Donnerstag, November 16, 2006

Die Tschiboisierung der Süddeutschen Zeitung

Hervorragend geschriebener Artikel über "Die Tschiboisierung der Süddeutschen Zeitung". Damit meint der Autor den Umstand, dass der SZ Verlag zum Zwecke der Verbreitung verschiedener Produktlinien der "SZ-Edition"(Cinemathek, Jugendbücher, Klassiker der Literatur, Klassik, große Pianisten usw.) große Teile der eigenen Zeitungsfläche nutzt. "Unter der Hand, stillschweigend & als redaktioneller Beitrag camoufliert ist der aufmerksamkeitsintensivste Platz in die Regie der hauseigenen Werbung übergegangen und die Feuilletonglosse auf die unattraktive zweite Umschlagsseite verschoben worden!"

"Ihren jüngsten, aber gewiss nicht letzten Coup will die SZ nun mit ihrer “Vinothek” landen. Damit verlässt sie das bisher von ihr weidlich beackerte Feld des Kultur-Recyclings in Form kanonisch konzipierter Sammlungen (nach dem Motto: “Was man gelesen, gesehen, gehört haben sollte”) & erweitert es in den Bereich der “höheren Lebensart” hinein. [...] Was findet hier - wie auch andernorts in der Presse (Zeit, Spiegel, Welt, Bild, Brigitte, FR etc.), aber bei der SZ am bislang exzessivsten - eigentlich statt? Zurückblickend richtete sich das zusätzliche Geschäftsfeld auf ein diversifiziertes “Modernes Antiquariat”, das alle kulturellen Medienbereiche durchforstete und deren bereits hinlänglich zur Prominenz gelangten (& “abverkauften“) Objekte der “Backlists” noch einmal zu Dumpingpreisen recycelte. Aber nicht als wahllose Einzelobjekte, sondern in Form einer sowohl kanonische Relevanz (“The Best of“) als auch Vollständigkeit suggerierenden Geschlossenheit als SZ-“Edition”, die durch die Fachberatung & -empfehlung bekannter journalistischer “Ratgeber” nobilitiert wird, die einem aus der täglichen SZ-Lektüre vertraut sind.

Der Reihencharakter der “exklusiven” Editionen appelliert zugleich an den Sammel- & Vollständigkeitstrieb, die ansprechenden Ausstattung an ein Repräsentationsbedürfnis und der vergleichsweise niedrige Preis, der noch durch Zusatzvergünstigungen beim Abonnementsabschluß der “Editionen” reduziert wird, entspricht passgenau der ebenso virulenten wie ununterbrochen allseits angesprochenen Schnäppchenmentalität, der “Geiz geil ist”. So kann beim fortgesetzten Erwerb umfänglicher Kulturgüter für den Hausgebrauch der SZ-Zusatzkäufer Schmalhans zum Küchenmeister machen & sich zugleich doch als ein Witzigmann fühlen, der in der “corporate identity” der SZ-Leser heimisch & eingebunden ist."

Den ganzen Artikel Ein paar Überlegungen zum wirtschaftlichen Umbau der Kultur in seriösen Printmedien online lesen

Mittwoch, November 15, 2006

Le Zitat de Jour

"Clipsendungen auf MTV wollen nicht mehr auf die Mannigfaltigkeit der Videokunst verweisen. Sie bilden einen bequemen Teppich aus fast ausschließlich aktueller Musik, die in ihrer ständigen Wiederholung und fluktuativen Erneuerung immer vertraut wirkt. Musiksender vermitteln eine Geborgenheit im Jetzt."

(Quelle: Die Zeit)

Pisa für Erwachsene

Die FAZ widmet sich in ihrer Glosse heute der von der OECD geplanten Studie Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC) , bei der die Kompetenzen Erwachsener erfasst werden soll und beschreibt dabei spitz den erwartbaren Ablauf der Studie und der erwartbaren Ergebnisse:

"Angestellte der OECD entwickeln gerade einen Test, mit dem nach dem Pisa-Exerzitium nun auch die Erwachsenen auf kognitive Fähigkeiten hin geprüft werden sollen. 2009 könne "die erste Runde" stattfinden. Sie soll weltweit das Vermögen testen, Buchstaben, Zahlen und Wörter zu erkennen, dann kommen Aufgaben zum Leseverständnis, zum Problemlösen und zu Computern. Und dann?

Dann gibt es eine Ländertabelle. Und Schlagzeilen, die "Wir sind Einstein!" oder "Deutsche dümmer als Dänen" lauten werden. Anschließend folgt eine Riesendiskussion mit Rufen wie "lebenslanges Lernen!" und "Rohstoff Bildung!" Es wird Herr Andreas Schleicher von der OECD auftreten, der den Test jetzt ankündigt, dessen gegenwärtiger Bildungszustand aber selber keinem unterzogen worden ist.

Und er wird sagen, so ungleich dürfe es nicht weitergehen. Hat er bisher immer gesagt. Man wird feststellen, daß Analphabetismus mit Herkunft korreliert. Daß die Computerkenntnisse bei denen, die keinen Computer haben, schwächer sind als bei den anderen. Daß nicht alle ehemaligen Gymnasiasten schlau sind. Und daß die meisten nach der letzten Schulprüfung schlagartig vergessen, wie man einen Kreisumfang berechnet. Potztausend, wird man sagen, das haben wir uns alles ja - ganz genau so gedacht."

Die ganze Glosse Pisa für alle in der Online-Ausgabe der FAZ.

So spitz und gut die Kritik formuliert ist, so sehr geht sie auch daneben, beschreibt sie doch weniger einen der Erhebung von Daten anzukreidenden Mangel, als vielmehr
a) den typischen Verwertungsmechanismus der Medien, die das Thema nach dem immerhgleichen Schema durchKernerN (man sieht es schon vor sich: FOCUS-Schwerpunkt „Schule – was wir heute lernen müssen, um morgen zu bestehen“; DIE ZEIT: Alte wieder auf die Schulbank? Interviews mit Experten, „Intellektuellen“, Christiansen, Maischberger, Illner, Kerner usw.) und
b) die Handlungsunfähigkeit des politisch-administrativen Apparates, der es offenichtlich nicht gebacken bekommt, Konzequenzen aus solchen Studien zu ziehen, wobei dies mir ein genuin deutsches Problem zu sein scheint.

Die Folge darf und kann nicht sein, keine Studien zu machen. Dies hieße die Tatsache zu akzeptieren, dass wir die Vorstellung aufgeben, bei der Organisation des öffentlichen Lebens gestaltend wirken zu können und wir endgültig vor der Routine wohltemperierter Presseerklärungen die Waffen strecken, die davon sprechen, dass Ergebnisse "sorgfältig geprüft" und "kritisch" (vielleicht sogar schonungslos) diskutiert werden müssen, man aber "nicht vorschnell urteilen" solle, die zuständigen Gremien sich damit befassen mögen usw.

Wenn nach einer Studie alles beim Alten bleibt, macht dies nicht die Studien überflüssig. Im Gegenteil. Der imer wieder erbrachte Nachweis einer ihre Aufgaben verfehlenden politischen Administration ist nötig. Ansonsten müsste man sich fragen, wozu öffentliche Mittel (jenseits der Bereitstellung von Müllabfuhr, Straßenbeleuchtung und Autobahn) eigentlich erhoben werden. Um Erwachsene, die bei PIAAC mangelnde Kompetenzen bescheinigt bekämen in Ministerin zu beschäftigen?

Sonntag, November 12, 2006

Le Zitat de Jour

"Volten, Metaebenen oder Trends in der Musik nachvollziehen zu können, ist immer ein guter Gradmesser, an dem sich feststellen lässt, wie weit man vergreist ist." Tex Rubinowitz

Ikea-Boy

Tobias Schmitz schreibt imt Stern über Thom Yorkes Soloalbum ERASER:

"Ihr Leben so wie unseres? Aufstehen, arbeiten, nach Hause. Abends schlüpfen Sie aus Ihrem Tchibo-TCM-Pullover, schieben den weißen "Bubblan"- Duschvorhang von Ikea zur Seite und erfreuen sich an dessen mit blauer Flüssigkeit gefüllten Deko-Elementen. Nach der Dusche nehmen Sie ein Buch oder eine CD aus dem "Billy"-Bücherregal und setzen sich auf Ihr "Ektorp"- Sofa, beschienen von der "Samtid"-Leselampe. Und denken drüber nach, dass Ihnen bald die "Hushåll"-Kerzen ausgehen und Sie unbedingt mal wieder zu Ikea müssen. Auf Ihrer kleinen, silbernen TCM-Anlage läuft leise Norah Jones. Plötzlich fühlen Sie sich unbehaglich, weil Ihnen aufgeht, dass genau in diesem Moment unzählige andere Menschen zwischen Bubblan, Billy, Ektorp und dem ganzen Kram von TCM hausen und Norah Jones hören.

Sie können dagegen etwas tun: Stellen Sie sich Platten von Radiohead ins Regal. Fühlt sich gleich individueller an. Noch besser: Sie kaufen sich - von TCM? - einen Kopfhörer und hören die Soloplatte von Radiohead- Sänger Thom Yorke. Lauschen Sie dieser verschachtelten, hypnotischen Klangkunst auf dem Boden liegend bei völliger Dunkelheit. Nach 41 Minuten fühlen Sie sich womöglich, als hätten Sie Drogen genommen. Aber Sie fühlen sich. Das ist doch schon mal was." (Quelle: Amazon)