Freitag, Februar 27, 2015

"Stil braucht Lässigkeit" - Zum Tod von Fritz J. Raddatz

"Als ich zu Toni Morrison nach Princeton fuhr, hatte ich ziemliches Muffensausen: Würde sich die schwarze Diva des amerikanischen Literaturwesens einem Weißen aus Deutschland öffnen? Kriege ich die Auster auf? Ich brachte ihr einen Riesenstrauß weiße Gardenien mit, die Blume von Billie Holiday. Und siehe da, it worked beautifully. Das Interview ging um die Welt. Als Belohnung für meine Angst habe ich mir in New York eine Tiffany-Lampe gekauft, die ich mir nicht leisten konnte. Wenn ich sie heute anschaue, sehe ich Toni Morrison und nicht Tiffany. So lebe ich mit den Dingen, und deswegen helfen sie mir gegen Bedrückungen und die Schatten, die sich um mich rumwickeln. 
Das ist nicht zu verstehen für Menschen, die den Pizza-Boten anrufen und sich eine Coca-Büchse auf den Tisch knallen. Ich lasse mir ein anständiges Essen bereiten und zwischen den Gängen das Besteck wechseln. Die Frühstückskonfitüre esse ich aus in Paris ersteigerten Tharaud-Keramiken und die Butter aus silbernen Renaissance-Dosen. Alles etwas manieriert, wenn Sie so wollen. Andere nehmen vielleicht Heroin." Fritz J. Raddatz im Gespräch mit dem SZ-Magazin
Fritz J. Raddatz ist tot. Und nun flattern sie rein, die Nachrufe, Einordnungen, Ehrungen und vielleicht auch Schmähungen über das "ungeratene Ostzonenarschloch" (Harry Rowohlt). Obwohl gerade mit Raddatz einer abgetreten ist, der die unbegründete und umso saftigere Schmähung zur Stilform entwickelt hatte: Dürrenmatt? "Wie wir alle wissen" ein wenig dumm. Helmut Schmidt? Ein an "Geschwätz-Diarrhoe leidender Ersatz-Hindenburg. Sloterdijk? Soll sich die Haare schneiden! Karasek? Kein Kollege, sondern Heizdeckenverkäufer. Wohl nur Raddatz hätte einen Nachruf auf Raddatz schreiben können, der Würdigung und Tritt gegen das Schienenbein vereint. 

Bereits seit gestern ist ein langes Interview mit dem SZ-Magazin von April 2014 online verfügbar. Es begeistert wegen der üblichen Gemeinheiten, sprachlichen Kapriolen und dem Gesamtgestus des sich selbst souverän Abseitsstellenden. Die Offenheit, mit der Raddatz im Gespräch über die erlittenen Misshandlungen während seiner Kindheit Auskunft gibt, schockiert.

Und es berührt in dem sehr gut geführten und geschriebenen Gespräch wie  unter der über die Jahre offensichtlich von Raddatz detailliert ausgearbeiteten und vom Kulturbetrieb erwartete "Figur" (So wie von Helmut Berger immer erwartet wird, den torkelnden Trunkenbold zu geben) doch so etwas durchschimmert wie (Fahigkeit zu und Bedürfnis nach) Zärtlichkeit. 

So meint man eine gewisse Geringschätzung für seinen Lebenspartner Gerd wahrzunehmen, der sich aus der Kulturtätigkeit seines Lebenspartner herauszuhalten und eher für die lebenspraktischen Dinge zuständig zu sein schien: Zur Apotheke gehen. Zum Staubtuchgeschäft (!!) gehen. Den Tee oder die Wärmflasche machen. Dann die letzte Frage des Gesprächs: 
Angenommen, Sie dürfen auf Ihrem Sterbebett noch ein einziges Mal telefonieren: Wen rufen Sie an?
Gerd natürlich.


Weiterhin zum Lesen: