Und dann stehen sie auf einmal direkt vor mir. Nicht mehr als Foto oder Clip in den Nachrichten, als oft gehörter Satz in den sachlich verlesenen Meldungen. An einer Straßenbahnhaltestelle fallen mir fünf junge Afrikaner auf.
Drei Männer, zwei Frauen im Alter zwischen 20 und 25 Jahren. Sie schauen auf einen Zettel und versuchen Schilder zu lesen, wirken orientierungslos. Kölner kennen diese Bild: Touristen verlassen das Maternushaus, um stehen zu bleiben und den Weg zum Dom zu finden.
Ich gehe auf sie zu (#Kölnerlassenniemandallein) und spreche sie auf Englisch an (#KölnerkönnenEnglisch). Ob ich ihnen helfen könne. Sie wollen zum Hauptbahnhof, um einen Zug nach Bielefeld zu bekommen. Dort müssten sie sich registrieren lassen. Es sind Flüchtlinge aus dem Senegal. Sie wirken völlig übermüdet und erschöpft. Sie haben nichts dabei. Keine Tüte, keine Tasche. Sie waren aus Trier gekommen, haben ein Ticket für fünf Personen in der Hand und die Information, nach Bielefeld fahren zu müssen.
Als ich ihnen anbiete, sie zu begleiten und in den richtigen Zug zu setzen, sind sie sehr dankbar. In der Straßenbahn spreche ich mit Adam, der die Gruppe führt. Er ist mit seinem Bruder, einem Cousin und zwei Cousinen seit Wochen unterwegs. Er zählt die Länder auf, durch die sie gekommen sind. Ich kenne sie aus den Nachrichten: Türkei, Kroatien, Slowenien, Serbien.
Adam sagt, dass sie seit 4 Tagen in Deutschland sind und Schwierigkeiten haben, sich zu orientieren. Aber er vertraue auf Gott, der ihm immer wieder jemanden schicke, der ihm weiterhelfe, wie jetzt eben mich.
Adam erzählt, dass sie erschöpft seien, weil sie nonstop reisen, immer in Eile, den nächsten Bus, den nächsten Zug zu bekommen und keine Zeit hätten, sich um etwas zu trinken oder zu essen zu kümmern.
Auf dem Gleis ist noch etwas Zeit. 6 Minuten bis der Zug fährt. Ich sprinte los, etwas zu essen und zu trinken zu holen. Ich wühle mich in Eile durch die vorweihnachlichen Menschenmenge am Bahnhof. An der Theke eines Bäckers stelle ich fest, dass ich nicht genug Bargeld habe: Kurz vorher war ich in einer Pizzaria und habe für 40 Euro gut gegessen und getrunken. Jetzt fehlt mir Bargeld, um fünf Senegalesen etwas zu essen und zu trinken zu holen. Ich merke, dass ich in Not gerate. Die Zeit ist so knapp. Es ist, als hätte ich diesen Menschen versprochen, ihnen zu helfen und als könnte ich es nun nicht.
In einem Supermarkt im Bahnhof kann ich mit Karte zahlen, hetze durch die Regale, packe ein, was ich tragen kann. Wasser, Brot, Äpfel, Bananen, etwas Schokolade.
Wieder am Zug: Die Türen sind bereits geschlossen. Es gelingt mir, nochmal eine Tür zu öffnen, in den Zug zu hechten und Adam die Tüte zu geben. Als ich wieder auf dem Gleis bin, sehe ich, wie sich die Gruppe über die Tüte beugt und ihren Inhalt prüft. Sie blicken aus dem Fenster und winken mir zu. Adams Bruder hebt den Daumen.
Sie hoffen, schließlich nach Kassel zu kommen, wo sie Familie haben. In Hamm müssen sie umsteigen. Um 23 Uhr kommen sie in Biefeld an.
Ich weiß aus den Nachrichten, dass Millionen Menschen auf der Flucht sind, dass in Köln Flüchtlinge leben, während wir die Weihnachtsmärkte aufbauen und uns über Xavier Naidoo aufregen oder dass der DFB auch eine Schummelbude ist.
Mit diesen Senegalesen zu sprechen, mit ihnen in der Bahn zu fahren, ihre Erschöpfung zu erleben, zu spüren, zu ahnen, welche Anstrenungen hinter und welche noch vor ihnen liegen, hat mich sehr berührt. Nachts träume ich von Adam und seiner Gruppe, die aus dem weit entfernten Senegal heute im herbstlichen Köln waren. Und ich bete, dass Gott ihnen weitere Helfer schickt.