Freitag, März 09, 2012

Barbara


Hervorragender Film, der zeigt, dass gutes Kino in Deutschland möglich ist: "Barbara" ist ein weiterer Film von Christian Petzold, in dessen Zentrum eine starke Frauenfigur steht. Barbara (Nina Hoss) ist Ärztin aus Berlin. In der DDR der frühen 80er Jahre wird sie von der Charité an ein Provinzkrankenhaus an der Ostsee strafversetzt, nachdem sie einen Ausreiseantrag gestellt hat. Jetzt plant sie mit ihrem Freund aus Düsseldorf ihre Flucht über die Ostsee.

So ist das Krankenhaus für sie nur Wartehalle, Durchgangsstation auf dem Weg in die Freiheit, raus aus dem ihr verhassten System. Im Krankenhaus begegnet sie dem engagierten Oberarzt Andre, den sie misstrauisch und abweisend auf Distanz hält und der tapsige Versuche unternimmt, sich ihr zu nähern. Beiden ist klar, dass er über ihre Geschichte informiert ist und an die Stasi berichten muss. Dennoch wächst Barbaras Anerkennung für Andres Professionalität, der aufgrund eines früheren Vorfalls ebenfalls an der Karriere gehindert wurde.




Anders als Barbara hat er sich mit den Bedingungen arrangiert, mit dem selbsteingerichteten Labor im Krankenhaus, dem Kräuterbeet im Garten, persönlichen Beziehungen, die es ihm ermöglichen, Barbara einen Klavierstimmer nach Hause zu schicken, damit sie in der ihr zugeteilten, bewusst schäbigen Wohnung wenigstens auf dem dort stehenden Klavier spielen kann. Während sie von alldem nur weg will, erkennt und anerkennt sie aber auch zunehmend, dass er dennoch seinen Anspruch an seine Verantwortung als Arzt, zu leben versucht und ohne großes Aufheben und ohne große Unterscheidung nach Freund und Feind, nachkommt. So setzt er sich nach Feierabend an das Krankenbett und führt Laborreihen am freien Wochenende durch und behandelt auch die krebskranke Frau des Barbara schikanierenden
Stasi-Offiziers.



Nur wenige Worten und Szenen genügen dem
von Christian Petzold zusammen mit seinem Lehrmeister Harun Farocki geschriebenen Drehbuch, um Beziehungen und die unmerklich sich in ihnen vornehmenden Verschiebungen anzudeuten: Während die von Barbara erhoffte Flucht näher rückt, wird sie mehr und mehr in die Arbeit und ihre Beziehung zum Oberarzt involviert. Wie sich auf persönlicher Ebene in der warmen Person Andres eine Alternative neben die erhoffte Freiheit an der Seite des Wessi-Geschäftsmannes schiebt - der in Ignoranz der Bedeutung des Arztberufes für ihr Selbstbild Barbara in Aussicht stellt, als seine Frau nicht mehr arbeiten zu müssen - wächst die Vision eines Lebens in echten, sorgenden menschlichen Beziehungen, während die Vorstellung von der Freiheit im Westen immer weniger greifbar wird.

Als Barbaras Partner mit einem Bekannten im Rahmen einer Geschäftsreise zu einem weiteren Besuch in die DDR kommt, trifft sie im Hotel auf ein junges Mädchen, das sein Bekannter aufgerissen hat. Sie hofft darauf, aus der DDR herausgeheiratet zu werden. Mit kindlichen Staunen über den Warenüberfluss blättert sie mit großen Augen in einem Warenkatalog die übervollen Seiten billigen Schmucks durch und zieht Barbara ins Vertrauen. Die blickt auf das Mädchen wie in einen Zerrspiegel. Spätestens jetzt ist klar: Barbara zweifelt an dem Traum vom goldenen Westen.

Durch eine sorgfältige Konstellation der wenigen Figuren gelingt es Petzold Barbaras wachsenden Zweifel als Konsequenz aus ihrer moralischen Verpflichtung gegenüber ihren hilfsbedürftigen Patienten und ihrer wachsenden Nähe zu Andre, der ihr in seinem Verantwortungsgefühl, Zweifel und der Anerkennung ihrer medizinischen Professionalität näher rückt, zu zeigen. Auch dies die große Klasse des Films: Petzold zeigt Situationen, an denen die Entwicklung ablesbar wird, anstatt die Figuren dies erklären zu lassen
.
"wir müssen nicht nur über Sandmännchen und Goldbroiler reden." Christian Petzold
Auch erfreulich, wie die DDR mit wenigen Strichen und erfreulich wenig Requisiten erzeugt wird. Wie einem Theaterstück der spärlicher Requisiteneinsatz und Kostüme genügen, um einen Ort zu behaupten, verzichtet Petzold auf die in DDR-Filmen oftmals anzutreffende penetrante Fülle von Klischees: Spreewaldgurkengläsern, Honeckerportraits, "Neues Deutschland"-Ausgaben am Kiosk und Stasi-Schaufensterpuppen in schlammfarbenen Kunstlederjacken und dicken Hornbrillen.

In "Barbara" braucht es nur eine ruinöse Hausfassade, zwei Wartburg vor der Tür, Barbaras Hadern mit der verkokelten Steckdose und das Geräusch ihrer Schritte auf schlecht haftendem Linoleumboden im Flur, um die DDR glaubhaft zu machen.



So wird "Barbara" zu einem Film, der mit einer kleinen, nicht bis ins Letzte ausbuchstabierten Geschichte (dort, wo die deutende Erklärung des Leinwandgeschehens durch einen penetranten Soudntrack zu befürchten wäre, setzt Petzold auf dokumentarischen Realton) etwas über das Misstrauen und die Unmenschlichkeit des DDR-Systems erzählt und über die Sehnsucht des Menschen nach Nähe unter den Bedingungen des Misstrauens und der Bespitzelung.

"Barbara untersucht das Wesen menschlichen Vertrauens. Wie finden zwei Menschen zueinander, ohne einander vertrauen zu können? Wie verändern sich Beziehungen in einem Umfeld, in dem Misstrauen zum alltäglichen Überlebensmechanismus geworden ist? Ist persönliches Vertrauen die einzig wirksame Waffe gegen die strukturelle Gewalt des Misstrauens? Das sind Fragestellungen, die das Leben in der DDR geprägt haben, aber gleichzeitig weit über den historischen Kontext hinausweisen. Darüber denkt der Film scheinbar mäandernd, aber wohlstrukturiert in einem offenen Diskurs nach. Der Arztberuf, der so radikal wie kein anderer auf einem einseitigen Vertrauensverhältnis aufbaut, spielt hier eine ebenso starke Rolle wie die Stasi als institutionalisierte Form des Misstrauens oder die vorsichtig aufkeimende Liebe zwischen Barbara und Andre, die in der vergifteten Atmosphäre kaum Überlebenschancen hat." (Martin Schwickert in epd Film)