Sonntag, Juni 30, 2013

Filibusterpower

Guter Kommentar von Michael Köhler im Deutschlandfunk zum Filibuster in den USA, mit dem die Abgeordnete Wendy Davis die Verabschiedung des Gesetzes zum Verbot der Homo-Ehe verhindert hat. Mit dem Recht auf ununterbrochene Rede kann in den USA die Verabschiedung eines Gesetzes so lange herausgezögert werden, das diese nicht umgesetzt werden können.
"Durch buchstäbliche Augenscheinlichkeit, die in der Antike "evidentia" hieß und durch Ermüdung, überwältigte die Senatorin. Nicht durch die Inhalte oder die Form der Redekunst, einzig durch Dauer. Sie tat es wie eine frühe amerikanische Frauenrechtlerin: eine moderne Suffragette, die sich eines alten Mediums bediente, der Rede. Und damit in Zeiten entfalteter moderner, komplexer Mediengesellschaften eine uralte römische Technik aus der Tasche zog. Es bewährt sich wieder einmal die Vermutung, dass in der Postmoderne der Rückgriff auf Tradition, auf alte Mittel, zur Avantgarde wird. (...) Schaut man sich die Reaktionen der amerikanischen Öffentlichkeit an, geht es gar nicht mehr um den politischen Inhalt, sondern die Langstreckenleistung, den Marathon, den Wendy geschafft hat, den performing act. Funktioniert hat das nur, weil Einrede, Gegenrede, weil Unterbrechung untersagt ist. Auch den Netzstecker fürs Mikro darf keiner ziehen. Das alles lebt vom ungehemmten freien Rederecht. Die Rede hält in der Schwebe. So wie man mit Attentätern versucht ins Gespräch zu kommen, um sie vom Handeln abzuhalten, ist das Redehandeln ein Aussetzen des Vollzugs. "Kommt reden wir miteinander", schrieb der expressionistische Dichter Gottfried Benn in einer Gedichtzeile. "Wer redet, ist nicht tot."