Freitag, Dezember 07, 2012

Jib et dran

"RTL FEUERT RAINER HOLBE krakeelte mich die Schlagzeile an, und weil ich wissen wollte, was man alles können muss, um von einem privaten Fernsehanbieter gefeuert zu werden, kaufte ich das Blatt. (...) Er sagt, die Juden hätten Jesum "ans Kreuz gegeben". ("Jib et dran, Josef, du jetzt nit in der Stimmung," sagt die Dame am Nebentisch, als ihr muffiger Mann Ansichtskarten schreiben wollte.) Denn dass die Juden nie auf so eine unappetitliche, in jedem Sinne trefene, also unkeuschere Hinrichtungsmethode verfallen würden, erhellt bereits flüchtigste Bibellektüre. 
Holbe sagt, die Juden hätten Jesum "für einen Verbrecher" ans Kreuz gegeben. Für wen? Für Barabas. "Barabas aber war ein Mö-hör-der", heißt es in jeder besseren Johannes- oder Matthäuspassion lakonisch. War er aber nicht. Barbaras war ein bewaffneter Widerstandskämpfer. 
Die römischen Besatzer hatten zwei Todesurteile verhängt, und weil Ostern war, durften sich die Bewohner der besetzten Gebiete aussuchen, wer von den beiden Promis begnadigt wird. Sie hatten also die Wahl zwischen einem Volkshelden und einem religiösen Spinner. Sie hatten die Wahl zwischen Ché Guevara und Pfarrer Sommerauer, oder, wo wir gerade am Vergleich sind, zwischen Sophie Scholl und L. Ron Hubbard."

Harry Rowohlt, POOH'S CORNER, Frankfurt 2005, S.55ff