"Sein heutiger Ruhm hat auch damit zu tun, dass viele «Tempo»-Autoren mittlerweile beim «Spiegel», bei der «Zeit», der «FAZ» und der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung», aber auch bei der «Süddeutschen Zeitung» arbeiten und dort den «Tempo»-Stil salonfähig machten. Die «Tempo»-Ästhetik von Fotografie und Layout hat Schule gemacht. Und «Tempo»-Schreiber wie Christian Kracht, Eckhart Nickel oder Benjamin von Stuckrad-Barre erregten als Pop-Literaten zeitweise auch die literarische Öffentlichkeit, in der sich Maxim Biller, der im Magazin lange seine Schmäh-Kolumne «100 Zeilen Hass» schrieb, ebenfalls etabliert hat. Was die einmalige Wiederaufnahme des «Tempo»-Projekts heute soll, ist deshalb unklar. Die Zeiten und die Medienszene haben sich gewandelt. Lifestyle-Journale, die den «Tempo»-Stil aufgenommen haben, gibt es zahlreiche, in Zürich zum Beispiel «Faces». Provokationen sind längst Routine, alle Tabus gebrochen. Die Inszenierungen eines performativen Journalismus gehören auch bei manchem seriösem Feuilleton zum Standard. Neue Medienmitspieler im Internet treiben den Subjektivismus auf die Spitze. Was also soll «Tempo» heute?"
Als wäre Tempo nie eingestellt worden in der Online-Ausgabe der NZZ
Bettina jajajadieTochtervonUlrikeRAFMeinhof Roehl hat zu dem Thema einen hervorragend geschriebenen Artikel in Dummy veröffentlicht, den sie in ihrem Blog postet. Eine mitreißende Beschreibung der Atmosphäre, Geisteslage der 80er, der Blattmacher, viele Volontäre und Praktikanten, die dann als Pop-Literaten, Chefredakteure und JetteJoops anderweitig Karriere und den Tempo-Stil massentauglich machten. Das SZ-Magazin sähe heute nicht so aus, wie es aussieht und viele andere Magazine und Formen wären nicht denkbar ohne TEMPO.
"Als Tempo–Redakteur musste man Einiges ab können und manchmal ging das auch voll daneben.. Als die Exon Valdis vor der Küste von Alaska havarierte, und dort die berühmte Ölkatastrophe auslöste, schickte Peichl eine junge Abgängerin von der Gruner & Jahr – Schule, die gerade wenige Tage bei TEMPO war und sich bei uns um einen Redakteursposten bewarb, nach Alaska, sie sollte drei Tage vor Ort recherchieren und hatte nach ihrem Rückflug einen Tag Zeit ihren Artikel zu schreiben. Den Text lieferte sie nach ihrer Rückkehr noch in der Redaktion ab, dann wurde sie mit einem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert. Das war gar nicht so witzig. Sie kam nie wieder zu TEMPO zurück und soll ganz mit dem Journalismus aufgehört haben. Wolf Schneider hatte sie für eine seiner talentiertesten Journalistenschülerinnen gehalten."
In der Süddeutschen schreibt Willi Winkler Tempo feiert sich selbst:
"Tempo wollte um jeden Preis jung und unerwachsen sein, riskierte aber nie mehr als eine längere Modestrecke. Die Kurzbiografien unter den Beiträgen der aktuellen Geburtstagssondernummer sind deshalb auch allesamt Erfolgsgeschichten; bitte, Ressortleiter ist das Mindeste, was die alten Mitarbeiter geworden sind. Peichl und Ganske dürfen stolz sein auf ihre Musterschüler. Da Peichl selber seine schaumschlägerische Begabung zwischenzeitlich als Redaktionsleiter für die Beckmannschen Umarmungsinterviews in der ARD herunterdimmen musste, wird man verstehen, dass er es sich und allen noch mal zeigen wollte. Im Jubiläumsheft hat sich nichts verändert. Es wird immer noch superlativisch gekreischt, und in der "Gebrauchsanweisung für die nächsten zehn Jahre" herrscht wie 1986 ff. dieser seltsame, kerndeutsche Kommandostil: "Was anders werden muss." Muss es wirklich?"
Montag, Dezember 11, 2006
What's eigentlich so bahnbrechend with Tempo?
So ist das mit Jubiläen und Jahrestagen. Überall las man die Tage Artikel über das Magazin, "das heute als eine Schlüsselzeitschrift für die Durchsetzung der deutschen Variante des New Journalism gilt." Dabei fällt dem Spätgeborenen ("What’s eigentlich so bahnbrechend gewesen with Tempo?" Mercedes Bunz) auf, was für eine Intelligenz und Schreibfähigkeit schon da war. Zum Jubiläum hat man nun eine Truppe zusammengetrommelt, um eine einmalige Jubliäumsausgabe zu machen. Warum?