwar an Mathias Altenburg (oder Altenburg erinnert an Sibylle Berg), der die Unmenschlichkeit der "Info-Elite" beschreibt, die Armut der jungen Anzugträger, die "Beziehung" statt "Liebe" sagen, "clever" statt "klug" sind:
"Banker, Werber, Netzwerkspezialisten, Elite, das alles, jung, hoch qualifiziert, im Zweifel ungebildet. Gut gelaunt und modisch natürlich on top. Denn am teuersten gekleidet ist man immer dort, wo es am unseriösesten zugeht. In den Banken, den Agenturen, den Autosalons. Das rackert zwölf Stunden, das huscht in die Puffs und hängt noch ab beim Table-Dance. "Gerade die stressgeplagten Banker verlangen immer öfter nach einem Gegengift zu ihrem kunstfremden Arbeitsalltag", sagt Peter Eschberg, der Schauspielintendant, damit wir wissen, was man hier unter Kunst versteht." (Die Zeit)
Wie gesagt, Berg erinnert hier an Altenburg oder Altenburg erinnert an Berg - Wie auch immer, macht es die Sache inhaltlich nicht weniger richtig und formal nicht weniger schön.