Als prototypisches Beispiel der Arbeitsweise von Morgen jenseits der Festanstellung , sondern im Schwarm eines losen Zusammenschlusses von Akteuren, die sich mit ihren je spezifischen Fähigkeiten immer nur für die begrenzte Dauer eines Projektes zu einem Team zusammenschließen, um danach in das über mehr oder weniger verbindliche Kommunikation sich konstituierende "Netzwerk" abzutauchen, wird die ZIA, aus deren Umfeld das Konzept der "digitalen Boheme" sich rekrutiert, angeführt. Soweit so Trend.
Die Behauptung des Artikels und der "Trendforscher" (Ist dies nicht ein Widerspruch in sich? Ist nicht die Einrichtung eines Büros, einer Webseite, das Anbringen eines Klingelschildes, Bedrucken von Visitenkarten, also die Institutionalisierung das allen Trends genau Entgegengelegene? Treibt sich Mathias Horx in hippen Undergroundläden herum und trifft sich mit immerjungen Informanten, die ihm die neuesten, in den Clubs - denn diese werden immer noch als die Orte, an denen Trends entstehen, bzw. dargestellt werden unterstellt - zirkulierenden Themen zuraunen? In dem Moment, in dem ein Trend als Trend erkannt, benannt und deklariert wird, hört der Trend auf Trend zu sein und beginnt der Prozess der, entlang der Kommunikationskette zunehmend industrialisierten Vermittlungskette, die am Ende in totale Verarbeitung und Verramschung umschlägt. Ist es also nicht eher so, dass alles, was das Label "Trend" trägt alles ist nur nicht Trend, was ja immerhin auch eine Art Orientierung gibt..): "Sämtliche Tätigkeiten, die sich wiederholen lassen, werden über kurz oder lang an Maschinen delegiert oder ins Ausland verlagert. In Hochlohnländern verbleiben allein Tätigkeiten außerhalb von Routine. Damit wächst der Bedarf an kreativen Wissensarbeitern erheblich. Die Kernbelegschaften der Unternehmen schrumpfen, die flexiblen Randbelegschaften gewinnen an Bedeutung. Projektarbeit nimmt zu. Die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit verschwimmen zunehmend."
Das Typische an diesen Analysen ist aber nicht deren Erkenntnis, sondern der Vorgang, dass die - zumeist studierten - Autoren solcher Artikel ihre, aus der Selbstbetrachtung und ihrem Umfeld sich rekrutierenden Ansichten, verallgemeinern und ihr Ego derart aufblasen, dass sie ihre privaten Erfahrungen für ein autentisches Abbild gesamtgesellschaftlicher Entwicklung halten und in der Tatsache, dass sie selbst mit 35 noch nicht verheiratet oder Eltern sind, ebenso Trends erkennen, wie in dem Umstand, dass sie freiberuflich tätig sind oder einer Beschäftigung nachgehen, die sie v.a. mit dem Laptop und auch zu Hause erledigen (können).
Dabei wird immer wieder vergessen, dass es nicht nur magisterstudierte, laptopbewehrte, kulturproduzierende Kaffeehausbesucher, Blogger, Webagenturmitarbeiter, Werbetexter, Stadtmagazinteilzeitautoren, Onlineredakteur, usw. gibt (Siehe hierzu den Text MEINE ARMUT KOTZT MICH AN von Zitty-Chefredakteurin Mercedes Bunz), sondern auch nach wie vor Friseusen, Dachdecker, Fliesenleger, Taxifahrer, Gärtner, Stewardessen, KFZ-Meister, etc. die alle nach ihrem Schulabschluss eine Ausbildung absolviert haben, mit Anfang/Mitte 20 ihren Beruf ausübten, mit Ende zwanzig verheiratet, sehr bald danach Eltern und Anfang/Mitte 30 Hausbesitzer waren.
Immerhin dokumentiert der Artikel auch die Gegenentwicklung und Gegenwirklichkeit des hohen Liedes der Flexibilität, befristeter Verträge und projektierter Bindungen von Arbeitnehmern. Letztlich übersehen die Arbeitgeber nämlich, dass, wenn sie die Unverbindlichkeitsschraube ihrerseits überdrehen, die anfänglich zunehmende Abhängigkeit (und also Regierbarkeit z.B. in Richtung sinkender Löhn bei steigernder Arbeitszeit etc.) der Arbeitnehmer umschlagen kann in eine Abhängigkeit der Unternehmen von diesen Freelancern.
Die Unverbindlichkeit des Beschäftigungsverhältnisses hat nur solange sanktionierende Wirkung auf die in diesen prekären Verhältnissen Beschäftigten, solange diese an die Möglichkeit der Verfestigung des Beschäftigungsverhältnisses durch gute Leistung glauben, bzw. solange diese Vorstellung ihnen als real erreichbar simuliert wird. Das Medium mit demdie Arbeit-geber ihre Angestellten regieren und zur Hinnhahme immer prekärer werdender Bedingungen zwingen, ist Angst. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, die Vermutung, dass es, wenn man sich bestimmten Bedingungen (längerer Arbeitszeiten, Lohnkürzungen, etc.) verweigert, es immer andere geben wird, die bereit sind, diese Bedingungen anzuerkennen.
Mit diesem Mittel operiert eine Gruppe Politiker, Wirtschaftslobbyisten und anderer Meinungsmacher, die mit Angst - vor der Globalisierung, der internationalen Konkurrenz, der Überalterung, der Marktfähigkeit, zu hohen Lohnstückkosten, etc. - und mit der Lancierung volkswirtschaftlichem Halbwissens in die öffentliche Debatten die Bevölkerung sturmreif geschossen haben, bis sie die weiße Fahne schwenkt und alle "Reformen" genannten Zumutungen kritik- und protestlos hinzunehmen bereit ist.
Haben die Angestellten aber einmal begriffen, dass auch hervorragende Leistung, Qualifikation, jahrelange Zugehörigkeit oder das freundschaftliche Duzen des Direktors nicht vor Kündigung schützt, schlägt das Abhängigkeitsverhältnis um und ergibt sich für den sich ohnmächtig Erlebenden die Möglichkeit der "Entunterwerfung".
Der Arbeitnehmer bindet sich nicht mehr an das Unternehmen und versteht sich von vornherein als befristeter Besucher. Seine Loyalität gilt seinem privat verwaltetem Netzwerk und sich selbst. Das Unternehmen, in dem er tätig ist, ist ein Platz, auf dem er sich befristet aufhält. Das Bedeutet, das die Abhängigkeit - jedenfalls im Beschäftigungssegment Hochqualifizierter - sich umkehrt: Unternehmen müssen sich bei ihren Angestellten bewerben. So ist es für amerikanische Spitzenuniversitäten selbstverständlich, dass sie sich bei hervorragenden Absolventen bewerben, ihn zu Gesprächen einladen, um sich ihm präsentieren zu können. Die Institution bewirbt sich beim Studenten, weil sie weiß, das den Besten immer alle Optionen offen stehen. Im autoritätsverliebten Deutschland wirkt nach wie vor ein Patronatsverständnis väterlich fördernder Karriereermöglichung nach Gutsherrenart, für die im Wechsel Loyalität und Dankbarkeit eingefordert wird. Dieses berufsbiographische Prinzip des 19. Jahrhunderts funktioniert in der digitalen Moderne kaum. Die bislang immer eher als die Arbeitnehmerschaft disziplinierendes Schreckgespenst behauptete internationale Konkurrenz, (oder flaue Konjunkturlage etc. also die Illusion, die Arbeitgeber säßen an der Stellschraube "Arbeit", die sie mit sorgenvoller Miene) mit der der heimische Nachwuchs zu Spitzenleistungen unter scharfen konkurentiellen Bedingungen angespornt werden sollte, sucht nun die biederen Verbandsfunktionäre heim.
Wenn ein Unternehmen seiner Belegschaft permanent mitteilt, dass ihre Anwesenheit im Unternehmen immer nur auf Abruf besteht, dass Erfolge und gute Leistungen, selbst wenn diese honoriert werden, nicht notwendig in Zusammenhang mit einer fortgeführten Beschäftigung stehen, verändert dies mittel- und langfristig die mentalen, habituellen Einstellungen der Beschäftigten, die sich fortwährend gegen die Behauptung des Unternehmens der Nichtnotwendigkeit ihres Beschäftigung stemmen müssen.
Das Unternehmen stellt die Prüfung der Möglichkeit/Notwendigkeit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses auf Dauer. Dabei überschätzen die Unternehmer ihre Bedeutung als "Arbeit-geber".
Denn umgekehrt wird ein Arbeitnehmer der seine Beschäftigung als befristet und tendenziell gefährdet weiß, sich per se mit Blick auf die Trennung vom Unternehmen hin organisieren und seinerseits in Alternativen denken. Das Unternehmen wird dann als Feld zum Erwerb und zur Maximierung eigener, berufsbiographisch umsetzbarer Kompetenzen und Erfahrungen mit Blick auf verbesserte Anschlussmöglichkeit für folgende Beschäftigungsverhältnisse gesehen und (aus)genutzt. Dabei geht es dem Arbeitnehmer darum, Zugang zu Aktions- und Tätigkeitsfeldern zu bekomen, die es ihm ermöglichen "Premiumkompetenzen" zu erwerben, die ihm im Folgenden die Möglichkeit bieten, sich am Vergabe-Wettbewerb um höherwertige Aktions- und Tätigkeitsfelder zu beteiligen.
Um es begrifflich etwas aufzublasen: Der ent-täuschte Arbeitnehmer, d.h. derjenige, der die Vorstellung, durch eigene Leistung seine Beschäftigungssituation stabilisieren zu können, als Fiktion und Täuschung erkannt hat, wird in dieser Erkenntnis frei. Frei von der Angst vor Entlassung, die als Damoklesschwert auf Dauer über ihm schwebt. Mit der Einsicht, dass der Arbeitgeber ihn per se als austauschbares Objekt betrachtet, weil es ein Heer an Alternativen gibt, wird das Beschäftigungsverhältnis bzw. das Unternehmen für den Angestellten zur Alternative.
Dadurch entsteht die ironische Situation, dass je besser, erfahrener, kompetenter ein Mitarbeiter wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser für andere Unternehmen attraktiv(er) wird und also die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass er das Unternehmen verlässt und das Unternehmen also gezwungen ist, das prekäre Arbeitsverhältnis zu stabilisieren, also genau das Gegenteil von dem zu tun, was ursprünglich angestrebt wurde.
"Wirkliche Exklusivität erhalte nur, wer Mitarbeiter an sich bindet. [...] Es fragt sich allerdings, wie ein Unternehmen die Mitarbeiter, die es wirklich braucht, künftig an sich binden soll. „Ein Unternehmen braucht neben den hochqualifizierten Kreativen auch Mitarbeiter, die den Kulturkern des Unternehmens stabilisieren“, sagt Scholz. Also Leute, die sich sehr stark mit dem Unternehmen identifizieren, alte Geschichten erzählen können und somit identitätstiftend wirken.
Denn sonst würden die Fliehkräfte so stark, daß sie das ganze Unternehmen zerlegen könnten. „Die hochspezialisierten Experten brauchen das Unternehmen nicht, sie können überall arbeiten. Und die flexible Randbelegschaft ist per se nicht sehr stark an das Unternehmen gebunden.“"
So entwickelt das Subjekt eine andere "Gouvernementalität" (Foucault) womit nicht nur die
Regierung eines Staates durch Politik, sondern auch und v.a. die vielfältigen Form der Fremd- und Selbstführungstechniken gemeint sind. Der Agent seiner selbst wird selbstbewusster gegenüber dem Unternehmen anbieten, das wieder mehr als Arbeitszeit- bzw. Arbeitsfähigkeitsnehmer wahrgenommen wird.
Der ganze Artikel Die Zukunft gehört den Einzelkämpfern in der Online-Ausgabe der FAZ.
p.s. Irgendwann soll bitte mal ein Germanistikseminar eine Typologie des Journalismus entlang der Sektionen Politik, Wirtschaft, Kultur, Medien, Sport und den in diesen Sparten vorkommenden Artikeln analysieren, um die typischen inhaltlichen und sprachlichen Zutaten für die in den Ressorts typischerweise auftauchenden Artikeln zu bennenen und ein Journalists-Cookbook zu erstellen.
So muss in einem Artikel zum Thema "Zukunft der Arbeitsgesellschaft" vorkommen: Informationstechnik (wahlweise: Informationstechnologie, Web 2.0), Nomaden, Legionäre, Söldner, seriell, Trend, Trendforscher, Trendbüro, Netzwerk, Cluster, Freizeit/Arbeitszeit, Selbstunternehmer, usw.
In Zeitungen lesen wir also nicht, was neu ist, sondern, was als Idee längst zirkuliert und ausreichend ventiliert worden und also anschlussfähig ist und von der Mehrheit der Leser verstanden wird. Denn es geht nicht um die Entwicklung des neuen, sondern das Abnicken des Bekannten, die sanfte Anreicherung bekannter Themen mit neuen Ideen, Begriffen.