Wie der Spiegel berichtet, hat die arbeitgeberfreundliche "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM)
eine Webseite eingerichtet, die Studierende über die Verwendung ihrer Studiengebühren informieren will und sich als studentisches Instrument öffentlicher Nachfrage und kritischer Recherche, inwiefern Studiengebühren einem verbesserten Studium zu Gute kommt, darstellt.
Soweit, so gut.
Jedoch sind die Umstände des Starts der Webseite, die Darstellung ihrer Hintergründe als Instrument einer eindeutig marktliberal ausgerichteten Lobbygruppe jedoch nicht frei von einem gewissen "Geschmäckle".
So wurden Anfang April Uni-ASten angemailt und auf den Start von
unicheck.de hingewiesen und zur Teilnahme an einer Umfrage aufgefordert. Dabei war keine Rede von der hinter der Webseite stehenden Lobbytruppe.
Die Webseite kommt in der E-Mail wie ein studentisches Projekt daher und ist in der visuellen Anmutung einem Blog sehr ähnlich. Das die Redaktion bezahlte Mitarbeiter der INSM sind und von einem Büro aus dem Haus der INSM arbeiten wurde anfangs geflissentlich übersehen. Die Redakteure seien an der Uni Köln eingeschrieben. Insofern stimme der Sogan "Von Studenten für Studenten". Eine reizende Haarspalterei.
"Wer Anfang April ahnungslos auf die Mail von Thorsten Schröder geantwortet hat, könnte sich dann plötzlich als Statist einer gut geplanten Pro-Gebühren-Kampagne wiederfinden.
Um nicht als reines Arbeitgeberpropagandagefährt daher zu kommen, hat sich die INSM das "Campus Magazin" UNICUM und die Verbraucherzentrale NRW als Partner ins Boot geholt, die auf den ersten Blick nicht so "verdächtig" sind, wie die Financial Times Deutschland, die mit einer konservativen Wahlempfehlung in der Vergangenheit schon mehr als deutlich gemacht hat, wo sie steht.
In der Pressemitteilung werden dann die Partner auch brav in der am wenigsten Verdacht erregenden Reihenfolge
aufgeführt: Das Studentische ganz nach vorn (UNICUM), das Objetive dahinter (Verbraucherzentrale) dann der Rest (FTD). Dazu noch ein O-Ton vom "Campusmagazin" UNICUM.
Den ganzen Artikel
Start unter falscher Flagge in der Online-Ausgabe des Spiegel
Die INSM ist bekannt für diese Art der Stealth-PR zur Platzierung marktliberaler Ideen, Slogans, Konzepte im öffentlichen Diskurs, über den diese in die Köpfe von Politikern, Bürgern einsickern sollen.
Immer knapper besetzte Redaktionen, die kein Personal für eigene Recherche haben und zunehmend auf Pressemitteilungen und vorgefertigten Inhalt angewiesen sind, drucken, veröffentlichen und senden ungefiltert, nachrecherchiert, kritisch geprüft, bis der Arzt kommt. Dabei wird die klassische kritische Recherchefrage des Journalismus "Wer spricht?" die Toilette heruntergespült. Schließlich interessiert es morgen niemanden mehr, was gestern in der Zeitung stand. Der Platz will gefüllt, die Sendezeit bestückt werden. Umso besser, wenn komplett formulierte, professionell gearbeitete Artikel mit ansprechendem Bildmaterial (Grafiken! Ich brauche Grafiken!), sendefähige Beiträge geliefert werden.
Das erinnert an den alten Otto Witz: "Nachrichten. Die Wissenschaft hat herausgefunden, das Rauchen DOCH NICHT schädlich sei. Gezeichnet., Dr. Marlboro."
Irgendwann können wir die Redaktionen auflösen und direkt die "Nachrichten" aus den Firmenzentralen beziehen.
Auch und nicht zuletzt über ein weit gespanntes Netzwerk von Personen, das nicht nur aus den erwartbaren Verdächtigen wie Friedrich Merz, Roland Berger, Lothar Spät oder Hans Tietmeyer, sondern z.B. auch Dieter Lenzen, Pädagogik-Professor an der FU Berlin oder "prominenten Persönlichkeiten"besteht, wird die Propaganda betrieben und der Eindruck eines "breiten gesellschaftlichen Konsenses" erzeugt. Diese sitzen dann in unterschiedlichsten Diskurssionsrunden und deklinieren die marktliberalen Positionen in den unterschiedlichsten Ressorts von Politik, Wirtschaft, Bildung, Verbraucherschutz, Ernährung, Sport bis zur Kultur.
Gerade an der Person Dieter Lenzens und seinen außeruniversitäten Aktivitäten für Arbeitgeberverände, die aber gerade ihre Wirkung und Reichweite von dem Objektivität und suggerierendem Label "Universität" und allen damit verbundenen Assoziationen (Studie, Experte, Professor, Prognose, usw.) bezieht, kann man das "Prinzip INSM" ablesen:
Protagonisten, die nicht unmittelbar als Agenten und Broker einer bestimmten Gesinnung erkennbar sind, weil sie scheinbar über andere Themen (Bildung, Umwelt, Verbraucherschutz, Ernährung, usw.) reden, platzieren die Thesen der INSM in den thematischen Spalten der Zeitungen, den Diskussionsrunden des Fernsehens usw. So wird für eine zunehmende Omnipräsenz eines künstlich erzeugten marktliberalen Zeitgeistes gesorgt.
Dieser PR-Homunkulus lässt sich dann wiederum in politische Energie umsetzen, wenn die PR-erzeugten Stimmungen, über Akteure unterschiedlichster politischer Lager (Florian Gerster, ehemaliger Arbeitsagenturchef und SPD-Mitgleid ist ebenso INSM-Mann wie Oswald Metzger von den Grünen) in die Parteien und die Köpfe der Entscheider übersetzt werden.
So gab und gibt Lenzen
für die Vereinigung der bayerischen Wirschaft den Bildungsexperten und stellt seine "Ideen" zu einem umfassenden Umbau des Bildungssystems in Dienst der Arbeitgeberlobby.
Wie erfolgreich die PR funktioniert, wie gut das Networking klappt, konnte man hier bestaunen, druckte doch sogar die ehrwürdige Süddeutsche Zeitung brav die "Top Meldung" von der "radikalen Bildungsreform", die die "Bildungs-Experten" forderten allen Ernstes auf Seite 1. Entsprechend lautsprecherten zig Zeitungen, Webseiten und Fernsehberichte ungefiltert und unhinterfragt die über die Presseagenturen (die nicht wenigen Medien als Garantie für die Güte von Meldungen erscheint, weswegen eine Meldung, eine Nachricht, die das Nadelör der dpa passiert hat als praktisch "durch" gelten darf.) ventilierte PR als Meldung in die Welt.
Ziel dieser PR auf allen Kanälen ist, marktliberale Ideen durch bestimmtes "
wording" (Flexibilisierung, Reform, modern, innovativ, Individualisierung, Wahlfreiheit, sozial ist was Arbeit schafft, Vorfahrt für Arbeit) positiv zu besetzen und umgekehrt sozialstaatliche Konzepte durch pejorative Labeling negativ zu besetzen (Blockierer, Besitzstandswahrer, gestrig, teuer, überholt, Versorgungsmentalität, usw.).
Indem die Themen und Thesen der Arbeitgeberlobby auf allen Kanälen, Podien, in allen Medien und quer durch alle Ressorts ventiliert werden, sollen diese Maintream und Allgemeingut werden. Einerseits wird damit künstlich der Eindruck einer öffentlichen Meinung erzeugt ("...die Stimmung in Deutschland...") andererseits die Bevölkerung für bestimmte Ideen aufnahmebereit gemacht und wenn nötig sturmreif geschossen: Da wird so lange düster von der Reformunfähigkeit gemunkelt, der Langsamkeit der Deutschen gegenüber den Allflexiblen Asiaten und dem globalisierten Markt, den Kosten des Sozialstaats etc. bis die Bevölkerung die weiße Fahne hebt und bereit ist jeden als "Reform" verkauften Einschnitt hinzunehmen. (Dann wundert man sich über den Erfolg des Spinning und die allgemein depressive Lage, die sich auch in Konsumverzicht äußert und fordert Zuversicht, Optimismus, Unternehmergeist. DU bist Deutschland!)
Gerhard Polt hat auf seiner CD "Der Stadort Deutschland" das passende Stück gleichen Namens dazu. Darin berichtet ein Wirt von den "Kaulquappennummerierern in Brüssel", die ihn zwängen sein Frittierfett alle 5 Wochen auszuwechseln und wie er auf solche wirtschaftlichen Härten reagieren müsse. Er stellt "den Herrn Brabang" ein, einen Indonesier, der für 5,80 DM für ihn arbeitet und unter dem Treppenabsatz wohnt. Weil die wirtschaftliche Lage jedoch kritisch sei, müsse er den Lohn leider auf 3,60 DM kürzen. "Wissen Sie, was dieser Herr Brabang mir da sagt? ... Wissen Sie was der mir sagt?!! "Der Bambus biegt sich im Sturm und bleibt stehen. Der Baum gibt nicht nach - und bricht." Jetzt erzählens DAS mal einem Deutschen!"
Zum Thema auch: der höchst interessanten Passus über die INSM und die Einflussnahme auf die Medien bei Wikipedia.
Meine Kritik zu dem als Wissenschaftlichkeit behaupteten gelenze von Arbeitgeberforderungen bei reticon: Post von reticon