Heute muss Commerzbank-Chef Martin Blessing den Einstieg des Bundes sowie den Kauf der Dresdner Bank vor den Anlegern rechtfertigen - ein paar von ihnen wollen den Vorstand erst einmal nicht entlasten. Für die Online-Ausgabe der Financial Times Deutschland berichtet Nina Luttmer live von der Hauptversammlung der zweitgrößten deutschen Bank.
Man weiß nicht, was famoser ist: Die selbstentlarvende Groteske, die so ein Schauspiel namens Hauptversammlung darstellt, die - spätestens wenn die Kleinaktionäre das Podium übernemen - einem Programmparteitag der Grünen in nichts nachsteht.
Dabei ist unklar worüber man sich mehr amüsieren soll: Über die offensichtliche Realsatire, die eine Aktionärsversammlung darstellt, bei der hunderte Kleinaktionäre, Rentner und Schnorrer sich v.a. auf die Eröffnung des Buffets freuen oder dem Moment entgegenfiebern, in einem eigenen Wortbeitrag wahlweise den eigenen Berater vom Mikrophon aus zu grüßen (Aktionär Klaus Bill grüßt seine Commerzbank-Beraterin Frau Haas dafür, "dass sie es so lange mit mir ausgehalten hat. Denn ich bin ja ein schwieriger Mensch, sagt meine Frau."), den Würstchenmangel zu beklagen, Vorstände zu beschimpfen ("Sie sind ein Pfui-pfui-Vorstand"), "den feinen Herren da oben" mal ordentlich die Meinung zu sagen oder Lokalpolitik zu betreiben ("Ich fahre öfters mit meinem Fahrrad zur Filiale Ecke Schillerstrasse, Graeffstrasse in Frankfurt. Ich finde es sehr störend, dass es dort keine Fahrradständer gibt. Vielleicht könne man diesem Problem Abhilfe schaffen, indem man an jeder Filiale zwei bis drei Fahrradständer aufstellt.") oder über die ungeschminkte Schreibe von Nina Luttmer ("Blessing beantwortet jetzt erstmal die von den Aktionären bislang gestellten Fragen. Mann oh Mann, seine Töchter haben Recht: er kann echt nicht vom Blatt ablesen."), die ab sofort für titanic-online.de von allen anderen Aktionärsversammlungen berichten sollte - obwohl man ihr das dann doch nicht antun wollte:
"Sie sehen: Hier geht es richtig zur Sache. Falls Sie sich beim Lesen dieser Nachricht langweilen sollten, trösten Sie sich: Wir Journalisten langweilen uns derzeit auch ganz schlimm. Gott sei Dank gibt es im Presseraum eine hervorragende Kaffeemaschine die exzellenten Latte Macchiato macht. Leider stehen da gerade ziemlich viele Journalisten an."
Was bei diesem Stenogramm des Grauens deutlich wird: Die Manager müssen für ihre Gehälter 1x im Jahr so richtig bluten und sich dieses Lokal-Laientheater mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen reinziehen, gegen das Programmparteitage der Grünen die reinste Konzils-Versammlung sind und das gibt einem dann doch aus der Ferne etwas Genugtuung.
In der Süddeutschen Zeitung schrieb Peter Laudenbach am 9. April zu ähnlichem Thema über die Theater-Aktivistengruppe "Rimini Protokoll", die kurzerhand die Daimler-Aktionärshauptversammlung zum Theaterstück erklärten und 200 Daimer-Aktien kauften, um Theaterzuschauern die Zugangsberechtigung zur Hauptversammlung zu verschaffen.
"Eleganter dürfte das Prinzip Ready-Made selten im Theater fruchtbar gemacht worden sein. [...] Aus den Notwendigkeiten juristischer Absicherung, den Formalien der Aktionärsdemokratie und der Simulation einer echten Aussprache entsteht ein sehr spezielles Inszenierungsmuster öffentlicher Kommunikation.
Es gewährt Einblicke in eine unglaublich dröge Funktionsmechanik samt endlosen Fragen der Anteilseigener und möglichst formelhaften Antworten des Vorstands- wie des Aufsichtsratsvorsitzenden.
Dazu passen die Horden von Kleinaktionären, die in den Foyers in endlosen Schlangen am Büfett anstehen, um eine armselige Kartoffelsuppe zu ergattern.
So ungefähr muss man sich die Armenspeisung in einer Suppenküche zur Zeit der Großen Depression vorstellen. Wenn die Krise irgendwo voll angekommen ist, dann hier."
(Quelle: SZ/Rimini Protokoll)