Donnerstag, November 30, 2006

Biedermeier

"In der Moral eines Unerhaltungskünstlers muss nur eines Priorität haben, das Wissen nämlich, dass die Leute, die gekommen sind, ernsthaft bedient werden wollen." Falco, zitiert nach BvSB

Zum Glück versteht Samuel L. Jackson nicht, was da passiert, so wie er da im Publikum bei der Bambi-Verleihung sitzt, obwohl man sich vorstellen kann, dass sich auch einem nicht des Deutschen Geläufigen erschließt, wie weit entfernt von Humor und Kurzweiligkeit deutsche Unterhaltung - in ihrer verschärften Form: Fernsehunterhaltung - angesiedelt ist.

Harald Schmidt moderiert mit der ironie- und witzfreien Sprödheit eines biederen Wärmflaschenvertreters in einem Herforder Altenzenheim und arbeitet brav die einzelnen, vom Zentralkommitee für Humorverhinderung (Auch bekannt als Redaktion) ihm zusammengestellten Punkte ab, singt allen ernstes ! New York, New York aber eben "Stuttgaaaaart, Stuttaaaaaaaart!" Hihihi ... die Kleinbürgerlichkeit der schwäbischen Streberprovinz konfrontiert mit der mondänen Grandezza von Old Blue Eyes Hymne - DAS erzeugt Komik vom feinsten. So denken Redakteure, die die Konzepte für "große Fernsehunterhaltung" entwickeln, in denen allen Ernstes Roberto Blanco und Tony Marshall immer noch und immer wieder eine Rolle spielen. So erkennt man hinter den muffigen Moderationen deutlich die Konstruktionslinien des eigentlich gemeinten, gewünschten Effekts. Das Gegenteil von lustig ist lustig gemeint. Immer deutlicher lässt Harald Schmidt raushängen ("Ichfinde, Frau Harms sieht gut aus, ich freue mich jedes Mal, wenn ein Foto von ihr in der Zeitung ist oder sie in den Tagesthemen erscheint. Sie ist irgendwie mein Typ. Wie ich diese Sache betrachte, daran können Sie ungefähr ablesen, wie ich derzeit drauf bin."), dass er nicht, wie lange Zeit vom Feuilleton rezipiert, der Ironiker ist, der sich in die Niederungen des Trivialen begibt, um dessen Funktionsweisen zu dekonstruieren, sondern, dass er sich als Schauspieler auf dem Traumschiff ganz unironisch recht wohlfühlt.
Sein HeinzSchenkTonyMarshallRudiCarellusw.-Lob ist ehrlich gemeint. Das scheint eine Alterserscheinung zu sein - wie die Begeisterung für Country-Musik und schlechte Kleidung.

Eva Padberg zeigt, was die Aufgabe des Models ist: Gut aussehen. Und schweigen. Was sie nicht tut, denn sie ist die Co-Moderatorin. Das man sich aber darüber mokiert, dass sie den ein oder anderen sprachlichen Aussetzer hat ("Vielen Glückwunsch") ist mal wieder typisch Streberdeutsch.

Oliver Kahn im Publikum macht es richtig: Er lacht nicht. Er klatscht nicht. Er amüsiert sich sichtlich nicht.

Wunderbar aber, wie Karl Lagerfeld länger als die Musik brauchte um zum Mikrophon zu stolzieren und stoisch die letzten Meter in Stille zurücklegte. Hätte er doch nur aus Jux ein paar Ehrenrunden um das Pult gedreht, um die awkwardness zu dehnen! Man fieberte regelrecht mit, als man in der vibrierenden Stimme der barocken Erscheinung mit notorischer Sonnebrille ehcte Nervosität zu erkennen meinte und beglückwünschte Lagerfeld zu seiner wunderbaren Art, sich um Kopf und Kragen zu labern. Wenn Lagerfeld spricht schweigt die Logik. Groß.

Der Bambi erweist sich aber wieder mal als ein willkürlich zusammengewürfelte Zusammenkunft all derer, die in irgendeiner Weise Prominenz für sich reklamieren dürfen.
Die Auszeichnungen rekrutieren sich scheinbar nach Verfügbarkeit der Auszuzeichnenden. Die Biederkeit der Webseite spricht für sich.

http://www.bambi.de


[Ergänzung 1-12-2006 Der Text bei sueddeutsche.de zur Bambi Verleihung ist in erstaunlichem Schülerprosa gehalten. Hingegen die Bildunterschriften echter Rock N Roll sind]

Manchmal kommt sogar Schönheit aus München in der Online-Ausgabe der Faz

Freizeitvertreib

Ein schöner Zeitvertreib: Trailer schauen unter www.apple.com/trailers z.B.

http://www.apple.com/trailers/newline/mrwoodcock/
(Kolossaler Body-Humor am Ende. Vorsicht im Fitness-Studio!)
http://www.apple.com/trailers/fox_searchlight/trusttheman/trailer
(Schöner Witz am Anfang. Julianne Moore und Maggy Gyllenhaal in EINEM Film!)

http://www.apple.com/trailers/weinstein/schoolforscoundrels
(Billy Bob "Sling Blade" Thornton wird der neue Robert de Niro/Jack Nicholson Comedy-Elderstatesman

http://www.apple.com/trailers/warner_independent_pictures/thescienceofsleep
Michel Gondry fait comme toujour. Sehr schön gestaltete Webseite, definitiv kein BIENE-Preis.

http://www.apple.com/trailers/sony_pictures/strangerthanfiction
Will Ferell rules!

http://www.apple.com/trailers/fox/thesimpsonsmovie

http://www.apple.com/trailers/independent/sogoesthenation

http://www.apple.com/trailers/warner_independent_pictures/infamous
(Interssant weil genau das CAPOTE-Thema, dass schon der gleichnamige Film
bearbeitet hat, nur mit anderen Schauspielern..)

http://www.apple.com/trailers/universal/manoftheyear
Was wäre, wenn ein Comedian, der die Logik, nach der der Polit-Betrieb funktioniert persifliert, als Präsidentschaftskandidat antritt - und gewählt wird?

http://www.apple.com/trailers/fox/borat
Trotz des Hype ganz große Kunst!

Champagner aus Cowboystiefeln

"Wenn ich mir heutzutage bei Festivals Bands ansehe, dann verbraten die ihrem Publikum immer dieselbe Leier: 'Wir sind genau wie ihr. Wir sind alle gleich.'" erzählt Noel Gallagher im Interview der Berliner Zeitung. "Wir dagegen sagten: 'Wir sind nicht so wie ihr. Wir sind Superhelden.' Die Leute verlangen nach Rockstars. Wenn du von der Schule heimkommst, brauchst du die Gewissheit, dass es irgendwo da draußen Leute gibt, die aus Cowboy-Stiefeln Champagner trinken, während sie von Kronleuchtern schwingen. Das gibt dir einen Grund zum Leben."
Groß!

Mein Tag

In der Rubrik Mein Tag schreiben Leserinnen und Leser dem Kölner Stadt Anzeiger einen Bericht über ... naja ... ihren Tag. Dabei kommen manchmal pittoreske Miniaturen à la Helge Schneider heraus. Texte von anmutiger, prosaischer Schlichtheit, deren ganz eine poetische Dimension entfaltet. So z.B. der Bericht von Hein, 72 Jahre, in dem er uns in aller Detailliertheit darüber aufklärt, was er zum Frühstück isst, was seine Hobbys sind und, ach ja, dass seine Frau tot ist und er aber keine Lust auf neue Begleitung hat. Große kleine Prosa:

"Abends bin ich gegen 20 Uhr wieder zu Hause. Ich esse noch eine Scheibe Brot mit Käse und einen Joghurt. Dabei schaue ich Fernsehen und trinke ein Glas Wein. Vor sechs Jahren ist meine Frau gestorben. Da habe ich oft überlegt, ob ich mich noch einmal umschauen sollte. Aber die jungen Frauen wollen doch nur Tennis spielen oder golfen, und ich muss das bezahlen. Und die älteren, die kommen mit Anhang. Und die sitzen dann alle auf meinem Sofa. Da bleibe ich lieber allein und unabhängig."

Der ganze Text Ich muss immer in Bewegung bleiben in der Online-Ausgabe des Kölner Stadt Anzeiger.

Schrottgeburt

In der ZEIT spricht der Schauspieler Joseph Bierbichler über Eichingers "Der Untergang" ("Eine totale Schrottgeburt"), seinen Wunsch sich selbst aufzuessen ("Das wäre die auf den Gipfel getriebene Dekadenz.") und seine abnehmende Geselligkeit ("Die gruppendynamischen Prozesse, die beim Spielen zwangsläufig entstehen, kommen mir immer alberner vor.").

"ZEIT: Was ist denn das Skandalöse am Untergang?

Bierbichler: Überhaupt der Versuch, diese Figuren eins zu eins wiederzugeben, realistisch, ist doch peinlich. Die Reaktion des Regisseurs Dani Levy, der den Hitler von Helge Schneider spielen lässt, ist konsequent. Mir war schon Schindlers Liste peinlich. Dieses Peinlichkeitsgefühl hab ich bei allen Filmen, die diese Zeit »realistisch« zu behandeln vorgeben. Mir fällt kein Film ein, der es geschafft hätte, ohne es zu übersetzen auf eine andere Ebene.

ZEIT: In einer Geschichte von Brecht, Die Bestie, wird erzählt, wie die Russen einen Film über die grausame Herrschaft eines Gouverneurs namens Muratow drehen wollen. Der verarmte, in die Anonymität gesunkene Muratow schafft es, unerkannt zum Regisseur vorgelassen zu werden und für die Rolle des Muratow vorzusprechen. Er wird aber hinausgeworfen, weil seine Darstellung unglaubhaft sei; an seiner Stelle spielt dann der erste Schauspieler des Landes den Muratow…

Bierbichler: Das ist schon wieder gut. Auf den Untergang übersetzt, heißt das: Der Bruno Ganz war noch besser als der Hitler. Aber im Ernst: Ich saß da im Kino und habe eine Dreiviertelstunde lang gedacht, der Bruno Ganz habe hinter dem Rücken von Fest und Eichinger eine richtig gute Parodie auf Hitler gemacht. Dann habe ich plötzlich gemerkt: Der meint das ernst! Der Dramatiker Klaus Pohl hat den Film in Wien gesehen. Er fand ihn lächerlich und musste lachen, und von hinten riefen Zuschauer, er solle still sein. Pohl drehte sich um und schnarrte im Hitler-Ton: Rrruhe, wenn der Führer spricht! Wieder Stimmen von hinten: Hören Sie auf, man versteht nichts mehr. Darauf Pohl: Der Führer spricht deutlich genug! Da haben sie ihn aus dem Kino geschmissen."

Das ganze famose Gespräch in der Online-Ausgabe der Zeit

Dienstag, November 28, 2006

Le Zitat de Jour

"Männlich ist für mich, die Klappe zu halten. Schweigen, das finde ich wahnsinnig angenehm."
Harald Schmidt

Und was machst Du? Ich mach Musik!

Gestern im Stadtgarten, Köln. Angesetzt ist ein Konzert von nichtvordenkindern und der Franck Band. Es ist erschütternd sich selbst den Satz ins Telefon sprechen zu hören, als man den Freund für den Konzertbesuch zu gewinnen versucht: "Nichtvordenkindern sagt mir nix aber die Franck Band habe ich vor 13 Jahren mal Live gesehen und das war ziemlich gut..." Vor 13 Jahren! Ja, solche Zeiträume bewussten Erlebens können nun mnemotisch erschlossen werden, aber egal: "Franck Band...die machen so abgedrehten Jazz/Funkmit Zappa-esken Arrangements und atonalem Tralala. Der Bassist ist der Fischer Claus, wahnsinns Funk-Machine, mittlerweile known as the Ehemann of Anke Engelke, der Gitarrist Werner Neumann macht bei seinen Soli ein Gesicht wie Beaker aus dem Muppet-Labor und ist Prof an der Musikhochschule Köln. Hinrich Franck, Tastenmann und Beandleader macht lustige Texte und trägt diese in einer Weise vor, dass man geneigt ist, Herbert Grönemeyer als Sänger zu bezeichnen.
Jedenfalls fand man sich also im gemütlichen Ambiente des direkt unter dem Stadtgarten befindlichen Studio 672 ein. Das Budweiser genießend trudelte das erwartbare Publikum ein: Musikstudenten mit ihren Instrumentenkoffern, Brillen in den Versionen "flippig" (eckig, knallbunter Halbrahmen, viel zu klein oder viel zu groß) oder "Jazz" (dicker schwatter Rahmen) . Der Meister setzte sich mit seinem Trio nichtvordenkindern ans Werk und brachte drei Stücke zu Gehör. Im Anschluss erklommte eine junge Dame mit Akustik-Gitarre die Bühne, die mit ihrem grünen, karierten Woll-Jacket ohne Weiteres als Au-Pair-Mädchen von Ursula von der Leyen durchgehen würde.
Amy Antin, gebürtige Amerikanerin, begann ihr Set mit dem Versprechen, "nur 3 Lieder und eine Zugabe" spielen zu wollen, verlangte zugleich aber auch im Ton einer strengen Gouvernante dem Publikum angemessene Ruhe und Aufmerksamkeit ab und bescheinigte nach jedem extensiven, stimmschwachem Vortrag Cowboy Junkies-esker Ereignislosigkeit mit der kalorienarmen Ironie einer KJG-Mädchen-Guppenleiterin dem Publikum "Ihr hört so schön zu...". Das Publikum störte sich nicht groß und unterhielt sich prächtig - miteinander. Klatschte aber am Ende jedes Stückes brav und fleißig. Nicht das Mutti böse wird!

"Bekannt ist sie u.a. für ihre wunderschönen Songs, in denen sie sich augenzwinkernd und hintersinnig mit den Berg- und Talfahrten des Lebens beschäftigt. Dass Amy Antin jenseits des Pop-Mainstreams eine Klasse für sich ist, hat sie aber nicht nur in zahllosen Solo-Konzerten unter Beweis gestellt, in denen sie nur ihrer Akustikgitarre braucht. "

Wenn irgendwo "augenzwinkernd" und hintersinnig" draufsteht, weiß man, dass man sich in einer ironiefreien Zone befindet, wo alles anzutreffen wahrscheinlich - außer Hintersinn. Amy war Gast von Hinrich Franck und widmete ihm auch ihren Vortrag. Als eine Bandformation nach der anderen für wenige Stücke die Bühne erklomm, dämmerte, dass man sich auf einer als öffentliches Konzert getarnten, privaten Geburtstagsparty befand. Eine Gruppe Studierender gab herrlich laut mit formidablem Gebläse Franck-Band-Musik zum Besten, Werner Neumann spielte mit einem augenrollenden Frontmann Rock. Der Abend ging mit Sicherheit noch lange, aber irgendwann muss jeder mal ins Bett.