Samstag, März 06, 2010

Spiegel-Bild

Wenn man die von Praktikanten zusammengegoogleten und im 26-Sekunden-Takt aktualisierten Meldungen auf Spiegel Online betrachtet, erkennt man recht zügig, dass im Netz das Gesetz der Aufmerksamkeitsökonomie herrscht und in der Währung von Klickraten gerechnet wird.

Da verlässt man sich nicht (nur) auf qualitative redaktionelle Inhalte, Artikel vom Prantl Heribert über die Grundlagen des Journalismus oder die Bedeutung des Sozialstaats, sondern gerne auch auf kurzweilige Spiele, umfangreiche Fotostrecken mit saloppen Bildunterschriften und reißerische Überschriften.

Und das nicht zu Unrecht, wie sich an den auf den Webseiten der gängigen deutschen Tageszeitungen veröffentlichten Ranglisten der meistgelesenen Artikel zeigt.

Dass Sex und Crime immer gut gehen, weiß die Bild und freut sich besonders, wenn Leichenpräparator Gunter von Hagens einen Anlass bietet, die Wörter "Sex" und "Leiche" in eine Überschrift zu bringen. Was der Bild die Sexleiche, ist dem Spiegel der Aquarellist aus Österreich. Von Bild lernen heisst Auflage lernen; und so wundert es nicht, dass man mittlerweile die Lektüre von Bild-Online übergehen und direkt Spiegel-Online gucken kann:


Business as Usual

Promi-Koch Wolfgang Puck im Gespräch:

SZ
: Wer hat sich denn heute Abend bei Ihnen in Beverly Hills angekündigt?
Puck: Sidney Potier kommt. Er ist ja der Pate eines meiner Kinder. Und der Tom Cruise hat angerufen, dass er vorbeikommen will. Ein normaler Abend.
(SZ)

Freitag, März 05, 2010

Klammeraffe

Wie immer sehr schön, wie Wagner in Klammerbemerkungen Sachverhalte erklärt:

"Liebe Griechen,
wir verdanken Euch (fast) alles. Demokratie, Philosophie, den Satz des Pythagoras (a2 + b2 = c2), die lesbische Liebe (Insel Lesbos)" (Bild)

Konzil

Es gehört zum Ablauf eines katholischen Gottestdienstes in der Diözese Köln, dass "für das Wohl von Papst Benedikt, unseren Bischof Joachim und alle im kirchlichen Dienst Beschäftigten" gebetet wird. Vorschlag: Wie wäre es, wenn auch "alle, von im kirchlichen Dienst Beschäftigten misbrauchten Menschen" in diese Fürbitte eingeschlossen würden?

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

taz: Margot Käßmann ist nach ihrer Alkoholfahrt als EKD-Ratsvorsitzende zurückgetreten. Die richtige Entscheidung?

Küppersbusch: Die Aussöhnung und -töchterung mit der kämpfenden Truppe in Kabul könnte nicht glaubwürdiger ausfallen. Wer möchte da nicht mal mit 1,54 Promille hochwertiger Truppenverpflegung über die Kreuzung dullern?! Während Katholens Mixa mit hochrotem Kopf schon bei der Kontrolle der Spintfotos in die Soutane schwitzt, zeigt die promillestantische Vertretung hier Volksnähe. (taz)

SingStar

"Seit Maxim [Biller] diesen Stress hatte, lese ich seine Kolumne in der FaS mit noch größerer Aufmerksamkeit. Sie wirkt immer so, als würde jemand versuchen bei SingStar mit Kafka mitzuhalten." Harald Schmidt, in: Ich hatte 3000 Frauen. Köln 2009. S. 14

Wochenende! Hallo Theo!


Die Fantastischen Vier - Geboren

Mittwoch, März 03, 2010

Medimops

Kürzlich via Amazon ein gebrauchtes Buch gekauft: Harry Rowohlt - Von dem kann man ja nie genug im Regal haben! Irgendwer hat ja IMMER Geburtstag!

Anbieter ist eine Firma, die gebrauchte Bücher auf- und weiterverkauft und auf den grandiosen Namen "Medimops" hört. Die standardisierte Bestätigungs-Mail ist ein Beispiel für passende, gelungene Unternehmenskommunikation:
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"wir von medimops grüßen Sie recht herzlich.

Ihre Bestellung: "In Schlucken-zwei-Spechte"

... ist seit ein paar Stunden unterwegs zu ihnen. Es liegt nun allein in der Hand der Post, wie schnell die Sendung sie erreicht.

Und als aktuelle Botschaft bleibt uns nur zu sagen:

Lebe glücklich lebe froh
wie der Mops im Paletot
Lebe glücklich werde alt
bis die Welt in Stücke knallt.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine gute Zeit."

Monopoly

Für ein paar Tage Rauschen im Blätterwald hat es gereicht - mehr aber auch nicht: Der Versuch des Generalsekretärs der NRW-CDU, mit dem Ministerpräsidenten Rüttgers Geld in die Parteikassen zu spülen. Firmen wurde angeboten auf dem Parteitag der NRW-CDU einen Stand zu mieten. Gegen entsprechend gestaffelte Preise wurden Fototermine, Standbesuche oder Gespräche mit dem Ministerpräsidenten angeboten. Ein klare Vermischung von Parteipolitik und Amt.

Die Frage wird berechtigt sein, inwiefern die anderen Parteien eine so andere Praxis pflegen. Dass die Mövenpick-Partei sich von ohnehin nach Nähe zu Entscheidungsträgern drängenden Unternehmen und Verbänden die Anwesenheit bezahlen lässt, wundert da am allerwengisten.

Lobby Control hat sich den Ausstellerplan des letzten FDP-Parteitags mal näher angesehen und verlinkt.

Insgesamt 60 Unternehmen und Verbände waren mit Werbeständen und Lobby-Personal vor Ort. Sie reihten sich an Gängen auf, die so blumige Namen tragen, als hätten die Organisatoren zu lange Monopoly gespielt: "E.on, die Agentur für Erneuerbare Energien, Audi, TÜV, UPS und das Deutsche Atomforum wurden an der “Großen Freiheit” angesiedelt; der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV, RWE, der Verband der Privaten Krankenversicherungen PKV, Bertelsmann an der “Mehr Netto Allee”, Bayer AG, Bahn, Vattenfall, EnBW, der Rüstungskonzern EADS, der Pharmalobby-Verband Vfa, Vodafone waren am “Liberalen Wirtschaftsweg” zu finden."

Aufmerksamkeitsökonomie


Sex geht immer - Übersicht der am meisten gelesenen Artikel bei Bild-Online von gestern.

Quadratur des Kreises

Als sich Robert Enke, Torwart von Hannover 96, im November 2009 vor einen Zug warf, berichteten die Medien ausführlich darüber. In allen Details wurde die Tat beleuchtet. Dabei ist bekannt, dass sich die Gefahr von Nachahmungstaten durch massive öffentliche Thematisierung von Selbstmorden erhöht. Im Anschluss an Goethes Leidensfigur spricht man vom sogenannten "Werther-Effekt".
Vier Monate nach Enkes Selbstmord ist die Zahl der Menschen, die sich mit einem Sprung vor den Zug ums Leben bringen, massiv gestiegen. Darüber aber spricht niemand. Sagt das SZ-Magazin, und berichtet darüber

Dienstag, März 02, 2010

Jamie Lidell - Compass

Jamie Lidell hat eine neue Platte fertig: "Compass". Mit von der Partie unter anderem: Meister Beck!

Vom friedlichen Umgang mit Fremden, Schwachen und Feinden

In Der SZ vom Freitag erfreute Gustav Seibt mal wieder mit einem schön geschriebenen Text, eine Rezension des Büchleins "Freundlichkeit. Anmerkungen zu einer unzeitgemäßen Tugend"
"Freundlichkeit muss sich in der modernen Gesellschaft, die unentwegt Unbekannte aufeinandertreffen lässt, vor allem bei fremden, ja sogar unsympathischen Zeitgenossen beweisen." Auf buecher.de kann die Rezension ganz gelesen werden.

Online-Petition gegen ELENA - Frist läuft heute ab

Noch bis heute können Interessierte online die Petition beim deutschen Bundestag zum Stopp der Totaldatenerfassung aller Festangestellten in Deutschland unterzeichnen. Elektronischer Einkommensnachweis kurz ELENA heißt das Projekt, das - so die Begründung - Papierkram reduzieren und Arbeitgeber entlasten soll.

ELENA verpflichtet seit 1. Januar 2010 alle Arbeitgeber, zahlreiche Daten zum Arbeitsverhältnis ihrer Angestellten elektronisch zu erfassen und an eine Zentrale Speicherstelle zu melden. Neben Informationen zu Einkommen und Beschäftigungszeiten werden aber auch andere Daten gespeichert:

Es wird erfasst, wer streikt, wie lange er das tut und wer vom Arbeitgeber ausgesperrt wurde. Auch die Beschäftigungs- und Krankheitszeiten, Kündigungsfristen und -gründe werden gesammelt - weil diese Angaben Auswirkungen auf die Gewährung von Arbeitslosengeld haben können. Die Liste der zu meldenden Daten umfasst nicht weniger als 41 Seiten.

Kein Recht auf Widerspruch

Das ELENA-Verfahrensgesetz sieht kein Widerrufsrecht vor. Die Zwangsteilnehmer haben keinen Rechtsanspruch, um die Übermittlung der vorgesehenen Daten an die Zenrale Speicherstelle zu verhindern.

Man muss kein Paranoiker oder von chronischem Argwohn geschüttelt sein, wenn man fragt, für wen oder was Informationen über Streikverhalten oder Krankheitsgründe von Interesse sein können und befürchtet, dass die vom Eigentümer dieser Informationen unabhängig und nicht kontrollierbar aufbewahrten Informationen gegen ihn verwendet werden.

Noch bis heute kann online eine Petition beim Deutschen Bundestag unterzeichnet werden, die das Ende der ELENA-Datenhortung zum Ziel hat.

Die Petition fordert, daß "die Vorratsspeicherung gemäß dem 6. Abschnitt des Sozialgesetzbuch IV, §§95 ff. (Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises) aufgehoben wird".

Zur Online-Petition gegen Elena geht es hier...
Hintergrundinfos auf den Seiten des CCC

Montag, März 01, 2010

Meinungsmache

Im SPIEGEL findet sich ein Interview mit dem Guido. Bei der Lektüre der spitzen Frotzeleien ("Wir kriegen in den Medien, einschließlich Ihres fabelhaften Magazins, kräftig was ab.") ahnt man die angespannte Atmosphäre

Auffallend ist zum einen das Foto von dem Guido, das über den Artikel gesetzt wurde. Man darf vermuten, dass der anwesende Fotograf im Laufe des Gesprächs mehrfach auf den Auslöser gedrückt hat.

Dabei werden Bilder zu Stande gekommen sein, die den Guido zeigen, wie er nachdenkt, lächelt, zeigt, freundlich gestikuliert. Aber das letztlich ausgewählte Foto ist gelinde gesagt, unvorteilhaft. Es zeigt den Guido, im Begriff, etwas zu sagen, der Mund ist halb geöffnet, die Gesichtszüge noch unterwegs zum mimischen Ziel. Dazu eine wenig einladende Geste. Man kann sich den Eindruck nicht verkneifen: Hier sollte der Interviewpartner unattraktiv gezeigt werden. Auch eine Methode, ein informierendes Format zur Kommentierung zu nutzen.

Eine weitere Auffälligkeit: Der Titel des Interviews lautet "Ich kann auch anders". Ganz schön markig! Provokant! Herausfordernd! Kraftmeierisch! Im Fließtext lautet die entsprechende Stelle wiefolgt:

"Westerwelle: Ich habe eine Engelsgeduld. Aber die FDP kann auch anders. Das haben die Christsozialen im bayerischen Landtagswahlkampf erleben können. Seitdem haben sie die absolute Mehrheit verloren und regieren jetzt mit der FDP. Daran sollte die CSU gelegentlich denken." (Spiegel)

Aus "Die FDP kann auch anders" die Überschrift "Ich kann auch anders" zu machen - ist das die Freiheit journalistischer Interpretation?

Hang zur Gemächlichkeit

Auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung vom Freitag gab es einen kleinen Bericht darüber, dass es "in FDP-Kreisen" Kritik an Angela Merkel und ihrem Führungsstil gebe.

Selten hat man eine präzisere Beschreibung des passiven politischen Stils der Unentschlossenheit und Vermeidung von Fehlern durch Vermeiden von Entscheidungen (auch bekannt als "Aussitzen") gelesen. Wer nichts macht, macht eben auch nichts falsch:

"Jeden, der ihrem Hang zur Gemächlichkeit im wege steht, will sie ins Leere laufen lassen.", hieß es in FDP-Führungskreisen. [...] Es reiche aus Sicht der FDP nicht, wenn man "mal auf etwas reagiert, etwas verwaltet, hübsche Bilder produziert und sich nach vier Jahren wiederwählen lässt", hieß es. [...] Man unterstelle der Kanzlerin im Umgang keine Taktik oder Boshaftigkeit. "Damit würde man ihr unterstellen, sie habe sich in einer Frage entschieden. Das entspricht aber nicht ihrer Art", hieß es." Autsch!