Donnerstag, Februar 16, 2012
Viel gelesen, wenig verstanden
Sehr gut geschriebener Artikel in der ZEIT über den Klima-Sarrazin Fritz Vahrenholt und die aberwitzigen Thesen seines neuen, bekannte und vielfach widerlegte "Beweise" gegen den Klimawandel zusammentragenden Buches. Dieses sei wissenschaftlich nicht ernstzunehmen, schreiben Frank Drieschner, Christiane Grefe und Christian Tenbrock. Aber das Buch positioniere sich auch nicht als Beitrag zu einer wissenschaftlichen Debatte, sondern sei als Argumentationsmunition zur Drehung des Diskursklimas konzipiert.
Solange aber Vahrenholt seinen Beitrag nicht im Rahmen der für wissenschaftliche Diskurse etablierten Arena der Fachzeitschriften präsentieren und also von Fachleuten falsifizieren lässt, "haben die Einlassungen des Chemikers zur Klimaforschung aus wissenschaftlicher Sicht ähnlich viel Gewicht wie die Tiraden deutscher Hobbyhistoriker zum Zweiten Weltkrieg."
Publizistisch sei das Buch allerdings ein Beispiel einer seit Sarrazin zu beobachtenden Mechanik im Verlagsmarketing:
Solange aber Vahrenholt seinen Beitrag nicht im Rahmen der für wissenschaftliche Diskurse etablierten Arena der Fachzeitschriften präsentieren und also von Fachleuten falsifizieren lässt, "haben die Einlassungen des Chemikers zur Klimaforschung aus wissenschaftlicher Sicht ähnlich viel Gewicht wie die Tiraden deutscher Hobbyhistoriker zum Zweiten Weltkrieg."
Publizistisch sei das Buch allerdings ein Beispiel einer seit Sarrazin zu beobachtenden Mechanik im Verlagsmarketing:
"Man nehme eine steile, politisch möglichst etwas unkorrekte These zu einem für Laien unüberschaubar komplexen Fachgebiet, einen halbwegs prominenten und Talkshow-tauglichen Autor und präsentiere ihn dem staunenden Publikum als einsamen Mahner, der sich tapfer gegen den publizistischen Mainstream stellt – schon winken wochenlanger Medienwirbel und eine Auflage von etlichen Hunderttausend. Beim Thema Klimawandel kommt hinzu, dass dieses Thema etwas immanent Ungemütliches hat: Wer lässt sich schon gerne sagen, dass der eigene Lebensstil im Grunde verantwortungslos ist? Vielflieger und Geländewagenfahrer werden Vahrenholts Buch daher mit Begeisterung aufnehmen." (DIE ZEIT)
Montag, Februar 13, 2012
Kevin allein im Auto: DRIVE
"Ryan Gosling und ich nahmen uns vor, zusammen einen Film über einen Mann zu drehen, der nachts mit dem Auto durch die Gegend fährt und dabei Popmusik hört." Der dänische Regisseur Nicoals im Interview mit der taz.
Bernie: "I used to produce movies. In the 80s. Kind of like action films. Sexy stuff. One critic called them European. I thought they were shit."
Trotz oder gerade wegen der penetranten Weltschmerz-Pose, den Miami-Vice/HEAT-Ansichten nächtlicher Autofahrten durch Neon-Großstadtschluchten untermalt vom hypnothisch überdeutlichen Soundtrack ("A real human being and a real hero" ertönt, wenn der Driver sich auf den Weg macht, die von ihm Auserwählte ein für alle Mal von der Bedrohung beim Opfer seines Lebens zu beschützen; "you keep me under your spell" schallt es durch den Kinosaal, wenn der Ehemann der kindlich-lieblichen Nachbarin wieder zurückgekehrt und in Parallel-Montagen Nahaufnamen der Gesichter des Driver und der Nachbarin deutlich machen, wer das eigentliche Paar des Films ist.) ist DRIVE irrelevant und überholt in Inhalt und Form.
Die Kritik ist mehrheitlich der Meinung, es mit einem Meisterwerk zu tun zu haben. Von Film Noir ist die Rede, von Grimmschen Märchen (ein Mann wird ein Held, indem er eine Frau vor einem bösen König rettet und sich dabei opfert), Melvilles Samurai, Scorseses Taxi Driver, die wortkargen Figuren Steve McQueens und Clint Eastwoods, aber auch Tarantino werden als Referenz für Ryan Goslings Figur ins Feld geführt.
Indes: Ein wortkarger Einzelgänger (TAXI DRIVER), der kaum ein Mensch, sondern eine Maschine ist und nur eine Sache gut kann und erfolgreich ist, solange er in seiner Maschinenroutine bleibt und der Mensch wird, als er sich auf einen anderen Menschen einlässt, was zugleich seinen Untergang bedeutet, kennt man aus vielen Filmen, neueren Datums etwa LEON DER PROFI oder GRAN TORINO. Das Motiv des einsamen Rächers, der wie ein Zen-Mönch in totaler Ausblendung der von dem Gangster-Kollektiv in hierarchisch gestaffelter Komplexität und Rafinesse ausgehenden Droh-Folklore allein seinen Weg auf dem Weg zum Schloss macht und zur Freude des Zuschauers seine Siegfriedhafte Unverwundbarkeit und seine Parzivaleske Reinheit unter Beweis stellt, kennt man etwa aus PAYBACK.
Das Ganze gefilmt mit reichlich Vogelperspektive über der nächstlichen Stadt und mit epischer Musik, wie man sie aus Michael Manns HEAT und INSIDER kennt, angereichert mit reichlich brutalen Gewaltdarstellungen und spritzendem Blut - braucht's das?
Die Kritik ist mehrheitlich der Meinung, es mit einem Meisterwerk zu tun zu haben. Von Film Noir ist die Rede, von Grimmschen Märchen (ein Mann wird ein Held, indem er eine Frau vor einem bösen König rettet und sich dabei opfert), Melvilles Samurai, Scorseses Taxi Driver, die wortkargen Figuren Steve McQueens und Clint Eastwoods, aber auch Tarantino werden als Referenz für Ryan Goslings Figur ins Feld geführt.
Indes: Ein wortkarger Einzelgänger (TAXI DRIVER), der kaum ein Mensch, sondern eine Maschine ist und nur eine Sache gut kann und erfolgreich ist, solange er in seiner Maschinenroutine bleibt und der Mensch wird, als er sich auf einen anderen Menschen einlässt, was zugleich seinen Untergang bedeutet, kennt man aus vielen Filmen, neueren Datums etwa LEON DER PROFI oder GRAN TORINO. Das Motiv des einsamen Rächers, der wie ein Zen-Mönch in totaler Ausblendung der von dem Gangster-Kollektiv in hierarchisch gestaffelter Komplexität und Rafinesse ausgehenden Droh-Folklore allein seinen Weg auf dem Weg zum Schloss macht und zur Freude des Zuschauers seine Siegfriedhafte Unverwundbarkeit und seine Parzivaleske Reinheit unter Beweis stellt, kennt man etwa aus PAYBACK.
Das Ganze gefilmt mit reichlich Vogelperspektive über der nächstlichen Stadt und mit epischer Musik, wie man sie aus Michael Manns HEAT und INSIDER kennt, angereichert mit reichlich brutalen Gewaltdarstellungen und spritzendem Blut - braucht's das?
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Unglaublich: „Drive“ war zunächst als Blockbuster mit Hugh Jackman in der Hauptrolle geplant, schreibt der Tagesspiegel.
* * *
In der Berner Zeitung diskutieren Simon Schmid und Linus Schöpfer klug über DRIVE:
Schmid: Auf dem Spiel steht nicht nur das Geld. Es geht ums Selbstverständnis der USA: Kann der moralisch überlegene, mit Talent und Mut gesegnete Akteur die Konflikte der Welt noch immer im Alleingang lösen? Die Hauptfigur in «Drive» entpuppt sich jedenfalls als ziemlich naiver Strassencowboy.
Schöpfer: Ryan Gosling als lonesome Barack Obama also?
Schmid: Nein, am Steuer dieses aufgemotzten 73er-Chevrolet sitzt kein Barack Obama. Dieser Driver im Samtjäckchen ist eher eine Art Forrest Gump – einer, der gern ein Clint Eastwood wäre. Mit der Attitüde eines Marlboro-Cowboys und der Ausstrahlung eines «Kevin allein im Auto» braust er durch die Gegend: Zum weltmännisch-smarten Barack Obama ist dies die pure Antithese.
[...] So aber kreiert Refn eine ikonische Filmfigur – der Driver gesellt sich zu Eastwood alias William Munny («Unforgiven») und zum «Clockwork Orange»-Alex.
Schmid: Wobei das britische Uhrwerk durch das amerikanische Räderwerk ersetzt wird und die sinnentleerte Systemgewalt zur Gewaltorgie des Glücksritters mutiert. Ist «Drive» Kult, gerade weil sich Amerika seit Eastwoods Zeiten wenig verändert hat?
Schöpfer: Eben nicht. Bei Eastwood wars noch Pose, jetzt ist es bittere Determination.
Schmid: Auf dem Spiel steht nicht nur das Geld. Es geht ums Selbstverständnis der USA: Kann der moralisch überlegene, mit Talent und Mut gesegnete Akteur die Konflikte der Welt noch immer im Alleingang lösen? Die Hauptfigur in «Drive» entpuppt sich jedenfalls als ziemlich naiver Strassencowboy.
Schöpfer: Ryan Gosling als lonesome Barack Obama also?
Schmid: Nein, am Steuer dieses aufgemotzten 73er-Chevrolet sitzt kein Barack Obama. Dieser Driver im Samtjäckchen ist eher eine Art Forrest Gump – einer, der gern ein Clint Eastwood wäre. Mit der Attitüde eines Marlboro-Cowboys und der Ausstrahlung eines «Kevin allein im Auto» braust er durch die Gegend: Zum weltmännisch-smarten Barack Obama ist dies die pure Antithese.
[...] So aber kreiert Refn eine ikonische Filmfigur – der Driver gesellt sich zu Eastwood alias William Munny («Unforgiven») und zum «Clockwork Orange»-Alex.
Schmid: Wobei das britische Uhrwerk durch das amerikanische Räderwerk ersetzt wird und die sinnentleerte Systemgewalt zur Gewaltorgie des Glücksritters mutiert. Ist «Drive» Kult, gerade weil sich Amerika seit Eastwoods Zeiten wenig verändert hat?
Schöpfer: Eben nicht. Bei Eastwood wars noch Pose, jetzt ist es bittere Determination.
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Dass sich kluge und hypertrophe Assoziationen noch am schlichtesten Gegenstand entzünden können, zeigt die Rezension von Martin Thomson in Schnitt, die sich wie ein Passus aus einer Magisterarbeit liest: "Drive von Nicolas Winding Refn läßt sich beispielsweise dem Kino des Sehens zuordnen, das immer auch ein Kino der Bewegung und des Körpers ist. Die Bilder gehen hier erst mal in die Knochen, bevor sie sich im Kopf festsetzen. Man folgt ihnen in einem Modus der Kontemplation, der immer wieder von brutalen Schocks aufgestört wird: Gewalt bricht hier so irrational hervor wie bei Scorsese, während ihre explizite Darstellung so radikal ausfällt wie bei Cronenberg. Indes weckt das Szenario zunächst Erinnerungen an Antonioni: Hier wie dort ist die Einheit von Wille und Tat zerbrochen, strebt alle Bewegung hin zur Entropie. Was bei dem Regisseur von Professione: Reporter den spezifischen Horror seiner Zustandsbeschreibungen der modernen Welt ausmachte, dem ringt Refn eine neue, man könnte sagen, postmoderne Dimension ab. Die Tragödie der Hauptfigur in Drive besteht darin, innerhalb einer Welt, die im Chaos versinkt, die einzige Person zu sein, deren Handlungen prinzipiell auf das von ihr angestrebte Ziel zulaufen. Eben dies macht nicht ihren Heldenmut, sondern ihre existentialistische, an Sartre oder Camus gemahnende Einsamkeit aus. Der Action-Held wird hier zu Merusault aus »Der Fremde«." (Martin Thomson in Schnitt)
Sonntag, Februar 12, 2012
Steuerdarwinismus
Im letzten ZEIT Magazin fand sich ein sehr gut geschriebener Artikel von Elisabeth Niejahr der in allgemeinverständlichen Worten und am konkreten Beispiel beschreibt, wie das Steuerrecht in Gestalt des Ehegattensplittings die Ehe subventioniert, das Kinderkriegen sanktioniert, einen im Stich lässt, wenn Hilfe wirklich nötig ist (Etwa, wenn die Beziehung auseinandergeht oder wenn die Ehefrau stirbt und der Witwer weiterhin das "Gnadensplitting" bekommt, das aber in dem Moment aufgehoben wird, da ein weiterer Erwachsener im Haushalt lebt - auch wenn es sich dabei um ein Au Pair Mädchen handelt, dass die Kinder versorgt oder etwa die 18jährige Tochter ist und also eigentlich gerade die steuerlichen Vorteile benötigt werden, um die Zusatzkosten tragen zu können.) und fragt sich, warum sich der Staat in so viele private Angelegenheiten einmischt:
"er steuert mit seinen Steuervorteilen, ob wir Wohnungen mieten oder kaufen, ob wir zur Arbeit mit dem Auto oder dem Fahrrad fahrn, ob wir unsere Kinder auf Privatschulen schicken und wie wir unsere Eltern pflegen."
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