Sonntag, Oktober 12, 2008

No Fernsehpreise for old men

"Ich bin 88 Jahre, was soll mir schon noch passieren?" wird sich Marcel Reich-Ranciki gedacht haben, als er am Freitag in Köln die Entgegennahme des Deutschen Fernsehpreises ablehnte (die Süddeutsche leifert das Stenogramm). In einer großartigen Volte durchbrach der Fernsehveteran und Berufskrawallerist die Veranstaltungsroutine von Anmoderation, Laudatio, Einspielfilm und ein paar warmen Worten, in dem er das Schlimmste tat, was man auch in den exhibitionistischen Tagen von heute machen kann: Er nannte des Kaisers neue Kleider beim Namen. Schlimm sei das, was er vier Stunden habe erleben müssen, ein ausgemachter Blödsinn und er wolle sich nicht im Rahmen einer solchem, dem Blödsinn verpflichteten Veranstaltung geehrt sehen und dadurch den Mächten des Stumpfsinns als Zeuge dienen. Vielleicht hätte er dies früher sagen müssen, räumte Reich-Ranicki ein, jedoch: "Ich habe nicht gewusst, was mich hier erwartet."



"Ein im Kapitänsdress auflaufenden Atze Schröder zum Beispiel, der seine Laudatio zur "Besten Late Night-Moderation" mit den Worten, "Alle anderen haben die Hosen voll, aber bei mir ist das flüssig!" einleitete. Worauf sich die in dieser Kategorie ausgezeichnete NDR-Moderatorin Ina Müller dafür bedankte, dass sie glücklicherweise für das, was sie am besten könne, auch noch Geld bekomme: Nämlich für's "Sabbeln, Saufen und Singen"." (taz)

ZDF-Intendant Markus Schächter nannte den Auftritt Reich-Ranickis in der Nacht zu Sonntag eine "Sternstunde" des Fernsehens und zeigte damit mal wieder, warum Fernsehen in Deutschland so gar nicht wie HBO ist: weil dessen Organisation näher an der Politik und Bürokratie eines Postamtes ist als am Primat der Unterhaltung gebaut ist.

In einer sehr persönlichen Stellungnahme schreibt Elke Heidenreich in der FAZ von "hirnlose(r) Scheiße", dass sie sich schäme und sich "stellvertretend für alle Leidenden an diesen Zuständen, und derer sind auch in diesen verlotterten Sendern noch viele, bei Marcel Reich-Ranicki für diesen unwürdigen Abend." entschuldige.

"Während ich dies schreibe, ist der Zusammenschnitt der Veranstaltung noch nicht im Fernsehen gelaufen. Ich bin gespannt, wie man sich aus der Affäre mogelt. Es wird kaum gehen, denn die Radios meldeten schon, Reich-Ranicki habe einen Eklat verursacht. O nein, das hat er nicht. Der Eklat war diese ganze grauenvolle Veranstaltung. Reich-Ranicki war der Lichtblick." (FAZ)

p.s. Man muss sich nur die inhaltlich lustlose und gestalterisch bescheidene Webseite des als deutsches Pendant zum Emmy gedachte Preises anschauen, um sich des Klassenunterschieds bewusst zu werden. Könnte nicht jede Pilcher-Verfilmung, jedes Musikantenstadl und jede Comedy zu sein vorgebende Sendung eine Minute kürzer sein und man die gesparten Produktionskosten in gelungenes Design oder ansprechendere Clips investieren, damit die Webpräsenz nicht ausschaut wie die einer mittellosen Selbsthilfegruppe?