Heute morgen auf dem Balkon gesessen und die 49 Minuten Sonnenschein, die heute (vermutlich für den Rest des Jahres) für Köln angesagt waren, genossen. Dabei die STADTREVUE gelesen, das Kölner Stadtmagazin.
An dieser Stelle ist es Zeit, mal eine ausgiebige(re) Leseerfahrung zu dokumentieren: Ob autonomes Zentrum in Kalk, Ärger am Brüsseler Platz, das Drama um die Architekturverwahrlosung in der Stadt oder die Immobilienskandale um die Messehallen und den Oppenheim/Esch Fonds: Hier finden sich relevante Lokalthemen, gut recherchierte, kompakt und interessant dargestellt.
Das Layout besticht durch Klarheit, die Titel sind tiptop gestaltet, die guten Fotos stammen ALLEALLEALLLE von Manfred Wegener.
Aber es macht auch Spaß, das Magazin zu lesen, selbst wenn die Themen einen nicht unmittelbar interessieren oder betreffen. Die Texte sind zumeist kurzweilig und spritzig. Die Überschriften gelungen mit Zug zum Wortspiel und Zitat. So lautet der Titel zum Beitrag über Politikbeteiligung Jugendlicher in Rodenkirchen "Ich möchte Teil eines Jugendforums sein". Ein Beitrag über die zunehmende Privatisierung öffentlich zugänglicher Badeseen durch kostenpflichtige Sand-Badestrände mit Lounge-Mucken-Terror wird mit "Die Vertreibung aus dem Badeparadies" betitelt. Erstaunlich, dass Köln keine Tageszeitung auf die Reihe bekommt, die annähernd so gut ist.
Überbewerter Beaujolais und Büffelmozarella
Überhaupt die Sprache! Je spezialisierter das Thema, je flüchtiger der Gegenstand der Beschreibung, desto schwelgerischer die Schreibe. So kann man bei den Platten- und Restaurantkritiken studieren, was man in einem eng begrenzten Themenfeld und mit wenig Platz alles variantenreich mitteilen kann. Da finden sich dann fein gearbeitete Adjektivkonstruktionen, Wortneuschöpfungen neben plumper Beleidigung.
Seine Kolumne "Nachtisch" zum Essen und Trinken widmet Bernd Wilberg aus naheliegendem Anlass in der aktuellen Ausgabe dem Spargel:
"(...) der Cover-Star der Rezept Magazine nervt. Auch wegen des Brimboriums, das seine Anhänger auf den Wochenmärkten jetzt veranstalten. Man denke nur an den albernen "Quietsch-Test". Dem Spargel-Kult kommt in seiner Maßlosigkeit wohl nur die Überbewertung von Beaujolais oder Büffelmozarella gleich."
DAS ist doch mal ein meinungsbetonter Satz, den man sich für Partykonversation oder für den Bewerbungsgesprächeinstiegsphasensmalltalk merken kann.
Wehmutspiano, Heulsusenvioline und nervös klackernde Schnalzrhytmen
"...Wehmutspiano, Heulsusenvioline und engelhafter, brüchiger Falsettsingsang treffenauf nervös klackernde Schnalzrhytmen und diffuse Synthieflächen. Die Stimmung changiert zwischen heiligem Weltschmerz, Beklommenheit, draller Gefühlsduselei und verträumter Stolpre- und Rumple-Exkstase". (Autor: Christian Werthschulte)
"...Jens Rachut, die deutsche Antwort auf Iggy Pop (...) bekannt für die Art kompromisslosen Punk-Dadaismus, mit dem die Goethe Institute dieser Welt traditionell nichts anzufangen wissen, scheint ein gutes Händchen für Bandnamen zu haben: Oma Hans, Kommando Sonnenmilch, Dackelblut, Blumen am Arsch der Hölle, Angeschissen. Auch in der schwierigen Disziplin "Schreigesang" kann Rachut als ungeschlagen gelten. Nächstes Jahr wird er tatsächlich sechzig Jahre alt. Sein neuester Irrsinn (...) trägt den Namen N.R.F.B. - Nuclear Raped Funk Bomb. Ihren dekonstruktivisitschen Elektro-Ounk versieht die Combo mit der passenden Gaga-Lyrik ("Liebe erhängt sich am Kreisverkehr / Ich küsse Dein Rücklicht im Winter"), als hätten sie sie aus Schorsch Kameruns geheimen Notizbüchern abgeschrieben. (...) Im Vergleich zu dem konformistischen Hartkäse, der ansonsten hierzulande ungestraft erscheinen darf, ist der hier präsentierte glorreiche Vollquatsch die reinste Erholung. Man wünscht sich ein, zwei, drei, viele Bands wie N.R.F.B. Es sind kluge Menschen, die Gutes tun." (Autor: Thomas Blum)
Wahre Liebe vs. Notdurft
Der heimliche Star des Magazins sind aber die Kleinanzeigen. Hier findet sich reichlich Material für sprach-, geschlechts- und sonstigesoziologische Betrachtungen. Dabei kann man feststellen:
Der heimliche Star des Magazins sind aber die Kleinanzeigen. Hier findet sich reichlich Material für sprach-, geschlechts- und sonstigesoziologische Betrachtungen. Dabei kann man feststellen:
1. Ziele
ALLE Anzeigen von Frauen zielen auf Beziehung, (fast) ALLE Anzeigen von Männern zielen auf Affäre (für größere Ansicht auf Bild klicken).
ALLE Anzeigen von Frauen zielen auf Beziehung, (fast) ALLE Anzeigen von Männern zielen auf Affäre (für größere Ansicht auf Bild klicken).
2. Alter
ALLE Frauen suchen Männer, die gleich alt oder älter sind als sie selbst, ALLE Männer suchen Damen, die HÖCHSTENS so alt sind wie sie selbst, gerne aber "20-25jährige Studentinnen".
Frauen machen sich Mühe, sich und ihr Profil angemessen darzustellen. Dabei bedienen sie sich der bekannten Anzeigensprach-Chiffren von gerne in Anführungsstrichen daherkommender "augenzwinkernder Selbstironie" ("Einzelstück sucht Zerstreuung", "Knallerfrau sucht...", "Pfundigrunde Frau sucht...", "Klasse Frau sucht Klasse Mann...") bis Roland-Kaiser-gefühlig ("Die Sonne gemeinsam spüren...", "Zeig mir die Sterne...").
Die Herren dagegen kommen schnell zur Sache und klären mit den ersten Worten, worum es geht ("Lust auf Lust?", "Guter Sex...", "Affäre gesucht?").
Schön, dass unter solchen Anzeigen, in denen Herren Frauen suchen, die "gerne gebunden" sind sich dann eine Anzeige findet:
Aber es gibt auch Romantiker ("Du fehlst mir zum Glück...") oder solche, die einem flüchtigen Moment mit präzisesten BKA-tauglichen Angaben hinterherrecherchieren: "Hey Du, letzten Samstag gegen 15 Uhr auf der Schildergasse. Du blond mit Freundin vor Schaufenster, ich - mit Freund unterwegs - dunkeblond, 180cm, blaue Jeans, schwarze Jacke. Kurzer Blickkontakt. Vielleicht mehr...?"
Schön auch, wenn dann die Kontaktmailadresse die Abwesenheit von Verzweiflung dokumentiert: "Würde mich freuen, von Dir zu hören youaretheone@ich-bin-verrueckt-nach-dir.de
Die schönste Anzeige aber ist eindeutig:
Wir halten fest: Während Fitness-Studio-Türken in der Umkleide gerne darüber reden, wie toll es im Puff war, muss man anerkennen, dass sie für die gewünschte Dienstleistung wenigstens bezahlen, während klemmige, selbstgefällige 50jährige ZEIT-Leser zu erwarten scheinen, kostenlos bedient zu werden, da ja 20-25jährige Studentinnen nichts besseres zu tun haben, als sich zu einem alten Mann ins Bett zu legen. Jeder Jeck es eben anders...