Sonntag, April 15, 2007

Wat isn ditte? Dit is det Leben, wa?

Passend zum frühen Hochsommer und als hätte ein ARTE-Themenabend-Redakteur die Filme zusammengestellt: Nach VOLVER nun (endlich) auch SOMMER VORM BALKON gesehen. (Randfrage: Was ist es, dass mich vor dem Regal der Videothek [Warum eigentlich nicht längst DVDothek oder XBoxothek?] und der Alternative Kultur/Gehalt vs. Eye Candy stehend immer nach letzterem greifen lässt?)

Nicht belehren aber neues erfahren
Im Zusatzmaterial der DVD, das, wie immer bei X-Filme recht okay ausgefallen ist (Making of, Entfallene Szenen, Outtakes der dauerkichernden Nadja Uhl und pupsender Kameramänner)
sagt Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase den Satz, dass man im Kino zwar nicht belehrt werden aber doch eine neue Erfahrung machen wolle. Ein sehr schöner und wahrer Satz: Und das führt wieder zu der Culture / Eye Candy-Kontroverse: Eye Candy-Filme, also das, was der Hollywood Mainstream ausspuckt, sind die permanente Deklination des Immerselben in wechselnder Verpackung unter dem besonderen Gesichtspunkt der Anschlussfähigkeit und Wiedererkennbarkeit zum Zwecke der leichten Verdaubarkeit und zielgenauen Bedienung der Erwartungshaltung des Publikums, das sich solche Filme gezielt zur (Wieder)Herbeiführung bestimmter Gemütszustände aussucht. Dies, das Fehlen des Unerwarteten, Fremden, Neuen, Widerspruchs, sondern die Bestätigung des schon Bekannten, gezielte Hervorrrung gewünschter Affektlagen, macht diese Filme zu Kitsch und zu - im Privaten nicht vorwerfbaren, weil dem menschlichen Ur-Bedürfnis "nach Behaglichkeit, schöner Stimmung, Sicherheit, Eindeutigkeit und Aufgehobensein (...) kurz: im Bedürfnis, der Unwirtlichkeit der exzentrischen Position zu entrinnen" (Reichenbach, S. 430) begründet sind - Mitteln zur Herstellung bestimmter kitschiger Stimmungen (Siehe in dem Zusammenhang auch die Erläuterungen zum Konzept von "Kitsch" bei Roland Reichenbach: Demokratisches Selbst und dilettantisches Subjekt, S. 430ff.). Dem Hugh-Grant-Zuschauer geht es nicht um das Objekt, das er zum Anlass für sein Kitscherleben nimmt, sondern um sich selbst. Daher sind diese Filme, Genre-Filme eher Werkzeuge oder Medikamenten gleich Mittel zur Herbeiführung bestimmter mehr oder weniger vom Verwender ausdrücklich gewusster und formulierbarer Stimmungen und Gefühlslagen.

Am Beispiel des bereits erwähnten Hugh Grant wird das besonders deutlich: Er dreht im Grunde immer ein und derselben Film. Daher mögen wir solche Filme. Weil sie uns punktgenau das liefern, was wir zu einem bestimmten Zeitpunkt wollen. "Mir ist heute nach einem Hugh-Grant-Film" bezeichnet eine bestimmte Stimmungslage und einen bestimmten Bedarf, der dann im Algorythmus der Amazon-Homogenitäts-Logik dann auch entsprechend verarbeitet und als zusammenklickbares Geschmacksprofil abgebildet werden kann: "Kunden die abc gesehen haben haben auch xyz gesehen".

Es geht dabei EBEN NICHT um neue Erfahrung, sondern das angenehme Gefühl der Vertrautheit, des Bekannten. Auch wenn man DIESEN Hugh Grant Film noch nicht kennt, der Figurentyp, den er spielt, kennt man, die Scherze, die kommen, bewegen sich in einem Spektrum, dass der Zuschauer kennt und decodieren kann und auch erwartet - bei einem Film wie AMERICAN DREAMZ kann man besichtigen, was passiert, wenn sich ein Hugh-Grant-Vehikel zu sehr aus dem Bereich des anschlussfähigen Hugh-Grand-Cods hinausbewegt: Das Publikum erkennt "seinen" Hugh Grant nicht und lässt den Film durchfallen. AMERICAN DREAMZ ist nicht komplette Satire aber doch schon recht ordentliches WAG THE DOG Niveau. Das Hugh-Grant-Publikum ist aber kein WAG-THE-DOG-Publikum und schaut den Film nicht und das WAG-THE-DOG-Publikum schaut nicht zwingend Hugh-Grant-Filme. So fiel der Film (leider) durch.

Dabei ist dies nicht gering zu schätzen. Es gehört eine gewisse technisch-handwerkliche Fertigkeit dazu, ein genau passendes Exemplar der Kategorie "romantic comedy", "thriller", "drama" usw. zu fabrizieren und es kommen ständig Filme ins Kino, die dies nur halb geschafft haben, bei denen man erkennen kann, anhand der Figurenkonstellation, die zusammengeführt wird, der Musik, dem Ansatz des Erzählstils, usw. was beabsichtigt war und doch auszuführen nicht gelungen ist.

Aber zum Film daselbst: Wie VOLVER ist SOMMER VORM BALKON ein Film von, mit und über Frauen. Über Freundinnen, Konkurrentinnen, Liebhaberinnen, Töchter. Wie in VOLVER sind die wenigen Männer, die auftauchen, schlicht gestrickte Paschas (wie der kolossal lakonisch dargestellte Ronald), Einfaltspinsel (wie die Einsteller), nette harmlose Tölpel (wie der aus der Ferne angehimmelte Apotheker), alte Verwirrte, jung und unbrauchbar (wie die beiden Diebe, die gewaltsam in die Wohnung des von Nike gepflegten Oskar eindringen und von der tapferen Nike mit dem Brotmesser verscheucht werden) oder einfach nur Vergewaltiger.

Aber - in der Obhut dieser jungen, starken Frauen wächst eine neue Jungsgeneration heran, die hoffen lässt: Max, der 12jährige Sohn von Katrin, ist der einzige Mann von Format in dem Film. Er stellt seiner vom nächtlichen Balkonbesäufnis mit Nike morgens nach Hause torkelnden Mutter einen Kaffee und einen Apfel hin, holt Hilfe, als Katrin mit Alkoholvergiftung zusammenbricht, hält während ihres Klinikaufenthalts den Haushalt in Schuss und bringt nie ein Wort des Vorwurfs über seine Lippen.

Die von Nadja Uhl als eine Mischung von Merets Becker Rita aus DIE SCHAMLOSEN und mit dem Sexappeal und Pragmatismus von Julia Roberts ERIN BROKOVICH dargestellte Nike stapft sexy und patent durch das Leben und zieht sich ausgerechnet den total eindimensionalen LKW-Fahrer Ronald an Land (der kein "verbaler Ficker" ist, wie Nike so wunderbar erläutert, sie aber gerade in seiner wortkargen Prolligkeit - "ik trink de nich" - rätselhaft an- und auszieht), der eine Erklärung gibt, warum deutsche Männer zu Idioten werden: Weil ihnen, als sie jung waren, andere deutsche Idioten-Männer das vorgelebt haben. So habe ihm sein Onkel immer gesagt "im Stehen von hinten jibt keene Kinder ... stimmt aber nich ..." und so gesteht der akorat die Kleidung vor dem Beischlaf sortierende Ronald nach und nach ein, 6 Kinder gezeugt zu haben.

Nikes Freundin Katrin wohnt mit ihrem Sohn Max im Erdgeschoss. Die verhinderte Malerin und gelernte Dekorateurin war aus dem miefigen Freiburg ins mondän imaginierte Berlin gezogen, hatte geheiratet und findet sich nun gestrandet in Umschulungs- und Trainingsmaßnahmen des Arbeitsamtes, zu schwach den Forderungen des Lebens die Stirn zu bieten und die Aufgaben anzupacken, wie ihr Sohn den Staubsauger, als Katrin wegen ihrer Alkoholkrankheit für eine Kur in die Psychiatrie kommt.

Die zigeunerartige schwarze Katze/weißerKater-Musik ist ebenso famos, wie die Ausstattung des Films ist famos. Allein Nikes Wohnung ist ein Kunstwerk. Die Küche mit Plastikstühlen, abwaschbarer Tischdecke. Ihr Wohnzimmer. Auch die Wohnungen der Pflegepatienten sind mit hervorragendem Blick gestaltet und von der unaufdringlichen Kamera
sehr gut ins Bild gesetzt (wunderschöne Bildkomposition und Lichtsetzung des erschöpft und verschwitzt im Wohnzimmer auf dem Boden liegenden Liebespaares danach, während durch das Fenster Licht fällt und der Fernseher mit seinem Porno das Wohnzimmer beflackert.)


Der Dresen-Effekt: Realismus
Andreas Dresen, der schon mit DIE POLIZISTIN und HALBE TREPPE sich als dokumentarischster aller fiktiven Erzähler ausgewiesen hat, schafft es hier wieder, in die dramaturgische Komposition seines Films Figuren, Darsteller und Szenen von dokumentarischer Qualität einzuführen, die er auch durch Laiendarsteller erreicht, die einfach sich selbst spielen: Der Dozent des Bewerbungstrainings ist ebenso echt, wie die anderen Kursteilnehmerinnen, die Katrin ein Feedback zum gespielten Bewerbungsgespräch geben. Die Szenen mit der Tochter der von Nike gepflegten Helene werden alle Pflegedienstmitarbeiter so oder ähnlich als typisch "Angehörige von Pflegebedürftigen" ebenso wiedererkennen, wie das Kompetenz-Fake-Gelaber des Schuhverkäufers im Schuhgeschäft, der die Vorzüge des von Max so sehnsüchtig gewünschten Laufschuhs.

Ein leichter, wunderbarer Film (realisiert mit einem Team von nur 12 Leuten!) über den Sommer, über das Trinken, über Freundinnen, über MÄNNER, und üba Balin, wa?!

Artikel zum Film
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Zwei Sätze und alles ist gesagt - taz