Wenn Sterbende kurz vor ihrem Tod noch Chemotherapie,
Bestrahlung und Operationen über sich ergehen lassen müssen, vergrößert das ihr
Leid und verhindert einen würdevollen Abschied. Weil die Vergütung im
Gesundheitssystem diese Überbehandlung belohnt, sind immer mehr Schwerkranke
betroffen.
In seinem Buch "Patient ohne Verfügung", das am 1.
September im Piper-Verlag erscheint, gibt Dr. Matthias Thöns, Lehrbeauftragteram Lehrstuhl für Allgemeinmedizin der Ruhr-Universität (Prof. Dr. Herbert
Rusche) Anregungen für Veränderungen.
Jeder dritte Sterbenskranke erhält in den letzten
Lebenswochen Chemotherapie, Apparatemedizin oder gar Wiederbelebung, jeder
zweite Deutsche stirbt in der Klinik. Matthias Thöns berichtet aus seinem
Alltag als ambulant tätiger Palliativmediziner. Er beschreibt selbst erlebte
Schicksale und erläutert die Hintergründe laienverständlich.
Vergütungssystem verschärft das Problem
So wird das Problem der überflüssigen Apparatemedizin am
Lebensende durch das 2004 eingeführte Vergütungssystem im deutschen
Gesundheitswesen gespeist: Viele Eingriffe bei schlimmen Diagnosen werden von
den Krankenkassen besonders hoch bezahlt, und die Ärzte an diesen Gewinnen
durch "Bonusverträge" beteiligt.
Obwohl der Politik das Problem bekannt ist, fanden sich
im Jahr 2015 solche Klauseln noch in 97 Prozent der Chefarztverträge an
deutschen Kliniken. "Längst warnen auch Fachverbände, die
Bundesärztekammer, der Deutsche Ethikrat und die Bertelsmann Stiftung vor der
Problematik", unterstreicht Matthias Thöns.
Immense Kosten und großes Leid
Neben dem zusätzlichen Leid der Sterbenskranken
verursacht die Übertherapie auch immense Kosten: Bis zu 25 Prozent der
Gesamtausgaben der Krankenkassen fließen hinein. Fast jeder zweite Euro
ambulanter Pflegeleistungen wird für zumeist ungewollte "Apparatemedizin
zuhause" ausgegeben.
Hausärzte haben es in der Hand
Hausärzte besäßen eine Schlüsselposition, diese
Missstände zu verändern, legt Thöns dar: So werden durch die hausarztzentrierte
Versorgung weniger Patienten sinnlos in Kliniken eingewiesen und unnötige
Eingriffe vermieden. "Hausärzte sollten sich als neutrale
Zweitmeinungsberater engagieren", sagt Matthias Thöns. "Zweitmeinung
vermeidet Studien zufolge bis zu 60 Prozent der unnötigen Eingriffe."
(Quelle: PM)