Freitag, Mai 09, 2008

Dummheit gibt's gratis

Die aktuelle Ausgabe des sich mit der Selbstbezichtigung "Wirtschaftsmagazin" kolossal unterkategorisierenden Magazins zur Verhandlung des Großen und Ganzen am Bespiele des Kleinen und Besonderen "Brand Eins" wartet - comme toujours - mit einem spannenden Titel auf: Bildung. Genauer: Die Ökonomie der Bildung. Knackiger Titel: "Dummheit gibt's gratis" - und schon das Editorial greift diesen Gedanken auf: Merkwürdig sei, merkt Chefredakteurin Garbiele Fischer an, dass in Deutschland Bildung immer als "Recht", nicht aber als "Wert" begriffen werde:

"Da kämpfen Studenten GEGEN Studiengebühren - nicht aber FÜR ein solides und gut ausgestattetes Stipendiensystem."

Und, man möchte anmerken: Für eine adäquate Qualität der Lehre in allen Dimensionen: Infrastruktur und Performance!

"Da schreiben sich Politiker aller Couleur die Wiederherstellung der Bildungsgerechtigkeit auf die Fahnen - und nehmen ungerührt hin, dass die frühkindliche Bildung, der Kindergarten, in aller regel kostenpflichtig ist. Und da leistet es sich eine Wissensgesellschaft, lebenslanges Lernen zu postulieren, um gleichzeitig hinzunehmen, dass die Türen der Bildungsinstitutionen nur denen offen stehen, die für Lebensentscheidungen entweder uz jung sind oder zu alt."

Unabhängig, ob man den in den Texten vorgetragenen Positionen zustimmen mag (Wie sagt Wiglaf Droste: Man muss einem Gedanken inhaltlich nicht unbedingt zustimmen, um seine formale Schönheit würdigen zu können.") , eine lohnende Lektüre. Und, ein besonderes Plus: Das GESAMTE Magazin kann online kostenlos gelesen und - falls man selbst dafür zu faul ist - sogar online kostenlos hören.

Two thumbs up!

Sexualverhalten ein Indiz für Terror

Pressemitteilung der Gewerkschaft der Polizei:

"Auf Unverständnis und Ablehnung stößt in der Gewerkschaft der Polizei (GdP) das von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries mit den USA unterzeichnete Abkommen über die „Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität“. Nicht nachvollziehbar seien, so der GdP-Bundesvorsitzende Konrad Freiberg, vor allem die Regelungen zur Übermittlung von Daten, aus denen „Rasse oder ethnische Herkunft, politische Anschauungen, religiöse oder sonstige Überzeugungen oder die Mitgliedschaft in Gewerkschaften“ hervorgehe oder „die Gesundheit und das Sexualleben“ beträfen.

Konrad Freiberg: "Wozu gerade diese Daten bei der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität wie Terrorismus benötigt werden, ist mir schleierhaft. Ebenso unklar ist, warum und auf welcher Rechtsgrundlage deutsche Sicherheitsbehörden solche datenschutzrechtlich hoch sensiblen Daten überhaupt erhoben und gespeichert haben sollen."

Wer farbig ist, häufig wechselnde Partnerschaften pflegt, eine Hannes Wader Platte im Schrank stehen hat und Mitglied in einer Gewerkschaft ist, bastelt mit Sicherheit auch an Plänen zum Staatstreich und lötet im Heimwerkerkeller Autobomben zusammen.

Mit solchen Rasterfahndungskriterien, die direkt aus der Adenauerzeit zu stammen scheinen, scheinen Schäuble und Zypries den Terror bekämpfen zu wollen. Man weiß nicht, was man daran bizarrer finden soll: Das krude Täterprofil oder das im Spiegel sich ergebende Verständnis vom "ordentlichen Bürger", der eben monogam, kaukasischer Ethnie ist und nicht zum Politisieren aber zum dumpfen Vergesellschaften im Schützenverein neigt. Monogam, weiß, schrebergärnter, Heimwerker - ist das nicht Josef Fritzl, der furchtbar normale, biedere Heimwerkermeister aus Anstetten?

Die Pathologie der Vorstellung des Normalen, die sich in diesen Kriterien ausspricht, ist schockierend und zeigt, welche spießig-verklemmte und im Kern reaktionäre Gesinnung hier die Feder führt.

Pressemitteilung der Gewerkschaft der Polizei

"Die nach Auffassung der GdP berechtigten Zweifel an der Zulässigkeit der Erhebung und der Relevanz jener Daten zur Kriminalitätsbekämpfung könnten, so der GdP-Vorsitzende, auch die im Abkommen vereinbarten Schutzbestimmungen zur Datenübermittlung keineswegs ausräumen.

Große Vorbehalte in der GdP verursache überdies die Vorstellung, dass us-amerikanische Sicherheitsbehörden angeforderte und übermittelte Datensätze nach dort gültigen Datenschutz-Regelungen behandelten.

Freiberg: "Nun ist der Bundestag gefordert, die Ratifizierung dieses Abkommens so lange zu blockieren, bis alle offenen Fragen geklärt sind. Wenn die Antworten nicht ausreichend sind, dann muss eben gestrichen werden."

Heribert Prantl mahnt in seinen Leitartikeln ebenso wie in seinem Buch "Der Terrorist als Gesetzgeber" immer wieder an, dass der Rechtsstaat, der sich die Denke der Terroristen dadurch zu eigen macht, dass er alle möglichen, theoretisch denkbaren Fälle gesetzgeberisch absichern will, sich den Ast absitzt auf dem er hockt.

Der Rechtsstaat ist nämlich ein Möglichkeitsraum orientiert an positiven Werten (und nicht den negativen Unterstellungen und Vermutungen der Angst vor "dem schwarzen Mann" - einer abstrakt und diffus bleibenden allgegenwärtigen Sorge vor umfassender Bedrohung, die man durch umfassende Regulierung einzufangen sucht), in dem das Zusammensein der sich in ihm bewegenden Subjekte unter Bezug auf die - mit Absicht - allgemein gehaltenen Wertgrundsätze in Abhängigkeit der je besonderen Einzelfälle verhandelt wird, wenn diese eintreten. So wächst im Zuge permanenter Rechtspraxis ein dichter Katalog an Präzendenzfällen.

Ein hermeneutischer Vorgang, in dem der Rechtsstaat - und Gesellschaft überhaupt - sich über sich selbst verständigt und zunehmend auf einen (stets offen bleibenden) Begriff bringt.

Dass die Angst als Gesetzgeber aber nicht nur diffus ist, sondern durchaus ein mehr oder weniger elaboriertes positiv beschreibbares (und im Kern reaktionäres) Weltbild hat, zeigt das von Bundesinnenminister Schäuble und Bundesjustizministerin Zypries mit den USA unterzeichnete Abkommen über die "Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität".

Wochenende!



Roisin Murphy - if we're in love

Donnerstag, Mai 08, 2008

Großvater-Gottvater

Die Süddeutsche Zeitung hat Elfriede Jelineks Anmerkungen zu Anstetten gelesen und ist - zu Recht - begeistert:

"Was kann, was soll man zu Amstetten sagen? Man braucht schon einen Ton, der trägt. Den hat Elfriede Jelinek. Er ist, wie eine Berufsfeuerwehr, wohlgeübt, und wenn plötzlich die Katastrophe ausbricht, weiß die Feuerwehr im Unterschied zu den übrigen Passanten, die bloß die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, genau, was sie zu tun hat." (SZ)

Nicht nur interpretiert Jelinek den Großvater-Vater als Gottvater, der sich allmächtig eine eigene Welt schafft und die Frau total unterwirft und architektonisch im Kellerverließ nachbaut, das er total kontrolliert. Jelinek erkennt im Spiegelbild des "Inzest-Monsters" (Bild) eine Monströsität des Umgangs mit dem Vorfall.
Wir kennen den nur Sekunden dauernden Schrei der Schrecksekunde. Wie aber geht man mit einem 24 Jahre dauernden Schrei um, den man nicht hört. Hier parallelisiert Jelinek den "Ruf" als "Schrei" mit dem "Ruf" als Reputation:

"Die Politiker fürchten jetzt, da alle gerettet sind, die sich noch retten ließen, Rufschädigung für Österreich, das wäre furchtbar. Schon hört man die Rufe nicht mehr, die aus dem Keller hallten [...]" (Jelinek)


"Was kann, was soll man zu Amstetten sagen? Man braucht schon einen Ton, der trägt. Den hat Elfriede Jelinek. Er ist, wie eine Berufsfeuerwehr, wohlgeübt, und wenn plötzlich die Katastrophe ausbricht, weiß die Feuerwehr im Unterschied zu den übrigen Passanten, die bloß die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, genau, was sie zu tun hat."

Der ganze Artikel Guter Ruf, böser Schrei in der Online Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.

p.s. "Die Regierung in Wien hat sich mittlerweile auf eine Verschärfung im Sexualstrafrecht verständigt. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Vizekanzler Wilhelm Molterer kündigten an, dass die Frist für die Tilgung von Sexualverbrechen aus dem Strafregister auf künftig 30 Jahre verdoppelt werden soll. In besonders schweren Fällen soll sie ebenso ausgeschlossen werden wie Adoptionen durch Sexualstraftäter. Für Täter, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, können Richter künftig Berufsverbote verhängen." (dpa/n24)

Mittwoch, Mai 07, 2008

Robert Elswit

Große Kameraführung von Bild beim Interview mit Rudolph Mayer, dem Anwalt von Josef Fritzl , dem "Inzest-Monster". Schön auch im Hintergrund das Geräusch eines Bleistifts, der eifrig auf dem Papier kratzt, und die Äußerungen des Anwalts zu dokumentieren scheint, z.B. wenn er seinen Mandanten als "emotional gebrochen" schildert. ("ABARTIG! Anwalt zeigt Verständnis! Hat ER seine Kinder auch eingemauert?")

Sogar die Huren!


Bild schlägt dem Fass mal wieder den Boden aus: SOGAR die Huren im Bordell hatten Angst vor Josef Fritzl (a.k.a. "Das Inzestmonster"). In der Bild-Logik bedeutet das, dass Huren qua Beruf der Perversion, Abartigen, Devianten, dem Kriminellen zugeneigt sind, sich dem aussetzen und sich damit also assoziieren. Wenn SOGAR diese Geschöpfe der Nacht und Schattenseite sich weigern, mit dem "Inzest-Monster" aufs Zimmer zu gehen, illustriert das nach Bild-Logik einmal mehr die Abartigkeit von Josef Fritzl.

Damit schafft Bild - wieder mal - die doppelte Erniedrigung des Menschen und die ultimative Bigotterie: Das Blatt, dass mit seinen Seite-1-Mädchen und allen auf pornographische Schaueffekte ausgerichteten Bettlakenberichten und lüstern gaffenden Voyeurismen in der Unterhose der Leser anschaffen geht, dass in seinem Web-Auftritt nur 1 Mausklick von "echter" Pornographie entfernt ist, sich aber genauso für Sitte und Anstand aufbläst, dem Papst seine Volksbibel vorlegt - genau dieses Blatt, dass sich am liebsten in der Puff aufhält, denunziert die dort arbeitenden Frauen als Kreaturen, denen das Widerliche nicht nur nicht fremd ist, sondern qua Definition ja vertraut sein muss, weil sie selbst so sind.

In einer doppelten Frauenfeindlichkeit wird diese Herabwürdigung auch noch benutzt, um eine Empörungswelle zu erzeugen, auf der "das gesunde Volksempfinden" ans sichere Ufer des sich zugeschriebenen Anstands surfen kann.

Schön, dass Alice Schwarzer sich mit Bild assoziiert. nachhaltiger kann der Sieg der Gosse und eines höhlenmenschenartigen, reaktionären Männertums nicht sein.

Deshalb wie immer, nach dem Frühstück, Mittagessen und Abendessen: Gerhard Henschel "Gossenreport"

Dienstag, Mai 06, 2008

Simplify

"Eat food, mostly plants, not too much."

Michael Pollan

U!S!A!

"Wer Präsident der USA werden möchte, muss ein Volk voller Unwissender gewinnen. Heute glauben laut Newsweek mit 41 Prozent mehr US-Bürger denn je allen Ernstes, dass Saddam Hussein in die Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt gewesen sei. Rund 40 Prozent der Amerikaner unter 44 Jahren haben 2007 kein einziges Buch gelesen. Etwa ein Drittel der jungen US-Bürger können weder den Irak noch den Bundesstaat New York auf einer Landkarte zeigen. [...]

Tatsächlich sind Trottel und Deppen Helden erfolgreicher Hollywoodfilme. Auch überbieten sich zahlreiche TV-Shows mit immer bescheideneren Ansprüchen: So messen sich in der Sendung "Bist Du klüger als ein Fünftklässler?" junge "Promis" aus Showbusiness oder der Filmbranche mit Elfjährigen. Gern zitierter und in Online-Videodiensten angeklickter Auszug:

"Budapest ist die Hauptstadt welches europäischen Landes?"

Antwort der amerikanischen Musikerin Kellie Pickler: "Was, ich dachte, Europa sei ein Land?"

(Heise)

Montag, Mai 05, 2008

So!

"Deutschland ist nicht das Land der Kannibalen, weil ein Armin Meiwes den Penis seines E-Mail-Freundes aus Berlin verspeiste."

FJW

Du bist Deutschland


(Alle Fotos: WN)

Sommer, Sonne, Sonnenschein ...


zieh ich mir furchtbar gerne rein...

Anti-DJ-Bobo

How to become a certified pop diva without losing your indie boyfriend.

Sisyphos vom Rummelplatz

Peter René Baumann alias DJ Bobo hat in Berlin die Deutschlandpremiere seiner neuen Show "Vampires" gefeiert. Schon die Plakate legen nahe, dass sich da jemand bei den Resten der Dekoration einer Freizeitpark-Geisterbahn, dem Make-Up von Starlight Express und Accessoires vom 1-Euro-Shop bedient hat.


Einerseits ist der Artikel in der taz eine Text gewordene Hinrichtung. Man kann ihn aber auch als eine staunende Dokumentation eines Menschen lesen, der tatsächlich nichts anderes sein will, als der familientaugliche Musiktherapeut und Seniorenanimateur. Da gibt es kein Hadern, keine Selbstzerstörung, kein Ringen, um das Profil, die Richtung. DJ Bobo ist immer ganz "da" und ganz DJ Bobo. Wir müssen uns DJ Bobo als einen glücklichen Menschen vorstellen.

"Aus Treue zu seinen Fans bleibt er DJ Bobo, produziert üblen Happy-Schunkel-Bumbum, hüpft in merkwürdigen Kostümen über Pappmaché-Showbühnen, ist lustig und herzlich, lässt sich von seinen Fans lieben und liebt sie authentisch warmherzig zurück. Am Samstag spielte DJ Bobo in Berlin eine der ersten Stationen seiner neuen Konzerttournee "Vampires Alive". Es war, anders ist es nicht zu sagen, eine rührende Veranstaltung. Die Veranstaltung eines Altruisten, der seine Bestimmung darin zu sehen scheint, einer 7.000-köpfigen Zusammenrottung ultimativ uncooler Zeitgenossen große Freude zu bereiten."

(taz)

Sonntag, Mai 04, 2008

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

taz: Der 1. Mai war in Kreuzberg ziemlich ruhig. Warum? Kluge Polizeitaktik?

Küppersbusch: Schweres Auswärtsspiel in Hamburg.

(taz)

Twin Peaks

Schön, wenn man so viele Dinge teilt ...

Das Design bestimmt das Bewusstsein

Charlotte Roches Roman "Feuchtgebiete" ist ein sagenhafter Verkaufserfolg und wird quer durch alle Medien als offensiver Gegenentwurf zu der geleckten Ästhetik einer aseptischen Pornographie gefeiert, die schmutzig und verrucht daherkommt und dabei immer schon von den industriellen Leistungsdispositiven durchzogen ist, zu denen sie die Alternative zu sein vorgeben.

In der Welt sieht der ehemalige Chefredakteur der deutschen "Vanity Fair" Ulf Porschardt das erwartungsgemäß anders. Für den Experten der Oberfläche ist der Erfolg des Buchs und die Bereitwilligkeit, mit der die darin präsentierten Thesen aufgenommen werden, symptomatisch für Deutschland:

"Ein Buch, dessen Heldin ihre Hämorridenprobleme und die eigene körperliche Unvollkommenheit lustvoll preist, passt gut in das kulturelle und ästhetische Selbstverständnis der Deutschen. [...] Die Sehnsucht nach dem Ausstieg aus dem, was weniger philosophisch formuliert als „Schönheitsterror“ bekämpft wird, hat in Deutschland besonders viele Freunde. [...] Der Wille zur Form wird mit Unwillen zur Substanz verwechselt und dabei abgewertet. Diese Abwertung geht oft einher mit einer Ignoranz und Respektlosigkeit gegenüber dem Formvollendeten. [...] Die Vorstellung des Schönheitsterrors ist selbst eine reaktionäre Vorstellung. Wer sich von Schönheit terrorisiert fühlt, muss ein unglücklicher Tropf sein.Wer glaubt, dass es eine Diktatur der Schönheitsideologen gibt, muss – insbesondere in Deutschland – ein Fantast sein."

Porschardt diagnostiziert in Deutschland einen tradierten Hass auf die Schönheit, Argwohn gegenüber Individualität, Geringschätzung gegenüber Leistung. Wir seien das Land von Mario Barth und Kurt Beck; mentale Laubenkoloniebewohner, Kegelbrüder und -schwestern und projizieren unseren nationalen Selbsthass, die großgesellschaftliche Sorge, nur Durchschnitt zu sein (obwohl wir uns für die Größten halten) als Zwang zur Gleichmacherei.

Bloß nicht anders sein. Der Deutsche möchte sich zwar mit Idolen und ihren außerordentlichen Attributen und Leistungen identifizieren - die Idole sollen aber nicht derart der eigenen Wirklich entstiegen sein und diese negieren, dass man sich in seinem Bausparvertragsleben zu klein fühlt.

Diese Schizophrenie spiegelt sich u.a. in dem Stolz auf herausragende Köpfe und Leistungen, die sich nationalisieren und vergesellschaften lassen, die andererseits mit Kleinmacherei einhergeht. Einerseits sind wir stolz, wenn eine/r von von uns "es" draußen in der Welt zu was gebracht hat. Wir wollen im Erfolg der Herausragenden uns selbst als herausragend erleben. Schwarz, rot, geil! Aber die Helden sollen bitte nicht sooo herausragend sein, so intelligent, schön, leistungsstark, dass wir uns im Spiegelbild als doof, hässlich und lahm erleben.

Outet sich ein solcher Legionär als mentalitätsgeschichtlicher Separatist, der partout nicht in die Mikrophone diktieren will, dass er/sie gaaaanz natürlich geblieben ist, zu Hause am liebsten in Jeans rumläuft, nichts auf Schminke gibt und eigentlich gaaanz normal ist (sondern eben wie König Karl Lagerfeld sich komplett durchinszeniert und die Unerträglichkeit des Durchschnitts für sich und alle anderen proklamiert), wird er wahlweise als Kuriositätenerscheinung gelabelt (Lagerfeld oder Kinski), dadurch seiner subversiven Energie benommen und durch die Talkshows gereicht, durch die Mangel gedreht ("Lemper"n nennt man das), oder es wird ihm/ihr ein anderer Leistungsdarsteller, der mehr dem kleine-Brötchen-backen-Konzept entspricht, als eigentlicher Volksheld entgegengestellt:

Oben im Bild: Ein deutscher Politiker, der auf seine Provinzialität hält, seine Ödnis zur Kompetenz umwertet und auch als stellvertretender Abteilungsleiter einer Versicherungsfiliale durchginge. Unten im Bild: Ein US-amerikanischer Politiker (Photo:Larry Fink/VF).


In Deutschland mag man die Helden aus der Provinz. Jürgen Klinsmann, weil er erfolgreich ist, aber noch mehr, weil er eine Bäckerlehre absolviert hat, seine Eltern immer noch Brötchen verkaufen und er unüberhörbar schwäbelt, also bei aller Internationalität und Management-Sprache uns im beruhigenden Sound der Provinz entgegentritt. Den handwerklich-logistisch überzeugenden Schwaben Roland Emmerich lieber als den urbanen Maniac Rainer-Werner Fassbinder, den tapfer-fleißig stets aufs neue scheiternden Hans Hubert Vogts lieber als den sich auf dem Schweizer Finanzparkett tummelnden Netzer.

Held der deutschen Kleingärtner: Herr Schumacher aus Kerpen macht Werbung für Autoersatzteile, die damit werben, ganz bestimmt nicht exklusiv zu sein ...

...und für Sprudelwasser.

Ein Helmut Schmidt wird wegen seiner Weltläufigkeit ("Giscard und ich"), seiner Eigensinnigkeit bewundert und als Vorzeigekopf geschätzt - sieht sich aber einer Klage seines notorischen Rauchens wegen ausgesetzt, die vom Lautsprecher der Kleingeister eifrig ventiliert wird.

Wir wollen gleichzeitig groß und einzig sein, haben aber Angst, dass wir diesem Wunsch und Anspruch vielleicht nicht entsprechen könnten und vergesellschaften uns daher lieber im Mittelmaß, so Porschardts Diagnose.

Dies äußert sich eben auch in dem Kult der "Natürlichkeit", die in der deutschen Lesart ein anderer Begriff für Ungepflegtheit ist. Wer sich in Deutschland keinem Argwohn aussetzen will, muss glaubhaft darstellen, dass - sollte er/sie zufällig attraktiv oder erfolgreich sein - dies als unverdiente Gnade erlebe (keineswegs aber als verdienten Lohn eigener Anstrengung im Sinne Max Stirners: "Mir geht nichts über mich!").

Die Deutschen mögen Heidi Klum, Claudia Schiffer oder Michael Schumacher, die mit Deutschlandscherpe zur Ziehung von Fußballländerspielpaarungen antreten, unverdächtige Volksprodukte wie Birkenstocks, Katjes oder Dekra-Versicherung bewerben oder sich in Bergisch Gladbach auf den Karnevalswagen stellen und sich in der ADAC Motorwelt abbilden lassen, weil sie ein Biedermeier-Kosmopolitentum repräsentieren, dass gleichzeitig den Kleinbürgerwunsch nach "dazugehören" bedient und das beruhigende Signal sendet "ich bin wie Du".

Umgekehrt wird der "Wille zur Form [...] mit Unwillen zur Substanz verwechselt und dabei abgewertet.", so Porschardt.

Wir pflegen den Kult des Mittelmaßes, um dem Risiko des Scheiterns bei dem Versuch dem Ideal des Außergewöhnlichen in unserem Leben angemessen umzusetzen zu entgehen. Denn das würde bedeuten, die Gefahr einer tiefen narzistischen Kränkung einzugehen, würde man versuchen einem solchen Ideal nachzueifern - und zu scheitern (Wie sollte man mit dem Gefühl leben, besser sein zu wollen, als man ist/werden kann?). Also wird der Sprung nicht versucht. Womit aber der Wunsch nach dem Außergewöhnlichen nicht verschwindet.

So wählen wir also Merkel, Beck und Bütikhofer und schielen doch nach Sarkozy und Berlusconi, an denen - abgesehen von ihrem politischen Programm - v.a. der völlig offene Wille, sie selbst zu sein, den bescheiden grauen deutschen Michel irritieren. (Oder, um ein anderes, politisch nicht so kontaminiertes Beispiel zu nehmen: An Barack Obama begeistert v.a. sein Stil, seine groovende Lässigkeit, neben der sich Hillary Clintons Auftreten wie ein Hausmütterchen ausnimmt. Unter ästhetischen Gesichtspunkten stellt sich bei den Kandidanten die Frage, was die Amerikaner wählen werden: Jemanden, der ihnen repräsentiert, wie sie sein wollen/können oder jemanden, der ihnen darstellt, wie sie sind.)

Design, Schönheit und die Anstrengung zur Form haben EBEN NICHT etwas mit Oberflächlichkeit zu tun, sondern sind die Disziplinen in denen das Ringen um die angemessene die Herstellung und Einforderung einer unverwechselbaren Individualität und deren Repräsentation in einer geordneten Haltung und Anordnung an der Oberfläche verhandelt werden und als visuelles Statement sich selbst (und der Umwelt gegenüber) artikuliert und angemahnt werden. Der Wille zur Schönheit ist der Wille zum Selbstsein. Ein Land, dass Ästhetik derartig geringschätzt, gehört auf die Couch.

Der ganze Artikel "Germany's next Elke Heidenreich" in der Welt

p.s. Auch ein lustiger Spaß ist, wie Lady "Bitch" Ray Porschardt ein Glas Wasser ins Gesicht eiert.